Du süßer Vogel Jugend
Die Narren haben ja so recht: am Aschermittwoch ist alles vorbei, der Karneval, ein etwas bemühter Exzess, ist überstanden. Jetzt gibt es Hering und Graubrot, kein Fleisch mehr und Alkohol nur noch in Maßen. Überhaupt scheint der Zeitpunkt bestens geeignet, Vorsätze zu einer gesunden Lebensführung (neu) zu fassen. Und dazu gehört bei vielen der Wunsch nach einer schlanken Figur. Zwar tragen die Menschen noch weite Mäntel, Jacken und Pullover, die Hüftgold und Reiterhosen gnädig kaschieren. Aber wenn es mit dem Klimawandel so weiter geht wie bisher, steht der Frühling schneller ins Haus, als es den Fettpolstern lieb sein kann. Wie gut, dass just jetzt am Kaiserdamm Nr. 8 ein Kosmetik- und Massageinstitut eine neue Methode zum Gewichtsverlust annonciert.
Wer beim „Jungbrunnen“, so der Name des Hauses, an das berühmte Gemälde Lucas Cranachs d. Ä. von 1546 denkt, liegt falsch. Auf dem Bild, das in der Berliner Gemäldegalerie hängt, steigen runzlige und gebrechliche alte Frauen in einen rechteckigen Brunnen und verlassen ihn nach dem Bad als zarte Mädchen in ihrer Blüte. In der Gegenwart jedoch sind Jugend, Schönheit und Attraktivität ablesbar am Einsatz, den die und zunehmend auch der Einzelne ihnen zuliebe erbringt. Besagter Jungbrunnen am Kaiserdamm rückt nun den hartnäckigen Körperschwämmen mit einem Verfahren zuleibe, das für Astronauten in der Schwerelosigkeit entwickelt wurde. Einzelne Muskelgruppen werden durch gezielte Stromstöße stimuliert, es kommt zu zahllosen Kontraktionen, einem erhöhten Energieverbrauch und in der Folge zu einem stetigen Abschmelzen der unerwünschten Rettungsringe.
Märchenhaft, diese Theorie. Nachhaltiger Gewichtsverlust ohne Schweiß treibenden Sport, ohne Belastung der Gelenke, ohne plastische Chirurgie, noch dazu im Liegen. Der Markt für diese Dienstleistung sollte eigentlich vorhanden sein, schließlich hat die jüngst veröffentlichte Ernährungsstudie der Bundesregierung alarmierende Ergebnisse erbracht. So sind rund 50% der Frauen in Deutschland übergewichtig und sogar über 60% der Männer. Nur noch wenige Wochen, und die Frauenzeitschriften quälen ihre Leserinnen verlässlich mit den ewig gleichen Diäten (die außer dem Jojoeffekt und der Magersucht kaum etwas bewirken), während die Herrenjournale ihr Publikum mit geölten Waschbrettbäuchen beschämen. Wenn angesichts der Hochglanzfotos die eigene Sanduhrtaille unerreichbar scheint, mag so manche Frau sich überlegen, für eine Serie von 10 Behandlungen am Reizstromgerät stolze € 590,- zu investieren.
Doch vielleicht erschließt sich ihr auch der tiefere Sinn der beginnenden Fastenzeit, der 40 Tage im Hinblick auf Ostern (etwa bei Mt 4,1-4). Die Zeit der Mäßigung und der milden Askese hin zum Frühling kann den Blick für das Wesentliche schärfen, kann zum befristeten Verzicht auf so manche komfortable Überfrachtung des Alltags führen. Das kuriose Bauchabschmelzversprechen hingegen ist wie geschaffen für die Infantilen, die alles sofort, komplett und ohne Anstrengung haben wollen. Um wie vieles belebender ist dagegen regelmäßige Bewegung an frischer Luft. Und gerade hier im Kiez bietet es sich ja an, um den Lietzensee oder im Schlosspark zu laufen. Hinterher kann frau sich ja mit einer Massage, einer parfümierten Hautcreme oder einem Saunabesuch belohnen. Auch so ein Jungbrunnen.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Gesellschaft, Gewerbe im Kiez, Kiezreportagen - 07. Februar 2008 - 12:20
Tags: abnehmen/jungbrunnen/kaiserdamm
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