Nordkorea: immer gut für eine Einmischung - Teil 3
(Schluß von Afghanistan, Iran, Nordkorea: immer gut für eine Einmischung)
Nordkorea kommt eigentlich nur dann in den Medien vor, wenn seine "Herrscherclique" "um sich schlägt", "Provokation an Provokation reiht" und den Weltfrieden durch ihr Nuklearprogramm oder Raketentests bedroht (so: Matthias Nass, Die feudale Atomacht, in Die Zeit Nr. 24 vom 4.6.2009). In einer Zeit, in der sich die USA und Rußland gegenseitig jeweils 1600 Langstreckenraketen mit bis zu 6000 Atomsprengköpfen genehmigen (im START-1-Vertrag, der dieses Jahr ausläuft und über dessen Nachfolger jetzt verhandelt werden soll; vgl. Der Tagesspiegel vom 4.7.2009, S. 6) - von den sonstigen Nuklearwaffen einmal ganz zu schweigen -, soll hier auf die Umstände des nordkoreanischen Atomprogramms geschaut werden.
Die 1945 im Norden Koreas von der SU eingesetzten koreanischen Führungsspitze ließ sich von zwei Grundsätzen leiten: man hielt einerseits an der traditionellen koreanischen Vorstellung von der "Einsiedler-Nation" fest und wollte andererseits die Gesellschaft sozialistisch ausrichten, womit man nicht einfach einen Auftrag der Besatzungsmacht SU umsetzte, sondern vorrangig den Wünschen und Bedürfnissen breiter Gesellschaftsschichten aufgrund ihrer Erfahrungen aus der Kolonialzeit entsprach (ähnliches galt mit Einschränkungen übrigens auch für den Süden). Es ging der nordkoreanischen Führung also um politische Selbstbestimmung durch Abgrenzung nach außen sowie Wandel der Gesellschaft im Innern - oder auf eine kurze Formel gebracht: "reiches Land, starke Armee".
Nach den immensen Verwüstungen durch den Koreakrieg (1950-1953) entwickelte sich der Norden zunächst schneller als der Süden. Mitte der 60er Jahre fingen jedoch allmählich wirtschaftliche Probleme an, vor allem in der Landwirtschaft: Um im dafür weniger geeigneten Norden die Nahrungsmittelproduktion zu steigern, war immer mehr Dünger und künstliche Bewässerung eingesetzt worden; dies führte zu fortschreitender Auslaugung der Böden und zu Erosion. Zu diesen selbstverursachten Problemen kam der Mangel an Energie, der noch wesentlich zunahm, als Ende der 80er Jahre die SU zusammenbrach und daher billige Öllieferungen ausblieben; gleichzeitig fiel auch der bisherige Ostblockmarkt für nordkoreanische Industriegüter weg. Der Niedergang der Landwirtschaft kumulierte schließlich in der Hungersnot Mitte der 90er Jahre mit geschätzten eine Million Toten.
Während Nordkorea sich auf diese Weise von dem Ziel "reiches Land" immer weiter entfernte, sah die Regierung es für notwendig an, immer Geld für das zweite Ziel "starke Armee" auszugeben: Seit dem Koreakrieg fühlte sich Nordkorea von den USA bedroht, was nicht unbegründet war, wenn man an den angedrohten Atomwaffeneinsatz in diesem Krieg denkt oder an die Interventionspolitik der USA in Mittelamerika und Karibik. Während der Kubakrise (1961) kam die Erfahrung hinzu, daß die SU kein verläßlicher Sicherheitsgarant ist. Weitere Befürchtungen wurden geschürt durch die kämpferisch antikommunistische Haltung der Regierung Park in Südkorea (1961-1979). Anfang der 90er Jahre revidierten die USA unter Clinton ihre Militärstrategie gegenüber Nordkorea dahingehend, daß für den 'Krisenfall' Präventivschlag und Einmarsch ins Auge gefaßt wurden. Schließlich ernannte Bush jun. Nordkorea 2002 zum Mitglied der "Achse des Bösen".
