Was nutzt den Bürgern eigentlich das Ordnungsamt im Alltag?
Im Gespräch mit Stadtrat Schulte (SPD)
Radfahrer auf dem Fußweg, plötzlich lautlos von hinten vorbeizischend, sich manchmal den Weg auch noch freiklingelnd; Pkws oder Lieferwagen auf dem Fahrradstreifen am Straßenrand, Radfahrer zum Ausweichen auf die Fahrbahn zwingend; „Flying Banners“, Werbetafeln und Waren, Geschäftsfahrradständer oder Gastronomiemobiliar auf dem Trottoir, den Fußgängern den Weg verstellend; Fahrzeuge auf Sperrflächen, Zickzacklinien oder direkt an der Kreuzung, Hindernisse beim Überqueren der Fahrbahn; Hunde auf dem Spielplatz oder freilaufend, Passanten anspringend; nächtlicher Lärm im Park und auf den Straßen dorthin – alles Aufgaben für den Allgemeinen Ordnungsdienst (1) des Ordnungsamtes (OA), zu denen es in einem OA-Faltblatt heißt:
Um unsere Stadt sicher, sauber und lebenswert zu halten, bietet Ihnen das Ordnungsamt eine Vielzahl an Leistungen an, von denen jeder profitiert.
„Bietet … an“ – eine hübsche Formulierung für bezirkliche Pflichtaufgaben, die aber nicht erkennen läßt, daß dieses „Angebot“ weit hinter der „Nachfrage“ seitens der Bürger zurückbleibt. Um herauszufinden, wieso das so ist, sprach ich wenige Tage vor dem Ende seiner Dienstzeit mit Bezirksstadtrat Marc Schulte (SPD); ergänzende Zahlen kamen vom Leiter des OA, Herrn Betzgen.
In wessen Dienst ist das Ordnungsamt auf den Straßen des Bezirks unterwegs?
Im Allgemeinen Ordnungsdienst (AOD) – als dem einen Teil des Außendienstes – sind insgesamt 45 Mitarbeiter in zwei Schichten (2) beschäftigt (zur Parkraumbewirtschaftung siehe weiter unten). Das bedeutet, daß – unter Berücksichtigung von Urlaub und Krankheit sowie von Sonderaktionen – gleichzeitig je Schicht fünf bis höchstens zehn Streifen à zwei Mitarbeiter unterwegs sind, um in einem Bezirk von gut 300.000 Einwohnern den ruhenden Verkehr (außerhalb der Parkraumbewirtschaftung) und die Beachtung von Straßenverkehrsgesetz und -ordnung auf Geh- und Radwegen sicherzustellen, um auf die Einhaltung von Gaststättengesetz, Grünanlagengesetz und Jugendschutzgesetz zu achten, um die sichere Benutzbarkeit der Gehwege bei Schnee und Eis zu gewährleisten usw. usf.
Es ist offensichtlich, daß so wenig Personal mit dieser Vielzahl von Aufgaben völlig überfordert ist, weswegen man sich in der Regel auf einige Schwerpunkte konzentriert (Radfahrer in der Einkaufszone der Wilmersdorfer Straße zum Beispiel oder vollgeparkte Fahrradstreifen am oberen Ende der Westfälischen Straße) und ansonsten nur im Einzelfall eine Streife losschickt. Nach Meinung von Herrn Schulte ist für die Verkehrsüberwachung der „tatsächliche Bedarf an Mitarbeitern fünf- bis zehnmal so groß“. Die Rechte der anderen sind halt disponibel, wenn sie den eigenen Möglichkeiten und Bequemlichkeiten im Wege stehen.
In der Parkraumbewirtschaftung – dem anderen Bereich des Außendienstes – sind 100 Mitarbeiter in drei Schichten (3) beschäftigt. Sie finanzieren sich selbst durch die von ihnen verhängten Verwarnungs- und Bußgelder. Folgende Einnahmen werden genannt: 2014 – 6,1 Mio. € 2015 – 5,6 Mio € (diese und alle folgenden Zahlen gerundet).
Ausgehend vom sog. Durchschnittssatz je tariflich Beschäftigtem von jährlich 46.000 € (4) bedeutet dies, daß in jedem der letzten beiden Jahre jeder der 100 Parkraumbewirtschafter im Durchschnitt gut 10.000 € Gewinn für die Bezirkskasse erwirtschaftet hat, insgesamt also über 1 Mio. € pro Jahr. Hinzu kommen noch die Parkgebühren von 7,2 Mio. € (jeweils 2014 und 2015 (5)).
Gegenüber dem letztgenannten Betrag mögen die Erträge durch das Parkraumbewirtschaftungspersonal selbst recht gering erscheinen, aber natürlich funktioniert das ganze System des Kassierens von Parkgebühren nur bei Überwachung, und Überwachung wiederum „funktioniert nur bei einem bestimmten Personalkörper“ (Schulte). Das heißt, wenn sich ein Bezirksamt für Parkraumbewirtschaftung entschieden hat, schafft es sich gleichzeitig Personalzwänge, damit das ganze auch ordentlich was einbringt.
