Offener Brief an Frau Radziwill (SPD) - die Antwort
Die Antwort von Frau Ülker Radziwill (SPD) auf den offenen Brief der BI Charlottenburg Bürger gegen Mietervertreibung und Mietenexplosion.
Sehr geehrter Herr Sanden,
gerne antworte ich Ihnen auf Ihren offenen Brief. Vielleicht bin ich aber auch nicht die wirkliche Adressatin die Sie meinen. Sie sprechen eine “Bausprecherin“ an; diese bin ich nicht und war es auch nicht. Ich bin vielmehr die sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion.
Als solche habe ich aber immer die Auffassung vertreten, dass Mieten-, Bau- und Sozialpolitik nicht voneinander zu trennen sind, da sie große Schnittstellen aufweisen. Ich nutze deshalb jetzt die Gelegenheit um auf einige Aspekte Ihres Briefes einzugehen.
Vorweg: Sie werfen der Senatorin ein „grausames Spiel“ vor. Sie begründen es im Wesentlichen mit explosiv steigenden Mieten. Ich gebe Ihnen zu Ihrer Begründung, nicht aber der Schlussfolgerung, Recht. Es besteht die Gefahr der Vertreibung, nicht nur sozial schwächerer sondern auch mittlerer Verdiener aus Innenstadtlagen, auch aus Charlottenburg-Wilmersdorf.
Wir müssen nicht nur auf die Unruhen in London in den vergangenen Wochen, oder in die Pariser Banlieues (Vororte) vor einiger Zeit schauen, um erahnen zu können, welche sozialen Sprengfässer aus derart entmischten Stadtteilen und einer segregierten Stadt entwachsen können. Hier muss gegengesteuert werden, und zwar massiv. Auch müssen Ross und Reiter genannt werden für diese Entwicklung. Einen Namen werden Sie dabei in diesem Brief vielleicht vermissen, denn sie ist weder Ross noch Reiter: den von Senatorin Ingeborg Junger-Reyer. Warum? Mietsteigerungen können verschiedene Ursachen haben.
Es kann sich zum einen um „normale Mietsteigerungen“ handeln, die das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) zulässt. Derzeit um bis zu 20% in 3 Jahren, nur begrenzt durch den Mietspiegel.
Mietpreissteigerungen können auch entstehen, wenn die Möglichkeit genutzt wird, um bei der Neuvermietung ordentlich „eins draufzulegen“. Das hierbei Berlin in besonderem Maße davon betroffen war, liegt auf der Hand. Es hat nach der Wende ein enormen Bevölkerungsaustausch stattgefunden, über eine Million Menschen, der immer noch anhält. Bevölkerungsaustausch bedeutet nämlich auch, dass bei einem Umzug Wohnungen verlassen werden und dann in der Regel mit einer höheren Miete neu vermietet werden.
Mietpreissteigerungen können auch dann entstehen, wenn sich das Wohnraumangebot verknappt. Das entspricht dem Prinzip der kapitalistischen Warenwirtschaft, bei der eine Verknappung von Waren zu einer Erhöhung des Warenpreises führt. An diesen Punkten muss gehandelt werden.
Ich hatte deshalb vor drei Jahren vorgeschlagen, weitreichende Änderungen des Mietrechtes vorzunehmen. Unter anderem schlug ich vor, die Möglichkeiten für Mieterhöhungen massiv einzudämmen; sowohl laufender Mietverhältnisse, als auch bei Neuvermietungen. Der Tagesspiegel schrieb in einem Kommentar dazu: Die linke Abgeordnete Ülker Radziwill legt mit diesen Vorschlägen die Axt ans bestehende Mietrecht. Recht hatte der Kommentator. Eine Änderung dieses Mietrechtsbestimmungen muss auf Bundesebene erfolgen, denn das BGB ist ein Bundesgesetz. Auf meine Initiative hat schließlich das Land Berlin im Bundesrat beantragt, diese Bestimmungen des BGB zu ändern. Zukünftig sollen statt in 3 Jahren um 20%, Mietsteigerungen nur noch 15% betragen dürfen, dies auch nur innerhalb von 4 Jahren und zudem auch begrenzt durch die ortsübliche Vergleichsmiete. Bis dahin wird noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten sein. So hört man mitunter, dass in München die Mieten doch noch höher sind. Dazu kann ich nur sagen: welch ein Schmarrn! Wenn woanders die Lage „sauschlecht“ ist, muss es nicht überall so werden. Nebenbei: ich hätte nichts dagegen, wenn in Berlin auch so hohe Löhne und Gehälter gezahlt werden könnten, wie in München.