Selbst wenn die USA nie tatsächlich einen militärischen Angriff erwägt haben sollten, war diese Politik, die Nordkorea als Bedrohung verstehen mußte, bestens geeignet, das Land zu erheblichen finanziellen Aufwendungen zu veranlassen. Durch die kostspielige militärische Aufrüstung wurde sein wirtschaftlicher Niedergang noch forciert. In Verbindung mit weiteren, innerkoreanischen Gegebenheiten hat dies zum heutigen Zustand geführt, wo Nordkoreas Bevölkerung weitgehend verelendet ist und die verselbständigte Führungsgruppe ihr staatliches Überleben mittels atomarer Aufrüstung in den Mittelpunkt der Außenpolitik gestellt hat.
Schon früh war man in Nordkorea zu dem Schluß gekommen, man könne das Land am besten schützen, wenn man auch im Besitz von Nuklearwaffen sei. So wurde 1962 - als Reaktion auf die Kubakrise - der erste Reaktor gebaut und mit dem dabei gewonnenen Plutonium das Atomprogramm eingeleitet (ab 1984 kamen Raketentests hinzu).
Seitdem findet zwischen Nordkorea und den USA ein Poker statt. Ein erster Höhepunkt war die Nuklearkrise von 1993/94 (also die Zeit der Hungernot), als Nordkorea den USA den Verzicht auf seine Nuklearrüstung und die Rückkehr in den Atomwaffensperrvertrag anbot und die USA im Gegenzug Öl (das dringend für Nordkoreas Landwirtschaft benötigt wurde) und zwei Leichtwasserreaktoren (die weniger zur Herstellung von waffenfähigem Plutonium geeignet sind als herkömmliche Reaktoren) liefern wollten (Genfer Rahmenabkommen von 1994). Beide Seiten hielten sich jedoch nicht an das Abkommen: die USA, indem sie es nur zögerlich oder zum Teil gar nicht umsetzten in der Erwartung, Nordkorea würde sowieso bald zusammenbrechen, und Nordkorea, indem es insgeheim an einem neuen Kernwaffenprogramm arbeitete aus der Einschätzung heraus, sich sonst verwundbar zu machen.
Seit 2002 pendeln die außenpoltischen Beziehungen der beiden Seiten in zusehend schnellerem Rhythmus zwischen nordkoreanischen Angeboten zur Einstellung des Atomprogramms und seinen Atomwaffen- und Raketentests sowie Angeboten der USA zu 6-Parteien-Gesprächen und von ihnen initiierten Sanktionsbeschlüssen des UN-Sicherheitsrats. Im Augenblick (Juli 2009) ist das Pendel ganz in Richtung Verhärtung ausgeschlagen; die Politiker auf beiden Seiten 'zeigen Stärke'.
Die veröffentlichte Meinung in den Medien ist geprägt von "tiefer Besorgnis der gesamten Weltöffentlichkeit" über Nordkoreas Nuklearprogramm und seine Gefahr für den Weltfrieden. Dabei zeigen Analysen (vgl. Der Tagesspiegel vom 28.5.2009: Die nächste Stufe), daß die nordkoreanische Armee zwar zu den weltgrößten gehört, ihre Kampfkraft aufgrund mangelhafter Ausbildung und völlig veralterten Materials jedoch als gering eingeschätzt wird und sie der südkoreanischen deutlich unterlegen ist; "über militärisch einsetzbare Nuklearwaffen verfügt Nordkorea derzeit nicht".
Wenn also Nordkorea vom Militärpotential als solchem her gesehen keine derartige Gefahr darstellt (es sei denn, seine Führung beginnt tatsächlich unter weiterem internationalen Druck militärisch "um sich zu schlagen"), warum gehen die USA dann auf die lange erhobenen Forderungen nach bilateralen Verhandlungen, die nach nordkoreanischer Vorstellung zu einer formellen Sicherheitsgarantie der USA führen sollen, nicht ein? Stattdessen stellte Bush jun. für Nordkorea unerfüllbare Vorbedingungen (völlige und unumkehrbare Beendigung seines Atomprogramms), und sein Nachfolger Obama ignorierte sie (bisher).
