Im warmen Herz der Leere
Kunst und Geschichte sind in Berlin so allgegenwärtig und alltäglich, dass ihre Anwesenheit oft gar nicht mehr wahrgenommen wird. Gerade der Klausenerplatz-Kiez ist mit Museen und Galerien verwöhnt; die Krone gebührt selbstredend dem Gesamtkunstwerk des Schlosses Charlottenburg samt weitläufiger Parklandschaft, aber auch die Sammlung Berggruen, das Bröhan Museum und die im letzten Sommer hinzugekommene Sammlung Scharf-Gerstenberg funkeln prominent im Ensemble klassischer, moderner und zeitgenössischer Kunst und Architektur. Wer dieser Tage zwischen den Jahren im Kiez spazieren geht, kann ein leicht abseits gelegenes Kleinod auf dem Feld der Kunst entdecken: die Villa Oppenheim in der Schloßstraße 55, die eine Galerie für Gegenwartskunst beherbergt.
Der mit Freitreppen, Loggien, Säulen, Gesimsen und Portalen prunkende Neorenaissancebau wurde 1881 nach Plänen des Architekten Christian Heidecke errichtet. Zum weitläufigen Gelände gehörte seinerzeit auch ein großzügiger Garten, der heutige Schustehruspark. Seit 1844 war das Anwesen im Besitz des Bankiers Alexander Mendelssohn, der hier eine Sommerfrische für seine Familie bauen liess. Charlottenburg war Mitte des 19. Jahrhunderts eine kleine bäuerliche Stadt weit vor den Toren des expandieren Berlin und bei den reichen Bürgern als Ruhesitz beliebt. 1911, als Charlottenburg von der wuchernden Metropole längst verschluckt war, verkaufte der damalige Besitzer Otto Georg Oppenheim das Grundstück. Die im 2. Weltkrieg stark zerstörte Villa wurde zur 750-Jahr-Feier (West-)Berlins restauriert. Die erste Etage wird heute von der benachbarten Schule genutzt, im Parterre eröffnete 2005 die „villa oppenheim – Galerie für Gegenwartskunst“.
Die Galerieräume werden noch bis zum 15.02.2009 bespielt von Tacita Dean mit ihrer Ausstellung „In My Manor“. Die Schau versammelt unterschiedliche Arbeiten verschiedener Genres, die zwischen 2005 und 2008 entstanden sind. Die Arbeit „Die Regimentstochter“ ist eine Fährtenlese der besonderen Art: Dean hat Theater- und Opernprogramme der 1930er und 40er Jahre, die sie auf dem Flohmarkt fand, gerahmt, hinter Glas gesetzt und in Reihe gehängt. Aus den Programmen zu Opern von Verdi, Mozart und Wagner wurde von fremder Hand das Hakenkreuz hinaus geschnitten – das Dritte Reich wird in ihnen nicht nur via Frakturschrift und Aufführungsdatum, sondern vor allem über die Leerstelle seines Signets präsent. Eine weitere Arbeit besteht in der filigranen Übermalung sechs kleinformatiger Albumin-Abzüge aus dem Jahr 1875, die Bäume zu verschiedenen Jahreszeiten zeigen. Direkt auf Joseph Beuys und seine Installationen Bezug nehmen drei riesige Schwarz-Weiß-Fotografien, die aneinander lehnende Steine zeigen.
Tacita Dean wurde 1965 in Canterbury/England geboren, seit 2000 lebt und arbeitet sie in Berlin. Ausgebildet als Malerin und mittlerweile Mitglied der Akademie der Künste, arbeitet sie mit verschiedenen Medien wie dem Film, der Zeichnung und der Fotografie. Der Titel der aktuellen Ausstellung „In my Manor“ spielt augenzwinkernd mit den Bedeutungsebenen. Er kann als „auf meine Weise“ als auch „in meiner Villa“ verstanden werden. Für letztere Lesart spricht die karge Nutzung der unmöblierten Säle der Villa Oppenheim, die selbst zum heimlichen Star der Schau wird. Auf großzügig geschätzten 450 qm² sind äußerst sparsam die Exponate untergebracht, die in der Weite der überhohen Räume mit ihrem Parkettboden und vielfach gebrochenem Tageslicht aus allen Himmelsrichtungen fast verloren gehen. Die Zimmerflucht der Villa mit ihren weißen Wänden und Türen, ihren Erkern, Gelassen, Stiegen und Winkeln gemahnt an die gemalte Stille der bleichen Interieurs des dänischen Malers Vilhelm Hammershoi. Weitere minimalistische Arbeiten Deans, die 16 mm-Filme „Michael Hamburger“ und „Darmstädter Werkblock“ laufen in abgedunkelten Kabinetten und geben ihren Ton nur über Kopfhörer preis. Die suggestive, auf das Wesentliche reduzierte Ästhetik Tacita Deans kommt diskret und überraschend daher, sie lässt die Besucherin mit ihren Fragen und Eindrücken allein. Sie scheint darauf zu bauen, dass sie sich der meditativen Kraft der Werke zu überlassen traut. Ein heilsamer Kontrast zur medialen Reizüberflutung der Großstadt, wie geschaffen, den Lauf der Zeit für einen langen Moment aufzuheben.
villa oppenheim
Galerie für Gegenwartskunst
Schloßstraße 55
14059 Berlin
Telefon (030) 902 923 151
www.villaoppenheim.de
Geöffnet Dienstag bis Freitag von 10:00 bis 17:00
Samstag und Sonntag von 11:00 bis 17:00
Eintritt frei
Andrea Bronstering - Gastautoren, Kunst und Kultur - 02. Januar 2009 - 00:04
Tags: charlottenburg/klausenerplatz/tacita_dean/villa_oppenheim
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