Einer Warenverknappung begegnet man, in dem man mehr Ware auf den Markt wirft; ein altes kapitalistisches Prinzip. Nur: Wohnungen sind nicht von heute auf Morgen zu bauen. Es gibt zum Teil langwierige Baugenehmigungsverfahren, gegen die – was nur zu oft geschieht – Nachbarn Rechtsmittel einlegen können. In Zeichen einer Wirtschaftskrise tun sich Banken damit schwer, Bauprojekte zu kreditieren; private Bauherrengemeinschaften können davon ein Lied singen. Zu guter Letzt müssen wir noch die Bauzeit drauf schlagen. Das muss man realistisch sehen, soll aber nicht abhalten.
Wir als SPD haben als weiteren Schritt beschlossen die Anzahl der bisherigen 270.000 landeseigenen Wohnungen um 30.000 durch Neubau auf 300.000 zu erhöhen. Als weitere Maßnahme, um Mietwohnungen am Markt zu halten, hat die Senatsverwaltung unter anderem für Charlottenburg-Wilmersdorf (und fünf weitere Bezirke) eine Satzung verabschiedet, wonach eine 7 Jährige Schutzfrist für Mieter bei Umwandlung ihrer Wohnung in Eigentumswohnung besteht. In dieser Zeit kann keine Kündigung wegen Eigenbedarf ausgesprochen werden. Unter Berücksichtigung der anschließend zu berücksichtigenden Kündigungsfristen sind Mieter damit bis zu 8 Jahren vor einer Vertreibung aus Ihrer Wohnung gesichert. Eine „schnelle Mark“ ist damit für Spekulanten nicht zu machen.
Schutz vor Vertreibung, auch durch ungebremste Mieterhöhung könnten baurechtliche Maßnahmen bieten, wie Veränderungs- oder Sanierungssatzungen. Nur: diese müssen im Rahmen der baurechtlichen Vorschriften ergehen; bei diesen handelt es sich - hier einschlägig – um Bundesrecht. Wenn Berlin diese Instrumentarien schärfer fasst, als sie das Bundesrecht ermöglicht, besteht die Gefahr, dass sie vom Verwaltungsgericht aufgehoben werden. Es wäre nicht das erste mal, dass dem Land in Sachen Mieterschutz dort etwas um die Ohren fliegt. Unter Umständen gar mit der Konsequenz, schadensersatzpflichtig gegenüber Spekulanten geworden zu sein. Will man hier Verbesserungen zu Gunsten von Mietern erreichen, muss man an das Bundesrecht heran. Realistisch also nicht vor 2013.
Bei all dem darf man nicht schweigen, werde ich nicht schweigen! Es schreit nach Veränderungen. Der Senatorin Ingeborg Junger-Reyer tun sie allerdings mit Ihrem Vorwurf unrecht.
So weit und nicht so gut: Ich sehe ein noch größeres Problem in den nächsten Jahren auf die Mietentwicklungen zu kommen, wenn sich manch Vorstellung einer energetischen Sanierung durchsetzen wollte. Es war in diesen Tagen in der Presse zu lesen, dass die Grünen Kandidatin Künast die Auffassung vertrat, es müsste die sogenannte energetische Sanierung stark forciert werden und zur Begründung angab, dadurch würden die Nebenkosten sinken. Aber: was ist mit den Modernisierungskosten? Diese werden nämlich auf die Miete umgelegt. Nach den Vorstellungen der Grünen soll jede Maßnahme erlaubt werden, wenn sie nur hilft, ein paar Gramm Kohlendioxyd zu ersparen. Ob die Kosten sich durch geringere Nebenkosten rentieren, soll keine Rolle spielen. Die Folge wird eine gewaltige Mietexplosion werden. Ich vertrete die Auffassung, dass Mieterschutz vor dem Kampf um die letzte Energieeinsparungsmöglichkeit stehen muss. Ökologie darf nicht zur Folge haben, dass Menschen vertrieben werden, weil ihr Wohnraum unbezahlbar geworden ist.
Soweit energetische Modernisierungen dann noch unumgänglich sind, werden dadurch ausgelöste Mehrkosten abgefedert werden müssen. Die SPD hat dazu im Wahlprogramm vieles beschlossen.
Sehr geehrte Herr Sanden, die SPD ist nicht verloren und sie wird auch nicht verlieren. Sie ist und bleibt die Partei der Mieter. Ich verstehe, wenn empörte und wütende Menschen ihre Stimme erheben. Sie werden von mir gehört und Ihr Anliegen ist von mir schon aufgegriffen.
Mit freundlichem Gruß
Ihre Ülker Radziwill
Sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus
28.08.11
BI Charlottenburg - Gastautoren, Politik - 02. September 2011 - 18:45
Tags: berlin/bürgerinitiative/charlottenburg/gentrifizierung/mieten/mietspiegel/spd
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