Die Stunde der Gewalt
„Le Prophete“ an der Deutschen OperEs ist ein Abend der gewaltigen Stimmen. Die Soli und Duette von Clementine Margaine und Elena Tsallagova reißen das Publikum mit; den Tenor Gregory Kunde hinzugenommen, ist allein schon dieses Dreigestirn den ganzen über viereinhalb Stunden gehenden Abend in der Deutschen Oper wert. Der Tisch ist aber noch viel reicher gedeckt. Auch alle anderen Solisten in dieser Inszenierung von Giacomo Meyerbeers Oper „Le Prophete“ - unter anderem Derek Welton, Andrew Dickinson oder Seth Carcio - sind ebenfalls internationale Spitzenklasse. Mit dem großartigen Chor und dem Ballett steht ein Ensemble auf der Bühne, das ein musikalisches Fest zelebriert, das seinesgleichen sucht.
Noel Boulay als Mathisen übernehmen die Bürger in Münster die Macht.
Foto: Wecker
All das könnte schon genügen, dieser Aufführung einen hervorragenden Platz in der Geschichte des Hauses an der Bismarckstraße zu sichern. Doch der musikalische Leiter Enrique Mazzola und Regisseur Olivier Py haben aus diesem ihnen zur Verfügung gestellten Potential eine Aufführung geformt, die das Zeug hat, in die Theatergeschichte einzugehen.
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Das liegt nicht nur an den gewaltigen Stimmen auf der Bühne, sondern auch an der blanken Gewalt, die die Regie aus dem Libretto von Eugene Scribe und Emile Deschamps herausgearbeitet hat. Dabei kommt es weniger auf den verworrenen Handlungsstrang zwischen Verwechslung, Intrige und Verrat des Altmeisters des Boulevards, als auf die Demagogie, die Verführbarkeit des Mobs und blanken Raub an, der den Gang der Geschichte zu beherrschen scheint. Entsetzt blickt der Zuschauer tief in den Abgrund der Geschichte des „zivilisierten“ Abendlandes, wo religiöse Eiferer den Mob zu einem Pogrom gegen die „Ungläubigen“, die weltlichen Herrscher und gegen die Juden aufstacheln, der von Mord über brutale Massenvergewaltigungen kein Verbrechen ausläßt. Historisches Vorbild sind die Aufstände der Bauern, verarmter Ritter, des niedrigen Adels und der niederen Geistlichkeit in der Renaissance. Hier ist es die Geschichte der Wiedertäufer, einer Spielart der Reformation, in der es formell um die Auslegung des Rituals der Taufe geht, im Kern aber gegen die Macht der Landesfürsten im Verbund mit der römischen christlichen Kirche. Auf der Bühne erfolgt diese Auseinandersetzung in einer Kulisse, die die Fernsehbilder aus den Kriegsgebieten des Nahen Ostens zitiert. Erstaunt darf der Zuschauer feststellen, daß die Durchsetzung politischer Ziele mit brutalster Gewalt nicht nur aus dem Koran, sondern offenbar auch aus der Bibel herausgelesen werden kann. Die Reformation war nicht allein eine Kulturtat, sondern auch ein Raubzug, der jeglicher Kultur und Zivilisation entbehrte. In Münster errichteten die Wiedertäufer eine Kommune, in der sie einem von fürstlicher und klerikaler Herrschaft befreitem Leben nach urchristlichen Vorstellungen frönten. Der Rausch fand ein Ende, nachdem diese Feste der Wiedertäufer von den Heeren der Fürsten altgläubigen und reformierten Bekenntnisses gestürmt worden war. Die Rache an den Führern der Wiedertäufer war so brutal, wie es der Terror der heutigen Islamisten ist. Noch heute hängen in Erinnerung an diese Grausamkeiten am Turm der Münsteraner Lambertikirche eiserne Käfige, in denen die geschändeten Körper der Führer der Wiedertäufer zur Abschreckung öffentlich ausgestellt worden waren.
Auf der Opernbühne endet die Herrschaftsepisode in einer Apokalypse, die der vom Kneipier zum König avancierte Wiedertäufer Jan van der Leyden für Ostern 1534 vorausgesagt hatte. Angesichts der bevorstehenden Eroberung feiern die Wiedertäufer im Stadtpalast ein Bacchanal. Als der Feind eindringt, sprengt Jan van der Leyden den Palast und stirbt in den Armen seiner Mutter.
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Von der Kulturpolitik wird diese Produktion als ein Beitrag zu 500 Jahren Reformation gefördert. Für die Deutsche Oper ist diese Aufführung die Krönung ihres Meyerbeerzyklus. Was Oper zur Auseinandersetzung mit dem Zeitgeschehen leisten kann, ist in dieser Inszenierung zu erleben. Mehr als jeder Wissenschaftler ist der Künstler in der Lage, die feinsten Vibrationen im Zeitenlauf wahrzunehmen und vorwegzunehmen. Dieses Wissen läßt während dieses gewaltigen Abends das Blut in den Adern gefrieren.
Die nächsten Vorstellungen sind am 30. November sowie am 3., 9., und 16. Dezember. Karten ab 39 Euro können telefonisch unter (030) 343 84-343, per E_Mail unter info@deutscheoperberlin.de sowie im Webshop der Deutschen Oper bestellt werden.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 29. November 2017 - 00:24
Tags: gesang/konzert/oper
Kein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link: