Der goldene Westen
Der Kaiserdamm, Teil der stark befahrenen, in westlicher Richtung ansteigenden Magistrale, bildet den Südrand des Gevierts des Klausenerplatz-Kiezes. An einem hellen Sonntagmorgen ohne Autoverkehr bietet er einen grandiosen Blick hinab bis zur Siegessäule, bei Regen steht das Wasser knöcheltief in den Spurrillen. Der Name der 1906 eröffneten Prachtstraße, gegen dessen geplante Änderung in „Adenauerdamm“ die Westberliner Bevölkerung 1967 erfolgreich protestierte, steht für das vornehme Charlottenburg zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Prächtige Bürgerhäuser mit endlos großen Wohnungen hinter reich verzierten Fassaden entstammen einer Epoche, als der Kaiserdamm noch ein Flanierboulevard war. Am Haus Nr. 28 erinnert eine Gedenktafel an den Schriftsteller Alfred Döblin, der hier von 1930 bis 1933 lebte und als Neurologe praktizierte.
Alfred Döblin wird 1878 in Stettin in eine bürgerliche jüdische Familie geboren. Er kommt 1888 mit seiner Mutter nach Berlin. Nach seinem Medizinstudium arbeitet er von 1911 an als Nervenarzt in Lichtenberg. 1910 beginnt seine Mitarbeit an der neu gegründeten expressionistischen Zeitschrift „Der Sturm“, nach dem Krieg engagiert er sich auf dem linken Flügel der Sozialdemokratie. Der Erfolg seines Romans „Berlin Alexanderplatz“ von 1929 macht ihn weltberühmt. Nach dem Reichtagsbrand 1933 flieht er über Zürich, Paris und Lissabon in die USA, seine Bücher werden von den Nationalsozialisten verbrannt. Während des Exils arbeitet er als Drehbuchautor in Hollywood, 1941 tritt er in die römisch-katholische Kirche ein. Nach Kriegsende kehrt er nach Europa zurück. Aus Enttäuschung über die restaurativen Tendenzen in Deutschland siedelt er nach Frankreich über. Alfred Döblin stirbt 1957 im badischen Emmendingen an Parkinson.
Döblins Name ist bis heute untrennbar verbunden mit „Berlin Alexanderplatz“. Der Roman, bereits 1931 mit Heinrich George und dann 1980 mit Günter Lamprecht verfilmt, erzählt die Geschichte von Franz Biberkopf. Der traurige Held scheitert beim Versuch, ein anständiges Leben zu führen. Aus dem Gefängnis kommend, findet er nur Kontakt zu professionellen Kriminellen, deren Sog er sich nicht entziehen kann. Apokalyptisch das Kapitel über Biberkopfs Arbeit im Berliner Schlachthof, an den noch heute die Stahlskelette der Hallen am S-Bahnhof Storkower Straße gemahnen: „Im Nebel gehst Du durch den Saal. Die Steinplatten sind gerieft, sie sind feucht, auch blutig. Zwischen den Ständern die Reihen der weißen ausgeweideten Tiere. Hinten müssen die Totschlagsbuchten sein, da klatscht es, klappt, quiekt, schreit, röchelt, grunzt. Da stehen dampfende Kessel, Bottiche, von da kommt der Dampf.“
Anders etwa als Thomas Mann oder Robert Musil in jenen Jahren, komponiert Döblin keine artifizielle Innenwelt der Ästheten und Intellektuellen, sondern zeigt in krudem Naturalismus die verzweifelte Seite der Weimarer Republik. Dabei springt er virtuos zwischen verschiedenen Sprachebenen, dem Rotwelsch der Halbwelt, dem Jiddisch der Aschkenasim im Scheunenviertel, dem Befehlston der Behörden und der alttestamentarischen Wucht des unabwendbaren Schicksals. Erstmals in einem deutschsprachigen Roman wendet Döblin die literarischen Techniken der Montage, des Bewusstseinsstroms und des Wechsels der Erzählperspektiven an. Seiner beißenden Kritik der sozialen Verhältnisse geht jegliche Hoffnung auf eine bessere Welt ab, wie sie typisch ist etwa für die Dramen Bertolt Brechts. Die Großstadt, das Hauptsubjekt des Romans, wird von Döblin als kreischende Maschine beschrieben, deren Räder Franz Biberkopf zermalmen. Der Autor wusste wohl genau, warum er seinen wegweisenden Roman nicht „Berlin Kaiserdamm“ betitelte.
Andrea Bronstering - Gastautoren, Geschichte, Kunst und Kultur - 06. Mai 2008 - 00:14
Tags: alfred_döblin/kaiserdamm/klausenerplatz
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