Dabei stellt die südkoreanische Zeitung Hankyoreh fest:
"Historisch gesehen erhöht Nordkorea sein Atompotential stets in Zeiten von Sanktionen und politischem Druck. Abgeschwächt wurde es hingegen immmer dann, wenn Dialoge und Verhandlungen geführt wurden." (Deutschlandfunk, internationale Presseschau, 27.5.2009, 12.50)
Der Schluß liegt nahe, daß den USA die Atompolitik Nordkoreas insofern zupaß kommt, als sie genutzt werden kann als Mittel zur weiteren Destabilisierung der Landes bis hin zu seiner völligen Beseitigung (in der Erwartung, den US-amerikanischen Einflußbereich bis an die chineische und russische Grenze ausdehnen zu können). Dazu sind 'Partner' gut, weswegen Obama Nordkorea die Fortführung der 6-Parteien-Gespräche anbietet, also einschließlich Chinas und Rußlands, die mithilfe der Weltmeinung dazu gedrängt werden sollen, 'Verantwortung' zu übernehmen und Nordkorea z.B. durch Lieferstops für Öl u.a. weiter zu schwächen. Allerdings können beide an Nordkoreas Zusammenbruch kein Interesse haben, weil es ihnen als Puffer zum US-amerikanischen Einflußbereich dient.
Bezeichnend ist dabei, daß die USA und auch Rußland als Vorkämpfer für ein atomwaffenfreies Nordkorea genau die beiden Staaten sind, die überhaupt erst die Voraussetzungen für die heutige Situation geschaffen haben und die außerdem selbst die meisten Atomwaffen weltweit besitzen: Sie beide - mit den USA als wichtigstem Gegenspieler Nordkoreas an erster Stelle - tragen ja durch die Besetzung Koreas 1945 und die weitere nachfolgende Politik der Einmischung die Hauptverantwortung dafür, das Korea seit über 60 Jahren geteilt ist, daß sich dort zwei hochgerüstete Staaten in Feindschaft gegenüberstehen, was eine ständige Gefahr für den Weltfrieden darstellt, und daß im Nordteil 22 Millionen Menschen im Elend leben. Diese Verantwortung wird von den Politikern und den Medien hierzulande nicht nur verschwiegen, sondern auf den Kopf gestellt. Wie oben gezeigt, nützen sie damit denjenigen, die von außen in Korea ihre eigenen Interessen verfolgen, und schaden dem korreanischen Volk, besonders im Norden.
Um die Atomrüstung in Nordkorea zumindestens zu reduzieren und gleichzeitig Spielraum für die Verbesserung der Lage seiner Bevölkerung zu schaffen, bleibt nur der von der südkoreanischen Zeitung (s.o.) aufgezeigte Weg - und das heißt: direkte Verhandlungen der USA mit Nordkorea, an deren Ende die geforderten Garantien stehen, sowie Aufhebung der UN-Sanktionen. Letztlich läuft es darauf hinaus, daß die Einmischung in die Angelegenheiten Koreas von seiten anderer Staaten mithilfe der Medien aufhören muß und den Koreanern, im Norden wie im Süden und schließlich gemeinsam, Raum gegeben wird, über ihre Zukunft selbst zu entscheiden.
Literatur (mit Hinweisen auf weitere Literatur):
Marion Eggert/Jörg Plassen, Kleine Geschichte Koreas, München (Beck) 2004 (Stadtbücherei: G 630 Egge)
Hans W. Maull/Ivo M. Maull, Im Brennpunkt: Korea, München (Beck) 2004 (G 630 Maul)
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Gesellschaft, Politik - 10. Juli 2009 - 00:02
Tags: afghanistan/iran/korea/koreakrieg/nordkorea/südkorea
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