Leseempfehlung (6): Deutsches Militär auf drei Kontinenten
In diesem September war Afghanistan wieder ein wichtiges Thema in Deutschland (Stichworte: Tanklasterbombardierung, Al-Qaida-Drohungen). Die Entwicklung läßt sich knapp so zusammenfassen: Die SPD-Grünen-Regierung schickte im Dezember 2001 die Bundeswehr nach Afghanistan, um - wie es hieß - "Deutschlands Sicherheit am Hindukusch zu verteidigen"; acht Jahre später führen deutsche Sodaten den Tod einer Vielzahl von afghanischen Zivilisten herbei, um "erheblichen Gefahren für die eigene Sicherheit zuvorzukommen" (4.9.), und kurz darauf bedroht Al Qaida die Sicherheit in Deutschland, falls die Bundeswehr nicht nach den Bundestagswahlen abgezogen wird (19.9.). Natürlich verlangen jetzt verschiedene Politiker, Militärs und Journalisten eine Aufstockung der Bundeswehr in Afghanistan, um mehr Sicherheit zu schaffen, wie sie sagen.
Dieses aktuelle Beispiel, in dem es um die Schaffung von 'Sicherheit' mit militärischen Mitteln geht, wirft natürlich eine Menge von Fragen auf. Eric Chauvistré konzentriert sich in seinem Buch dabei auf die folgende: "Kann die Bundeswehr die (ihr) politisch gesetzten Ziele überhaupt erreichen?" (Seite 21) (Alle anderen Gesichtspunkte, also die Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes oder die dabei verfolgten globalstrategischen Ziele , läßt er beiseite.) Zu diesem Zweck untersucht er die jeweiligen Aufträge des Bundestags und die Ergebnisse der deutschen Militäreinsätze im Kosovo (schon seit zehn Jahren), in Afghanistan (seit fast acht Jahren) und im Kongo (Frühjahr 2006) und schaut dabei auch auf das große Vorbild USA (vom Golfkrieg 1991 bis heute). Sein Ergebnis: die Bilanz ist durch die Bank verheerend; jedesmal klafft eine gewaltige Lücke zwischen öffentlich geäußertem Ziel und Resultat. Anhand der USA zeigt er die wirtschaftlichen, menschlichen und psychischen Folgen auf. (Was die BRD betrifft, so wird jetzt Ende September auf die rasch wachsende Anzahl von traumatisierten Bundeswehrsoldaten aus dem Afghanistaneinsatz aufmerksam gemacht.)Eric Chauvistré geht jedoch weit über eine bloße Bilanzierung hinaus, indem er veranschaulicht, wie die BRD seit 1999 mehr und mehr zu einem Staat umgebaut wird, für den es eine Selbstverständlichkeit ist, weltweit Kriege zu führen. Dazu einige wenige Beispiele aus dem Buch:
- Die "Verteidigungspolitischen Richtlinien" von 2003 schreiben die Umwandlung der Bundeswehr von einem Instrument der Landesverteidigung zu einer Interventionsarmee fest.
- Das "Weißbuch 2006" (also die offizielle Beschreibung der deutschen Militärpolitik) stellt einen umfassenden Katalog von globalen Sicherheitsrisiken an den Anfang, darunter u.a. Seuchen, Energiesicherheit und Globalisierung, die Anlaß für weltweites militärisches Eingreifen sein können. Die dazu notwendigen 'Fähigkeiten' der Bundeswehr werden derweilen durch Ausweitung der Lufttransportkapazitäten und Aufrüstung der Bundesmarine hergestellt.
- Das "Europäische Weißbuch 2004" des "Instituts für Sicherheitsstudien der EU" in Paris entwickelt Szenarien z.B. für einen Militäreinsatz gegen einen Ölstaat im Indischen Ozean.
- Die Gewöhnung der Deutschen an Krieg durch "menschenfreundliche" Gründe für den Bundeswehreinsatz (Kosovo), schleichende Ausweitung des Einsatzgebiets (Afghanistan) und der Ziele (K.), der Anzahl der eingesetzten Sodaten (A.), der Dauer (K., A.) und durch die Wortwahl: z.B. "friedenserzwingende Maßnahmen" oder "robuste Einsätze" statt Krieg.
Wenn man dieses Buch liest, das im Grunde genommen nur die eigentlich öffentlich zugänglichen Fakten zusammenträgt, könnte man sich beunruhigt fragen: Wieso hört man von all dem sowenig in den deutschen Medien (von den allermeisten Politikern natürlich zu schweigen)?
Eric Chauvistré, Wir Gutkrieger. Warum die Bundeswehr im Ausland scheitern wird, Campus (Ffm.) 2009, 188 Seiten, 17,90 Eu (aus Geldmangel bisher nicht in der Stadtbücherei)
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Gesellschaft, Politik - 26. September 2009 - 00:34
Tags: afghanistan/afghanistankonflikt/bundeswehr/hindukusch
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