Straßen und Plätze: Kaiserdamm – Adenauerdamm – Kaiserdamm
Ende Oktober 2016 will die Kaiserdamm IG – „die Interessengemeinschaft der Fachgeschäfte, dienstleistenden Unternehmen und Handwerksbetriebe am Kaiserdamm“ – zusammen mit uns allen den eigentlich erst im Dezember fälligen 110. Geburtstag des Kaiserdamms feiern, und dabei will man „eine der wichtigsten Trumpfkarten spielen: die Geschichte“. Schauen wir also auf die Geschichte dieser Straße, zumal deren heutige Trumpfkarten nicht so recht zu stechen scheinen – ist die einstige Prachtstraße doch als Straße der Kategorie I in erster Linie eine 1600 Meter lange, stark frequentierte Bundesstraße mit vier Fahrspuren in jeder Richtung sowie Autobahnanschluß und daher für den menschlichen Aufenthalt nicht wirklich geeignet (1).
Der Aufstieg des Kaiserdamms
Entstehung Vor etwas über 110 Jahren wünschte sich der damalige Kaiser Wilhelm II. einen möglichst gradlinigen und seiner Stellung würdigen Zugang zum neuen Truppenübungsplatz Döberitz weit im Westen seines Stadtschlosses. Daher baute man ihm in Charlottenburg zwischen 1903 und 1911 die auf dieser Trasse schon bestehenden Straßen und Wege zu einer 50 Meter breiten Prachtstraße aus (2), darunter auch den bis dato unbefestigten Weg zwischen Sophie-Charlotte-Platz und Theodor-Heuss-Platz. Am 8. Dezember 1906 wurde die neue Straße eröffnet und zu Ehren ihres Benutzers Kaiserdamm benannt. Die anliegenden Gebäude hatten gemäß seiner kaiserlichen Anordnung repräsentativ zu sein. Einige der damaligen Bauten haben sogar den zweiten der beiden Weltkriege, die in den nächsten 40 Jahren nach der Eröffnung folgten, überlebt.
Kaiserdamm 118, erbaut 1907/8 im Neorenaissancestil
U-Bahn Zwei Jahre nach der Straße wurde auch die U-Bahnlinie mit den Stationen Sophie-Charlotte-Platz, Bismarckstraße und Reichskanzlerplatz von Kaiser Wilhelm II. eröffnet. Sie entstand auf Betreiben der Terraingesellschaft Neu-Westend AG für Grundstücksverwertung, der es darum ging, den Wert ihrer noch weitgehend unbebauten Grundstücke am Theodor-Heuss-Platz und weiter stadtauswärts (Reichsstraße usw.) mittels einer zunächst völlig unprofitablen U-Bahnanbindung beträchtlich zu steigern (3). Von großem Nutzen für die beiden Gründer der Terraingesellschaft (4), um Hochbahngesellschaft, Stadt Charlottenburg und Deutsche Bank für diesen Plan zu gewinnen, war sicher der Umstand, daß sie bei allen drei Geschäftspartnern hohe Positionen innehatten.
Ost-West-Achse In der nationalsozialistischen Zeit war der Kaiserdamm ausersehen, in der 50 km langen Ost-West-Achse der Welthauptstadt Germania aufzugehen. Er gehörte zu dem bis Kriegsbeginn fertiggestellten sieben Kilometer langen Teilstück dieser Paradestraße vom S-Bahnhof Tiergarten bis zum Theodor-Heuss-Platz. Die ihn noch heute beleuchtenden OWA-Kandelaber (nach Ost-West-Achse) wurden von A. Speer entworfen.
Der Abstieg
Verkürzung Der Abstieg begann schon mit den Zerstörungen des Krieges, die sich in dieser Straße jedoch noch ziemlich in Grenzen hielten. Dann aber wurde ihr am 30.3.1950 ihr westlicher Teil zwischen S-Bahnhof Heerstraße, dem ursprünglichen Ende, und Theodor-Heuss-Platz (5) amputiert und der Heerstraße zugeschlagen. Seitdem fehlen dem Kaiserdamm die Hausnummern 41 bis 79.
IAA 1951 fand die erste Internationale Automobil-Ausstellung nach dem Krieg (so wie alle folgenden) nicht mehr in den Ausstellungshallen am Kaiserdamm statt, sondern in Frankfurt. In der Presse wurde bei dieser Gelegenheit wehmütig der „unnachahmlichen ‚Kaiserdamm-Atmosphäre‘“ gedacht – die man dann aber überraschenderweise auch in Frankfurt vorfand, und das ging so: „Zur Kaiserdamm-Atmosphäre gehörte nicht zuletzt das große Aufgebot führender Männer aus Politik, Wirtschaft und Automobilsport, das die Eröffnung zu einem gesellschaftlichen Ereignis werden ließ und zu dem Bundespräsident Prof. Theodor Heuss in seiner Eröffnungsansprache mit Humor von der notwendigen Kameradschaft auf den Straßen sprach.“ Aber kein Problem, all das hatte Frankfurt auch zu bieten. Das einzige Problem ist nur, daß die Ausstellungshallen gar nicht am Kaiserdamm lagen, sondern einen Block weiter südlich, zwischen Messedamm (daher sein Name) und Rognitzstraße, mit Zugang in der Bredtschneiderstraße 67 – aber wer hätte schon gern von einer „Bredtschneiderstraßen-Atmosphäre“ schwärmen mögen?
Adenauerdamm Ein ganz besonders schwerer Schlag gegen den Kaiserdamm ereignete sich dann 1967. Wieder gab es einen Toten zu ehren, diesmal den ersten Bundeskanzler K. Adenauer. Das SPD-dominierte Bezirksamt Charlottenburg nahm zum 26.4.1967 die Umbenennung von Straße und U-Bahnhof vor. Jedoch: Bekanntlich begann für K. Adenauer Asien gleich hinter der Elbe, und Preußen stand er ablehnend gegenüber: „Wer Berlin zur neuen Hauptstadt macht, schafft geistig ein neues Preußen.“ An die im Bau befindliche Mauer eilte er auch nicht gleich am Sonntag, den 13.8., sondern erst neun Tage später. Sein Außenminister G. Schröder (ebenfalls CDU) schlug im September 1961 gar vor, Westberlin doch zu evakuieren und in der Lüneburger Heide neu aufzubauen. Kein Wunder, daß sich ein Sturm der Entrüstung erhob, der zu mehr als 140.000 Unterschriften und den schließlichen Rückbenennungen am 15.1.1968 führte. Vor die Wahl gestellt, einen rheinländischen Bundeskanzler oder einen preußischen Kaiser zu ehren, entschieden sich die überwiegend sozialdemokratisch gesinnten Westberliner dann doch lieber für den Kaiser – hatte die Sozialdemokratie nichts Drittes zu bieten gehabt? (6)
Einfallstraße Heutzutage ist der Kaiserdamm in erster Linie eine sehr breite Einfallstraße mit täglich ca. 60.000 Fahrzeugen – auch eine Spätfolge der Werbung für den Individualverkehr auf der (verlorengegangenen) IAA. Aber eine Folge, an der man auch seine Freude haben kann: „Geradeaus fahren, immer geradeaus. Es gibt in diesem Land nicht viele innerstädtische Straßen, auf denen man das Lenkrad so lange gerade halten kann. Auf dem Kaiserdamm den Großen Stern anzusteuern, das hat schon etwas Feierliches. Jede Fahrt in die City – ein kleiner Triumph.“ – sofern man Autofahrer ist. Anders wohl als Fußgänger; deshalb auch die große Werbeveranstaltung der Kaiserdamm IG zu einem üblicherweise nicht groß gefeierten Geburtstag.
MichaelR – Fotos: maho
Materialien (soweit nicht verlinkt):
Kaiserdamm allgemein:Bezirkslexikon
U-Bahnbau: Wikipedia
Straßenverkürzung: Morgenpost (14.4.2011)
Adenauerdamm: Der Spiegel (27.12.1967), Tagesspiegel (12.12.2007)
(1) Vgl. dagegen die sogar 90 Meter breite Avenue des Champs-Élysées, das Musterbeispiel einer Prachtstraße auch für Flaneure.
(2) Für Einzelheiten siehe den Abschnitt „Heerstraße“.
(3) Vgl. dazu das gleiche Vorgehen in Wilmersdorf im Abschnitt „Ausdehnung Wilmersdorfs nach Südwesten mittels einer neuen U-Bahnlinie“.
(4) Die Spuren des einen, Alfred Schrobsdorff, sind heute noch am Klausenerplatz zu sehen: „Bauten im Klausenerkiez“.
(5) Hier muß eine Bemerkung zum Namen des Platzes am neuen westlichen Abschluß des Kaiserdamms eingefügt werden: 1906 erstand er als Reichskanzlerplatz, hieß 1933 bis 1945 zeitgemäß Adolf-Hitler-Platz, dann wieder Reichskanzlerplatz, und schließlich im Dezember 1963, wenige Tage nach dem Tod des ersten Bundespräsidenten, gab man ihm den Namen Theodor-Heuss-Platz. Man kann sich durchaus darüber wundern, daß der Platz nach dem Krieg rückbenannt wurde, denn einen Reichskanzler gab es nun nicht mehr und war auch so bald nicht in Sicht. Aber dann müßte man sich über die Namensgebung von 1963 eigentlich auch wundern: Zwar war Th. Heuss seinerzeit ein sehr populärer Bundespräsident und wurde gern ‚Papa Heuss‘ genannt. Aber hatte man bei der Benutzung dieser verniedlichenden Bezeichnung für einen Vater daran gedacht, daß er auf parlamentarischer Ebene – als Mitglied der Reichstagsfraktion der liberalen Deutschen Staatspartei – im März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zustimmte und sich auf diese Weise zu einem der Väter dieser zentralen Rechtsgrundlage für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft mit all ihren zerstörerischen Folgen machte? Später berief er sich darauf, er habe sich der Fraktionsdisziplin gebeugt…
(6) Die CDU fand fünf Jahre später doch noch einen Ort, an dem man Adenauers Namen gut sichtbar im Stadtbild und auf jedem Stadtplan verankern konnte, indem man einen langjährig namenlos daliegenden Winkelrest, der bei der Schaffung der Lewishamstraße am Kurfürstendamm übriggeblieben war, nach ihm benannte, wobei im Kalkül gewiß keine unbedeutende Rolle der Umstand spielte, daß der Platzname auf den gerade darunter entstehenden U-Bahnhof abfärben würde. (für mehr Details siehe „Adenauerplatz“)
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 20. März 2016 - 18:45
Tags: kaiserdamm/plätze/stadtgeschichte/straßen
vier Kommentare
Nr. 2, maho, 21.03.2016 - 21:33 Ich habe mich noch an zwei Sachen zum Kaiserdamm erinnert: Neben dem Charlottenburger Traditionsladen, der Eisenwaren-Institution C. Adolph am Savignyplatz, gibt es am Kaiserdamm 17 noch “Eisen-Döring hat alles”. http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. Am 1. November 2010 wurde eine Gedenktafel zu Ehren des ehemaligen Polizeivizepräsidenten Dr. Bernhard Weiß am Polizeidienstgebäude Kaiserdamm 1 enthüllt. http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. |
Nr. 3, maho, 24.03.2016 - 01:57 Ich habe mal ein wenig nach alten Fotos gestöbert: http://www.berliner-volksbank-blog.de/wp.. Kaiserdamm / Sophie-Charlotte-Platz li: Kaiserdamm 118 / re: Polizeidienstgebäude Kaiserdamm 1 http://oi15.tinypic.com/4dmauz4.jpg Kaiserdamm / Sophie-Charlotte-Platz im Hintergrund: Kaiserdamm 118 http://media.gettyimages.com/photos/germ.. http://www.berlin-charlottenburg-ansicht.. http://www.berliner-untergrundbahn.de/st.. Bild 11 der Fotostrecke http://www.zeit.de/wissen/geschichte/201.. http://www.u-bahn-archiv.de/aufnahmen/ka.. https://commons.wikimedia.org/wiki/File:U-Bahn_Berlin_Sophie_Charlotte_Platz_Eingang.JPG http://static.arkivi.de/thumb/360000/ark.. http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlin.. |
Nr. 4, maho, 16.01.2017 - 23:57 Wir haben noch eine weitere, wahrscheinlich nur kurzzeitige, Nutzung einer Halle entdeckt: Der “Berliner Schneepalast am Kaiserdamm” (1927) mit der ersten Kunstschneebahn der Welt. Auch der “Schneepalast” lag also damals nicht direkt am Kaiserdamm: ....sondern einen Block weiter südlich, zwischen Messedamm (daher sein Name) und Rognitzstraße, mit Zugang in der Bredtschneiderstraße 67 – aber wer hätte schon gern von einer „Bredtschneiderstraßen-Atmosphäre“ schwärmen mögen?.... Tolle Fotos davon im Blog der Staatlichen Museen zu Berlin http://blog.smb.museum/berlin-im-schnee-.. Bildband: Boris von Brauchitsch “Alles außer Arbeit, Berliner Lust in den Zwanziger Jahren” http://www.art-magazin.de/kunst/buecher/.. Berliner Morgenpost (20.03.2016) Als Berlin wild und frei war |
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Am 21. April 1933 wurde der Platz in Adolf-Hitler-Platz umbenannt. Bei den Planungen Hitlers und seines Baumeisters Albert Speer, Berlin in eine „Welthauptstadt Germania“ umzuwandeln, war der Platz als Westende der Ost-West-Achse vorgesehen. Die für den Platz projektierten Monumentalbauten, unter anderem ein Denkmal von Benito Mussolini, wurden allerdings nie fertiggestellt. Dabei war auch eine Umbenennung in Mussoliniplatz vorgesehen. Ein zentralerer projektierter Platz nahe dem Reichstagsgebäude sollte dafür nach Hitler benannt werden. Am 31. Juli 1947 bekam er seinen ursprünglichen Namen Reichskanzlerplatz zurück.
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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor-Heuss-Platz
ein hinweis auf die berühmtheit einiger dammbewohner fehlt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kaiserdamm