Leseempfehlung (7): 81 Jahre "Im Westen nichts Neues"
Es ist verboten zu töten; daher
werden alle Mörder bestraft, die
nicht kompanieweise und zum Klang
von Trompeten töten.
(Voltaire, Philosophisches Wörter-
buch, 1764)
Nach dem Zweiten Weltkrieg dauerte es 54 Jahre, bis - nach einer grundlegenden Veränderung der Kräfteverhältnisse auf der Welt einschließlich dem Anschluß der DDR an die BRD - eine deutsche Regierung (SPD, Grüne Partei) zum ersten Mal wieder Soldaten zum militärischen Einsatz in einen Krieg schicken konnten (Kosovo 1999). Zu grauenvoll und verbrecherisch war dieser Krieg gewesen, und zu sehr war das, was Krieg heißt, für jeden einzelnen auch weitab von der Front ganz unmittelbar erlebbar gewesen.
Nach dem Ersten Weltkrieg dauerte es hingegen nur 18 Jahre, bis die damalige deutsche Regierung (NSDAP) wieder im Ausland militärisch aktiv wurde (Spanischer Bürgerkrieg 1936). Die Stimme des Militarismus war nach der Kapitulation vom November 1918 nie verstummt, auch wenn man zunächst gezwungen war, sich für die Niederlage zu rechtfertigen (Hindenburg, Ludendorff). Andere hielten durch heroische Kriegsberichte den Revanchegedanken am Leben, z.B. Ernst Jünger in seinem 1920 veröffentlichten Tagebuch In Stahlgewittern:
"Der Krieg, aller Dinge Vater, ist auch unserer; er hat uns gehämmert, gemeißelt und gehärtet zu dem, was wir sind ... Er hat uns erzogen zum Kampf, und Kämpfer werden wir bleiben, solange wir sind."
Allgemein bestand in diesen Jahren der Weimarer Republik jedoch wenig
Interesse an Kriegsliteratur; wichtiger war es, zu überleben, wieder im
Zivilleben Fuß zu fassen und eine Existenzgrundlage zu finden. Zwar
stabilisierte sich nach der Inflation (1923) allmählich die
wirtschaftliche und soziale Lage, aber
das galt bei weitem nicht für alle (siehe beispielsweise Alfred
Döblins Schilderung in Berlin
Alexanderplatz aus dem Jahr 1929). Und schon vor der
Weltwirtschaftskrise (1929) stieg wieder die Arbeitslosigkeit, und die
Löhne stagnierten bestenfalls. Zehn Jahre nach Kriegsende war die
Gegenwart schwierig, die Zukunft wenig aussichtsreich; Ernüchterung
machte sich breit. Es brach die Zeit der großen literarischen Erfolge
der Antikriegsliteratur an, wie Ernest Hemingways In einem
anderen Land (A Farewell to Arms) und Im Westen nichts
Neues von Erich Maria Remarque.
Damals im Lazarett hatte Remark die Idee, sich mit dem Krieg literarisch auseinanderzusetzen. Der Stoff blieb aber bis 1928 liegen; stattdessen suchte auch er nach einem Brotberuf - als Werbetexter bei Continental und dann als Redakteur bei Sport im Bild - und publizierte (seit 1922 unter dem Namen Erich Maria Remarque) anderweitige Texte. Warum er 1928 das Thema erneut aufgriff, ist - trotz aller Legendenbildung - letztlich ungeklärt. Jedenfalls wurde das Manuskript vom Propyläen-Verlag (Ullstein) angenommen, Remarque zur deutlichen Entschärfung der kriegskritischen Passagen veranlaßt und der Roman in der Vossischen Zeitung (ebenfalls Ullstein) Ende 1928 vorabgedruckt. Im Buchhandel erschien er dann im Januar 1929.
"Es muß mit aller Entschiedenheit dagegen Front gemacht werden, die Erinnerung an diese Leistungen (der deutschen Soldaten) jetzt einseitig zu benutzen, den Krieg zu verherrlichen und darüber den grenzenlosen Jammer zu verkleinern, den er geschaffen hat." (Februar 1931)
Das Buch wurde 1933 verboten und verbrannt, Remarque 1938 zwangsausgebürgert. Er war schon 1931 in die Schweiz emigriert, 1939 dann in die USA. In beiden Ländern unterstützte er deutsche Emigranten. Nach dem Krieg schrieb er gegen das Vergessen und Verdrängen der Zeit des Nationalsozialismus an, wofür er in der BRD der 50er Jahre stark angefeindet wurde. Er starb 1970 in der Schweiz.
Literatur zum Buch (in der Stadtbücherei):
Tilman Westphalen, Ein Simplicissimus des 20. Jahrhunderts (Nachwort) in: E.M.R., Im Westen nichts Neues, KiWi 494 (SL Rema)
Thoma Schneider (Hg. und Einleitung), E.M.R. Ein militanter Pazifist. Texte und Interviews 1929-1966, KiWi 340 (L555 Rema)
Thomas Schneider (Hg.), E.M.R. Ein Chronist des 20. Jahrhunderts. Eine Biographie in Bildern und Dokumenten, Rasch-Verlag (L555 Rema)
Peter Bekes, E.M.R. Im Westen nichts Neues, Oldenbourg Interpretation Bd. 90 (L555 Rema)
MichaelR
Michael R. - Gastautoren, Kunst und Kultur - 03. Februar 2010 - 00:02
Tags: antikriegsliteratur/erich_maria_remarque/erich_paul_remark/remark/remarque
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