Und wenn dann der kommende Senat aus SPD, Grün- und Linkspartei seine Pläne mit der Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung auf den gesamten Innenraum des S-Bahn-Rings verwirklichen sollte? Diese Karte zeigt, daß in unserem Bezirk noch viel Platz dafür wäre – und folglich noch große Einnahmequellen winken. Ganz zu schweigen von dem Beschäftigungsschub, der dadurch bewirkt würde: Herr Schulte schätzt den Mehrbedarf an Parkraumbewirtschaftern auf „mindestens 50 bis 100 Mitarbeiter – je Bezirk“. (6) Dabei sollten Senat und Bezirke allerdings nicht den Bürgerentscheid von 2008 in unserem Bezirk vergessen, bei dem fast 90 % gegen die Ausdehnung stimmten, obwohl SPD und Grünpartei sogar mit Plakaten dafür geworben hatten.
Parkraumbewirtschaftung lohnt sich für die Bezirkskasse einfach mehr als Bürgerdienst
Die Einnahmen aus der Parkraumbewirtschaftung sind eine bedeutende Einnahmequelle für die Bezirke, die an ihr teilnehmen. Dagegen sind die jährlich 1,3 Mio. € an Verwarnungsgeldern, die der AOD in die Bezirkskasse bringt, relativ unbedeutend. Parkraumbewirtschaftung lohnt sich also für das Bezirksamt. Das Hauptgewicht auf die Parkraumbewirtschaftung zu legen, bedeutet allerdings, daß das Bezirksamt sich entschieden hat, über zwei Drittel des Außendienstpersonals nicht dort einzusetzen, wo es um die unmittelbaren Interessen der Bürger geht: die Fußgänger vor Radfahrern schützen, die ihnen die Gehwege streitig machen, die Radfahrer wiederum vor parkenden Autofahrern auf den Radwegen, um nur zwei besonders problematische Punkte zu nennen.
Das OA und hier sein Außendienst ist nur einer der vielen Bereiche, wo „dringend neues Personal“ (Schulte) im Interesse der Bewohner dieser Stadt notwendig wäre, aber nicht zur Verfügung gestellt wird, weil Senat und Abgeordnetenhaus anderswo die Prioritäten setzen: U 5, A 100, Flughafen, Empfangsgebäude auf der Museumsinsel, Stadtschloß, Staatsoper usw. Von Protest der Bezirksverwaltungen bei ihren Parteikollegen auf der höheren politischen Ebene hört man eher selten etwas (eine Ausnahme waren vor Jahren die Gesundheitsstadträte). Dennoch gibt es einen gewissen politischen Spielraum auch jetzt schon in den Bezirken.
Und der neue Stadtrat?
Was hat der neue Stadtrat, Arne Herz (CDU), für Vorstellungen zur Ausgestaltung des Außendienstes? Auf eine diesbezügliche Frage ließ Herr Herz seinen Büroleiter antworten (7), daß „Sie von unserer Seite zur Zeit keine Aussage zu dieser Frage erhalten können, die inhaltlich eine Festlegung der Aufteilung des Außendienstes des Ordnungsamtes beinhaltet, (…) da es zu Ihrer Frage erst im politischen Raum zu Erörterungen kommen muss“. Aus der CDU-Fraktion ist jedenfalls bereits zu hören, daß die bisherige Ausrichtung des Außendienstes aufs Kassieren so nicht weiter verfolgt werden soll.
MichaelR
Nachtrag: Teil 2 vom 26.02.2017 - "Im Gespräch mit Stadtrat Herz (CDU)"
(1) Daneben gibt es noch als zweiten Teil des Außendienstes die Parkraumbewirtschaftung, außerdem den Innendienst (einschließlich Zentraler Anlauf- und Beratungsstelle, Geschäftsstelle sowie Marktverwaltung), die Veterinär- und Lebensmittelaufsicht und den Fachbereich Straßenverkehrsbehörde.
(2) Montags bis freitags 6-22 Uhr, samstags erst ab 8 Uhr; sonntags nur eine Schicht 8-16 Uhr. In den Sommermonaten (Mai-September) wird teilweise freitags und sonnabends bis 24 Uhr gearbeitet.
(3) Montags bis samstags 8.30-22 Uhr; samstags jedoch nur im Zweischichtbetrieb.
(4) siehe Einwohnerfrage 4
(5) brutto, also vor Abzug der Unkosten für die Parkscheingeräte
(6) In dem Zusammenhang wird behördlicherseits gern auf die Möglichkeit eines Anwohnerparkausweises hingewiesen, der im Bürgeramt ausgestellt wird (Termin!), zur Zeit 20 € für zwei Jahre kostet und gebührenfreies Parken in der betreffenden Parkzone (zur Größe der Zonen siehe hier) gestattet.
(7) Email vom 8.12.2016
MichaelR - Gastautoren, Politik - 10. Dezember 2016 - 20:42
Tags: bezirksamt/ordnungsamt/verkehr
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: