Fake News im Europacenter
Neues Programm der StachelschweineDas Niveau politisch ambitionierten Kabaretts läßt sich daran messen, wie sich Witzeleien über die Frisur der Kanzlerin, zur Kritik an ihrer Leistung bei der Lösung lebenswichtiger Fragen der Gesellschaft verhalten.
Schon der Titel des neuen Programms des Kabaretts „Die Stachelschweine“ im Europacenter „Die alternative Wahrheit“ läßt hoffen, daß die Meßlatte hoch liegt. Diese Hoffnung wird nicht enttäuscht, wenngleich auch die Stimmung im Saal gelegentlich mit oberflächlichen Witzeleien gehoben wird. Letztlich hat das Programm hinreichend Tiefe, um vor der Bundestagswahl das Nachdenken zu befördern. Es ist aber dennoch zu befürchten, daß dies kaum einen maßbaren Effekt haben wird und damit das Programm auch nach der Wahl so aktuell wie zuvor bleiben wird.
Neben erheiternden Szenen über den ausufernden feministischen Sprachulk, die Helikoptereltern, Handysucht der Jugend, laxen Umgang mit der Jugendkriminalität, den leidigen Flughafen BER und die bornierten Verkehrsambitionen des Senats, bleibt angesichts der atomaren Erschütterungen der Erde in Ostasien, der Kriegstänze der Bundeswehr an der russischen Grenze und Mieterverdrängung hinreichend Raum, um auch die existentiellen Bedrohungen zu verhandeln. Mit dem Fingerzeig, daß alle Kriege der jüngsten Zeit mit Fake News begonnen wurden, sind die Stachelschweine dem Anspruch und dem Programmtitel am nahesten. Der Abend gewinnt an Fahrt, wenn die drei Darsteller in rasantem Tempo unterschiedliche Charaktere, so wie sie dem Besucher oben auf dem Breitscheidplatz begegnen können, mit ihren Auffassungen zu den Flüchtlingen karikieren. Die Darsteller können aber auch Charaktere vertiefen. Einen Glanzpunkt solchen Könnens liefert Kristin Wolf, wenn sie in der Figur einer türkischen Demonstrantin die innere Zerrissenheit einer Frau zwischen Gehorsam und Kritik über die Rampe bringt. In dieser komisch-satirischen Szene tritt sie dazu noch in einer islamgerechten Kostümierung auf, die körperlichen Ausdrucksformen nur wenig Spielraum läßt.
In einer Talkshow, zu der die Moderatorin Putin, Trump, Erdogan und Kim III. geladen hat, wird in der Zahl der Gäste die Größe des Ensembles überschritten. In dieser Situation wird auf zwei Puppen zurückgegriffen, was auch brillant gemeistert wird. Wermutstropfen ist das bereits in der Gästewahl nicht Fake News hinterfragt, sondern die offiziellen Ressentiments bestätigt werden. Richtig ist natürlich, daß Putin von einer Mehrheit gewählt wurde, aber lupenrein demokratisch war das auch nicht. Seine Partei bekam einst erhebliche Wahlkampfhilfe aus dem Westen, um einen aussichtsreichen kommunistischen Gegenkandidaten zu verhindern. Dabei haben sich die westlichen Strategen einmal mehr selbst ins Knie geschossen, was vielleicht mal ein Thema für politisches Kabarett wäre.
Die Stachelschweine haben Legenden hervorgebracht. Nach Wolfgang Neuss und Wolfgang Gruner gehört jetzt auch Birgit Edenharder dazu, die sich aus Altersgründen zurückgezogen hat. Für das neue Ensemble mit Kristin Wolf, Björn Geske und Daniel Krönert scheinen deren Fußtapfen aber nicht zu groß zu sein. Vielleicht wird einer von ihnen einmal zu den Legenden der Stachelschweine gehören. Mit seinem Auftritt in diesem von Klaus-Peter Grap gestalteten Programm braucht sich keiner zu verstecken. Aber dieses Programm kündigt sowohl in Stil als auch Gestaltung einen Umbruch an. Es ist kein gewohntes Kabarett mehr, das aus einer Abfolge von Liedern und Sketchen besteht. Ein wenig scheint jetzt auch bei den Stachelschweinen die Schule der Comedians abzufärben, wobei jedoch auf die reine Blödelei verzichtet wird. So darf es auch bleiben.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 11. September 2017 - 00:02
Tags: kabarett/theater
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