SPD Charlottenburg erklärt das ehemalige Volkshaus zu ihrer alleinigen Heimstätte
Am Samstag, den 10.9.11 um 13 Uhr weihte die versammelte SPD-Honoratiorenschaft vor der heutigen Jugendverkehrsschule des Bezirkes eine Gedenkstele zur Erinnerung an das ehemalige Volkshaus in der Loschmidtstraße (vormals Rosinenstraße) ein. Die 35 Anwesenden waren fast durch die Bank nur SPD-Funktionsträger aus Senat, Abgeordnetenhaus, Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf, BVV und örtlichen SPD-Abteilungen.
Die Reden hielten die BVV-Vorsteherin Frau Dr. Suhr (gleichzeitig Gedenktafelkommissions-Vorsitzende (SPD)) und Dr.Wörmann (von „Arbeit und Leben“ und ausgewiesener Kenner der Geschichte der Arbeiterbewegung in Charlottenburg). Die Stele selber wurde anschließend von Frau Thiemen (Bezirksbürgermeisterin (SPD)) enthüllt. Flankiert von einer Traditionsfahne der SPD, hoben der Text der Gedenkstele und die Ansprache der BVV-Vorsteherin die alleinige Bedeutung der SPD für die Gründung des Volkshauses heraus. Es war Herrn Wörmann vorbehalten, auf die Rolle der Gewerkschaften und der gesamten Arbeiterbewegung in ihren genossenschaftlichen Formen für das Volkshaus hinzuweisen.
Dort, wo sich heute eine Jugendverkehrsschule befindet, stand von 1904 bis in den Zweiten Weltkrieg hinein das Volkshaus, auch Gewerkschaftshaus genannt. 1933 benannten die Nazis das Haus nach einem der Ihren um, ebenfalls die vorgelagerte Straße, und richteten dort ein „wildes KZ“ ein, in dem politische Gegner gequält und mehrere ermordet wurden. Sogar ein „Revolutionsmuseum“ entstand, bis das zerbombte Haus in allgemeine Vergessenheit geriet und nach dem Krieg abgerissen wurde.
Vor 25, 20 und 15 Jahren gab es vereinzelte Publikationen zum Volkshaus. Immer wieder erinnerten sich auch einzelne Bürger an den Ort und seine historische Bedeutung. Geschehen ist in der ganzen Zeit nichts. Jahrzehntelang hielt die SPD nichts von Erinnerungskultur, bis auf das Drängen von Bürgern - vor nunmehr sieben Jahren! - ein BVV- Beschluss zustande kam, der aber dann erneut irgendwo liegenblieb und erst im Herbst 2010 in der Gedenktafelkommission endlich ernsthaft diskutiert wurde. Aber wieder geschah dies nicht auf Initiative der SPD, sondern es waren Bürger, die eine Projektgruppe gegründet hatten und sich um Text, Gestaltung und Finanzierungsmöglichkeiten kümmerten und im April dieses Jahres der Kommission einen Vorschlag für die Gedenkstele vorlegten. Die Kommission empfahl dem Kunstamt diesen Vorschlag auszuführen.
Einige Monate später jedoch entdeckte die Partei plötzlich den nahenden Wahltermin, das Ende der Legislaturperiode und damit das gleichzeitige Ende der Tätigkeit der bisherigen Leitung der Gedenktafelkommission. Kurzerhand wurde Abstand genommen vom Vorschlag der Projektgruppe, und es wurde hoppladihopp in der SPD Geld gesammelt, um eine vereinfachte Version der Gedenkstele mit einer einseitigen Konzentration auf die Rolle der SPD durchzusetzen – ohne die Gedenktafelkommission noch einmal einzuberufen.
Die Bürger wehrten sich – vergeblich -, fühlten sich von der SPD ausgetrickst und konnten nur während der Einweihungsfeier ein kritisches Flugblatt verteilen.
Zur Information
Gedenkstele für das ehemalige Volkshaus
Anmerkungen der „Initiative Charlottenburger Widerstand“ zur Aufstellung einer Gedenkstele am 10.September 2011 vor der Jugendverkehrsschule in der Loschmidtstr. 6-10
Wir begrüßen es, dass das ehemalige Volkshaus mit einer Gedenkstele gewürdigt wird.
Trotzdem möchten wir anlässlich der Enthüllung auf Folgendes aufmerksam machen:
Bereits 2004 wurde von engagierten Bürgern der Anstoß zu Erinnerung an das Volkshaus gegeben. Aber erst fast sieben Jahre später – im April 2011 – beschloss die Bezirks-Gedenktafelkommission (GTK) den Textvorschlag der Bürger und gab ein positives Votum für die Gestaltung ab.
Einzelheiten der Umsetzung sollten noch geklärt werden. Die Finanzierung durch Senatsmittel und durch Spenden bekannter Institutionen war von der Projektgruppe in die Wege geleitet worden.
Umso erstaunlicher war es daher, dass die Vorsitzende der GTK – nach einer Phase des Abwartens – den erreichten Konsens beiseite schob und einen neuen, eigenen Gedenktafelentwurf in Auftrag gab. Selbst auf Bürgerbefragen teilte sie in der August-Sitzung der BVV weder Informationen über den Text noch über die gestalterische Ausführung der Stele mit.
Aufgrund der Ankündigung der Pressestelle zur heutigen Enthüllung ist zu befürchten, dass das Volkshaus als ein „Haus der SPD“ vorgestellt wird – passend eine Woche vor den Wahlen zum Abgeordnetenhaus von Berlin und zur BVV Charlottenburg-Wilmersdorf.
Wie einleitend schon gesagt, begrüßen wir, dass an das ehemalige Volkshaus erinnert wird. Aber wir sind nicht damit einverstanden,
- dass engagierte Bürger erst fast sieben Jahre darauf warten müssen, ehe der BVV- Beschluss umgesetzt wird,
- dass der von der GTK akzeptierte Vorschlag der Bürger von der Vorsitzenden – wie es scheint - missachtet wird,
- dass auf diese Weise das ehemalige Volkshaus parteipolitisch vereinnahmt wird, denn es war viel mehr als die Einrichtung einer einzelnen Partei, sondern es war ein Treffpunkt der Charlottenburger Arbeiterbewegung, bedingt durch die Vielzahl von politischen, gewerkschaftlichen, Jugend-, Bildungs- und Konsumeinrichtungen, die es dort gab.
Um die Anwesenden über die Vorarbeiten und den Vorschlag der Projektgruppe zu informieren, wird das Modell der Projektgruppe auf einem weiteren Informationsblatt vorgestellt.
Initiative Charlottenburger Widerstand, 10.September 2011
So
war es auch kein Wunder, dass keine Vertreter der Gewerkschaften, der
Linken, der VVN bzw. weiterer Organisationen der Arbeiterbewegung, die
ehemals an diesem Ort angesiedelt waren, eingeladen wurden oder anwesend
waren. Zum höheren Ruhme der SPD wurde so aus wahlkampftaktischen und
persönlichen Gründen die Möglichkeit vertan, mit Breitenwirkung an ein
Haus der Arbeiterbewegung und dessen Missbrauch durch die Nazis zu
erinnern.
Joachim Neu
Joachim Neu - Gastautoren, Geschichte - 15. September 2011 - 00:24
Tags: berlin/charlottenburg/gedenken/spd/volkshaus
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