Lebensfreude bis ans Ende
„Chuzpe“ im Theater am Kurfürstendamm
Gründer, die ein Geschäft eröffnen wollen, um ihren Mitbürgern schmackhafte und gesunde Nahrung anzubieten, müssen erfolgreiche Geschäftsleute, die mit absurden aber erfolgreichen Geschäftsideen reich geworden sind, anbetteln. Das ist der eigentliche Witz des Stücks „Chuzpe“, womit die Hamburger Kammerspiele, noch bis zum 22. Dezember im Theater am Kurfürstendamm gastieren.
Doch dieser Einfall wird nicht inszeniert. Solche Dekadenz wie das Verfassen von Beileidsbekundungen an gestorbene Hunde ist mittlerweile Normalität und wird möglicherweise gar nicht mehr als absurd verstanden. Deshalb werden die populären Vorurteile und Mißhelligkeiten, die einer erfolgreichen wirtschaftlichen „Selbstverwirklichung“ im Wege stehen, in den Mittelpunkt des Geschehens gerückt. Es werden spaßhaft Vorurteile gegen Osteuropäer, Frauen und Alte aufs Korn genommen. Tiefere Bedeutung bekommt die Geschichte dadurch, daß einer der „jungen“ Existenzgründer, beziehungsweise „Start-ups“, noch die Judenvernichtung in Auschwitz überlebt hat. Daß der heute 87jährige nun bis zum letzten Atemzug Versäumtes aufholen und das geschenkte Leben genießen will, ist komisch und tragisch zugleich, bleibt hier vor allem aber spaßig.
Die Adaption des Romans von Lily Brett für das deutsche Gemüt fängt schon bei der Änderung des Titels des US-amerikanischen Originals „You Gotta Have Balls“ an, was vordergründig mit „Sie sollten Klopse essen“, aber auch hintersinnig mit „Sie sollten Eier haben“ übersetzt werden kann. Der Amerikaner denkt beide Bedeutungen zugleich mit, am Ku’damm wird das deutlich gemacht. In der Inszenierung wird noch manch anderes wieder geradegerückt, was im vorigen Jahr in der ARD-Verfilmung des Romans dem Zeitgeist angepaßt worden war. Die Handlung war von New York nach Berlin verlegt worden und aus der Nachrufschreiberin wurde - ganz im politisch korrekten Sinne - eine Kommunikationstrainerin, die weibliche Führungskräfte ausbildet. Mit Dieter Hallervorden, Anja Kling und Franziska Troegner hatte das Fernsehen eine Starbesetzung aufgeboten. Die Hamburger Kammerspiele können aber auch Fernsehstars aufbieten. Mit der Besetzung von Ulrike Folkerts, die als Tatortkommissarin Lena Odenthal hohe Popularität genießt, wird die Heldin des Romans auch wieder in der Dramatisierung zur Zentralfigur. An ihrer Seite agieren kongenial Joachim Bliese, der auch schon mehrfach in Tatorten mitspielte und die Figur des Vaters feinsinnig auszugestalten weiß, sowie Angelika Bartsch, die in der Serie um den ZDF-Kommissar Nikolas Heldt eine Kriminaltechnikerin spielt. Sie haben ihren eigenen Zugang zu den Rollen gefunden und erzählen eine neue Geschichte, die den Weg ins Theater lohnt.
Foto: Wecker
Karten ab 13 Euro können unter Telefon 885 911 88 und im Internet unter www.komoedie-berlin.de vorbestellt werden.
FW
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 28. November 2016 - 00:24
Tags: komödie/schauspieler/theater
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