Die Punks der Kaiserzeit
Aufsässige Weiber im Abba HotelIm Abba Hotel Berlin sind sie plötzlich wieder da: Gestalten aus der Kaiserzeit, die längst vergessen schienen: „bunte Hunde“, Malweiber und Dandetten. Zu verdanken ist das der Künstlerin Barbara Gauger, die sie wieder aufleben läßt, und Carlos Hulsch, der sie in seiner Galerie in die Öffentlichkeit bringt.
„Neue Arbeiten, Zeichnungen und Malerei von Bunten Hunden, Malweibern und Dandetten nach Hermann Harry Schmitz, Ilna Wunderwald, Marie Freiin von Berlichingen und Harriet Sundström“ heißt der Titel der Ausstellung.
Wem diese „phantastischen Vier“ nicht geläufig sind, braucht sich um diese Bildungslücke nicht zu sorgen, denn dann ist der Besuch der Ausstellung um so mehr eine Entdeckung. Er wird zu einer Reise zu den Ursprüngen der Emanzipationsbewegung, zu Personen und Figuren, die einst die Kleinbürger im Deutschen Kaiserreich erschreckten und dank Barbara Gauger nun wieder unter dem Teppich hervorkommen, unter den sie einst die Biedermänner kehrten. Da sind sie die „Malweiber in Möckmühl“, das Modell Ilona, die Nackttänzerinnen, die einst erotisierende Mode des Hosenrocks und Humpelrocks sowie mit Seidentuch umspannten Waden, Träumereien in Möckmühl und auf Capri.
Foto: Wecker
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Die skizzierten Personen gehörten im Kaiserreich einer Elite an, die einen exotischen Lebenswandel führte. Hermann Harry Schmitz war in Düsseldorf als „bunter Hund“ bekannt. Die feine Gesellschaft lud ihn gern als Spaßmacher ein. Er vermittelte ihr dafür das Gefühl der Kühnheit, wenn er für den Bühnenverein Laetitia „Märtyrerinnen der Mode“ auftreten ließ. Literarisch erlangte er als Autor von Grotesken Bedeutung. Er war mit der Gebrauchsgraphikerin vom Düsseldorfer Künstlerverein „Malkasten“ Ilna Wunderwald befreundet. Sie gehörten zu dem Düsseldorfer Künstlerkreis um die Theatergründerin Louise Dumont und den Galeristen Rudolf Flechtheim sowie dem Künstlersalon im Weinhaus „Rosenkränzchen“. Ilna Wunderwald machte auch als Diseuse von sich reden, wenn sie in der Wiener Fledermaus und im Berliner Ueberbrettl auftrat.
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Repro: Wecker
Marie Freiin von Berlichingen-Jagsthausen und Harriet Sundström stammen aus den literarischen Kreisen Süddeutschlands, der Künstlerkolonie Dachau und der Künstlerschule München. Marie Freiin von Berlichingen-Jagsthausen ist ein Nachfahre jenes Ritters mit der eisernen Hand, den Goethe durch seinen „Götz von Berlichingen“ zu ewigem Ruhm verhalf. Barbara Gauger arbeitet an diesen Persönlichkeiten heraus, was sie damals auch am äußeren Erscheinungsbild so ungewöhnlich machte: Tätowierungen, pfeiferauchende Frauen und Kurzhaarfrisuren, die erst viel später zur Mode wurden. Aber auch die Motive dieser Künstler holt sie in ihrer eigenen Bildsprache zurück, eher als kulturhistorische Studie denn als Karikatur oder gar als Gesellschaftskritik, wie sie damals empfunden wurden. „Gegenüber diesen Künstlern fühle ich mich wie eine nachgeborene Seelenschwester.“
Repro: Wecker
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Gerade diese ungewöhnliche Bildsprache ist es, die den betagten Galeristen ganz gegen seine Absicht, keine neuen Künstler mehr in sein Programm aufzunehmen, diese Ausstellung kuratieren ließ. „Als mir die Arbeiten von Barbara Gauger vorgelegt wurden, konnte ich einfach nicht nein sagen“, meinte Carlos Hulsch gegenüber dem Kiezer Weblog.
Die Ausstellung wird im Foyer des Abba Hotels in der Lietzenburger Straße 89 bis zum 13. Oktober gezeigt. Sie ist Montag bis Sonntag zwischen 10 und 22 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.carlos-hulsch.de.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 10. Juli 2018 - 00:02
Tags: ausstellung/galerie/malerei/zeichnung
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