Straßen und Plätze: russisch-orthodoxe Christi-Auferstehungs-Kathedrale
Im Bezirk gibt es zwei russisch-orthodoxe Gemeinden, eine in Charlottenburg und eine in Wilmersdorf. Der Mittelpunkt der Charlottenburger Gemeinde, der ältesten in Berlin, ist seit März 2008 die Maria-Schutz-Kirche (Schutz der Gottesmutter) in der Wintersteinstraße 24. Sie ist im traditionellen russischen Stil erbaut und bietet Platz für 400 Gemeindemitglieder. Neben dem Kirchenraum selbst befinden sich hier ein Kulturzentrum mit Gemeindesaal, Büroräumen, einem Raum für Kinder und Jugendliche, einer Bibliothek und einer Küche sowie einer Hostienbäckerei.
Christi-Auferstehungs-Kathedrale
In den gut 30 Jahren zwischen dem Beginn des Ersten und dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurde nur eine einzige russisch-orthodoxe Kirche im gesamten Deutschen Reich neu erbaut: die Christi-Auferstehungs-Kathedrale am Hohenzollerndamm in Wilmersdorf. Daß ansonsten keine weiteren Kirchenbauten entstanden, kam daher, daß die vielen Russen, die seit der Oktoberrevolution nach Deutschland kamen – man spricht von über 300.000 in den 1920er Jahren allein nach Berlin –, meist arm waren und daher kein Geld für einen Neubau erübrigen konnten. Daß andererseits trotzdem diese eine Kirche entstand, hat mit der Politik zu tun.
Eigentlich hatte sich die russisch-orthodoxe Gemeinde zwischen 1923 und 1928 im dritten Stock des Wohnhauses Hohenzollerndamm 33, an der Einmündung der Ruhrstraße, eine Kathedrale eingerichtet. Man konnte dem Gebäude, in dem heute ein Hotel untergebracht ist, auch von außen seinen religiösen Zweck ansehen, da die Fassade mit mehreren kleinen und einem großen Turm mit Zwiebelhaube gekrönt war.
Um 1937 trafen mehrere Umstände zusammen, die zur Verlegung der Kathedrale um 350 Meter an die Ecke Hohenzollerndamm/Berliner Straße führten.
Da war zum einen die Deutsche Arbeitsfront (DAF), die mit privaten Konzernen (Nordstern-Lebensversicherung und Karstadt) um die Gestaltung des Fehrbelliner Platzes rang und dabei zunächst den kürzeren zog. (2) Die DAF mußte vorerst ins zweite Glied treten mit Bauten zwischen Brienner und Mansfelder Straße (heutzutage Bürgeramt). Als aber nach der Errichtung des Erweiterungsbaus längs des Hohenzollerndamms (Nr. 174, heutzutage Kommunale Galerie) im Jahr 1934 immer noch Platzmangel herrschte, beanspruchte die DAF zusätzlich das gegenüberliegende Gebäude mit der Kathedrale.
Gleichzeitig hatte die russisch-orthodoxe Gemeinde wirtschaftliche Probleme und konnte sich ihr Haus nicht mehr leisten.
Der Gemeinde kam in dieser Situation die politische Linie zugute, die ein Teil der aus Rußland nach Westeuropa ausgewanderten Bischöfe eingeschlagen hatte, als klar geworden war, daß mit dem Sieg der Revolution eine Rückkehr nicht mehr in Frage kam. Diese Bischöfe, darunter der im Deutschen Reich residierende, gründeten die vom Moskauer Patriarchat unabhängige „Russisch-orthodoxe Kirche im Ausland“ und setzten sich politisch für eine Wiederherstellung des Zarentums ein. Daher erhielt der „Orthodoxe Bischof von Berlin und Deutschland“ seit 1935 Unterstützung von den Nationalsozialisten, so wie er im Gegenzug sie unterstützte. Als Beispiel sei ein Dankgottesdienst im Februar 1936 genannt „anläßlich der erfolgten dritten Wiederkehr des Tages der Ernennung des Führers zum Reichskanzler“ (Zeitung „Der Westen“, 5.2.1936).
So kam es, daß die Reichsregierung der russisch-orthodoxen Diözese für den Verlust ihrer Bischofskirche das Grundstück Ecke Berliner Straße als Ersatz überließ. Die neue Kathedrale entstand mit großzügiger staatlicher Unterstützung; beteiligt waren der Reichsminister für kirchliche Angelegenheiten, der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, die Preußische Staatshochbauverwaltung und als Architekt Ministerialrat Karl Schellberg von der Preußischen Bau- und Finanzdirektion. Auf diese Weise sollte aus Sicht der Nationalsozialisten sozusagen „ein vom Reich gefördertes Monument des Antisowjetismus“ (Bodenschatz/Stimmann, S. 41) entstehen. Die Diözese bedankte sich ihrerseits mit einem Dankschreiben an den „gottesfürchtigen Führer und Reichskanzler Adolf Hitler“.
Blick von Westen Ikonostase
Schellberg griff auf die Form der frühen russisch-orthodoxen Kirchen des 11. und 12. Jahrhunderts zurück und entwarf eine dreischiffige Basilika mit einem quadratischem Mittelschiff, das von einer flachen Kuppel überwölbt ist, die wiederum von einer runden Laterne mit Zwiebelhaube gekrönt wird. Vier weitere Zwiebeltürmchen postierte er rund um die Kuppel auf den Ecken des Mittelschiffs. Im Innern sind die beiden flachen Seitenschiffe durch je drei Bögen mit dem Mittelschiff verbunden. Der Altarraum (Allerheiligstes) im Ostchor ist vom Gemeinderaum abgetrennt durch eine reich geschmückte Chorwand (Ikonostase); sie wurde aus der bisherigen Kathedrale hierher übertragen. Auch die übrigen Wände sind dicht mit Ikonen behängt. Wie bei orthodoxen Kirche üblich, gibt es keine Orgel und auch keine Bänke, nur eine Stuhlreihe an der Wand. Abgesehen von einem Pult mit der Ikone des jeweiligen Tagesheiligen, ist das Mittelschiff eine mit Teppichen ausgelegte freie Fläche, auf der die Gemeinde im Stehen am Gottesdienst teilnimmt. Die Kirche wurde am 13. Mai 1938 geweiht.
Dompropst der Christi-Auferstehungs-Kathedrale und somit erster Priester nach dem Bischof ist Vater Michail. Er ist seit 1984 hier im Amt und trägt den Ehrentitel eines Erzpriesters. „Unsere Gemeinde hat 5.000 Mitglieder, nicht nur orthodoxe Russen, sondern auch Serben, Griechen und Bulgaren. Außerdem gibt es noch sechs weitere Gemeinden in Berlin: in Charlottenburg, Tegel, Spandau, Lankwitz, Karlshorst und Marzahn.“ Den Gottesdienst hält Vater Michail auf kirchenslawisch, und zwar „an jedem Tag der Woche um 10 Uhr“.
Dank der damals politisch durchgesetzten „autogerechten Stadt“ ist die Kathedrale seit Mitte der 1960er Jahre durch die Verlängerung der zum Autobahnzubringer ausgebauten Konstanzer Straße von ihrem städtebaulichen Zusammenhang abgeschnitten und liegt, von Motorenlärm umtost, seitdem auf einer Verkehrsinsel.
MichaelR
Herzlichen Dank an das Landesarchiv Berlin für die Erlaubnis, das Foto Hohenzollerndamm 33 aus dem Jahr 1927 abdrucken zu dürfen.
Materialien:
Harald Bodenschatz/Hans Stimmann, Der Fehrbelliner Platz. Fragmente einer durch das III. Reich gezeichneten Geschichte, Berlin 1983; S. 41 und 55-57
Karl-Heinz Metzger, Kirchen, Moscheen und Synagogen in Wilmersdorf, Berlin 1986; S. 88-93 [Stadtbücherei: B 632 Metz]
Nikolaus Thon, Die Russische Orthodoxe Kirche in Deutschland – ein geschichtlicher Überblick
(1) Quelle: Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 Nr. II1268 / Fotograf: k.A. – Die obere Tafel am Bauzaun kündigt an: „Beziehbar Frühjahr 1928“.
(2) 1934 gab es noch keinerlei Bebauung direkt am Rande des Platzes. Trat man aus dem U-Bahnausgang, stand man auf freiem Feld (siehe die vergleichbare Situation am U-Bahnhof Theodor-Heuss-Platz: Abschnitt „U-Bahn“ und Foto). Zu diesen Freiflächen gehörte ein Sportplatz, der erst 1941-43 bebaut wurde, und zwar von der DAF, nachdem die Nationalsozialisten nunmehr auch hier das Sagen hatten. 1954 zog in diesen Bau das inzwischen aufgegebenen Rathaus Wilmersdorf.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 11. August 2016 - 00:02
Tags: kirche/plätze/stadtgeschichte/straßen
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