Rede zur Einweihung der Stele zur Erinnerung an das ehemalige Volkshaus Charlottenburg
Einweihung der Stele zur Erinnerung an das Volkshaus Charlottenburg
am 10. September 2011
Liebe Frau Bürgermeisterin,
liebe Frau Dr. Suhr,
sehr geehrte Damen und Herren
Heute hier an dieser Stelle zu stehen, erfüllt mich mit großer Genugtuung. Denn als ich mich vor etwa 25 Jahren beim Schreiben am Charlottenburgband der Berliner Schriftenreihe der Gedenkstätte Deutscher Widerstand mit dem Volkshaus beschäftigte, das an dieser Stelle einmal gestanden hat, hätte ich mir eine Erinnerung daran gewünscht, und sei sie noch so bescheiden. Doch daran war damals überhaupt noch nicht zu denken.
Und heute weihen wir nach der Gedenktafel am Jugendzentrum in der heutigen Zillestraße, der früheren Wallstraße, innerhalb weniger Monate einen weiteren Erinnerungsort in Charlottenburg ein. Dort ging es um die Würdigung des ersten Protestes gegen den aufkommenden nationalsozialistischen Terror, hier um die Erinnerung an das Volkshaus Charlottenburg.
Dieses genossenschaftlich geprägte Haus stand nicht zuletzt für die Arbeiterbewegung und die Weimarer Republik, von den Sozialdemokraten getragen und den Gewerkschaften mitfinanziert.
Bitte haben Sie Verständnis, dass ich mich um die aktuelle Auseinandersetzung um die Stele hier im Bezirk nicht einmische. Bedenken Sie, dass es in erster Linie um die Beschäftigung mit unserer Geschichte geht und darüber eine Debatte zu führen, finde ich sehr erfreulich. Setzen Sie die bitte auch fort über die Gestaltung der Stele hier hinaus, findet doch heute die Auseinandersetzung mit Geschichte eher online statt als über den Inhalt von Gedenktafeln vor Ort. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie häufig die Gedenkstätte in der Stauffenbergstraße online angeklickt wird. Das stellt die Besucherzahlen eindeutig in den Schatten.
Heute geht es um die Erinnerung an das Volkshaus, das 1902 zu Beginn des
letzten Jahrhunderts von Sozialdemokraten gegründet wurde. In den
kommenden drei Jahrzehnten wurde das sozialdemokratische
Gewerkschaftshaus in der damaligen Rosinenstraße, im Volksmund
„Korinthengasse“, zu einem Kristallisationspunkt der Arbeiterbewegung in
Charlottenburg.
Hier befand sich das Domizil der SPD und der
Sozialistischen Arbeiterjugend, in den Versammlungsräumen fanden
unzählige Sitzungen und Veranstaltungen statt – vom Reichsbanner
Schwarz-Rot-Gold, der Gewerkschaften, der Sozialwissenschaftlichen
Vereinigung der Roten Kämpfer, der linken SPD und der Sozialistischen
Arbeiterpartei, die vergeblich für eine Verständigung von SPD und KPD
eintrat, usf.
Eine Aufteilung von Sozialdemokraten,
Gewerkschaften und Reichsbanner hätte man damals übrigens für kurios
gehalten, vereinigten die meisten Sozialdemokraten die jeweilige
Zugehörigkeit in Personalunion, man war sowohl bei der SPD, den
Gewerkschaften des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes und beim
Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold.
Das Reichsbanner versuchte in den letzten Jahren verzweifelt die Republik zu verteidigen.
Aber
das Haus war gleichzeitig in den oberen Stockwerken auch ein Wohnhaus.
Im Erdgeschoss befanden sich Läden der Konsum-Genossenschaft und an der
Ecke die Gaststätte „Volkshaus Charlottenburg“ mit Biergarten und
Saalbau auf dem Hof – das eigentliche Volkshaus, für Politik-, Kultur-
und Tanzveranstaltungen.
1920 wurde das Haus von der Berliner Konsumgenossenschaft gekauft und ein Konsum-Warenhaus eingerichtet.
Der
Genossenschaftsgedanke prägte dieses Haus und war eine der
Errungenschaften der Arbeiterbewegung bis zu deren Zerstörung 1933.
Warum man in der Sozialdemokratie in der Nachkriegszeit an den ureigenen
genossenschaftlichen Ideen kaum mehr anknüpfte, bleibt mir bis heute
unverständlich. In der letzten Zeit greift man übrigens auf das
genossenschaftliche Gesellschaftsmodell wieder zurück – es wäre eine
Alternative zum Heuschreckenkapitalismus.
Aber auch das kann ich
Ihnen nicht ersparen, der Genossenschaftsgedanke wurde von ganz links,
von der KPD angegriffen, hielt doch dieser revisionistische Ansatz die
Arbeiter von revolutionären Alternativen ab. Die Sozialdemokraten waren
nun einmal für die Kommunisten um Thälmann, der im März 1933 unweit von
hier verhaftet wurde, als Sozialfaschisten der „Feind Nummer eins“. Die
verheerende Sozialfaschismus-Theorie war von Stalin schon 1924
propagiert worden und wandte sich gegen alle sozialdemokratischen
Parteien in Europa.
Doch dann fand man sich gemeinsam in SA- oder
KZ- Haft wieder – nicht zuletzt hier an dieser Stelle. Im März 1933
nach den letzten halbwegs freien Reichstags- und Kommunalwahlen besetzte
und beschlagnahmte die SA das Gebäude, die Konsumgenossenschaft wurde
aufgelöst. Sie richtet ausgerechnet an dieser Stelle eines ihrer
Sturmlokale und eine ihrer Folterstätten für politische Gegner ein.
Das
Volkshaus wurde in „Maikowski-Haus“ umbenannt. Hier wütete der Sturm 6
der Standarte I der SA, der in Berlin als „Mordsturm 33“ oder
„Maikowskisturm“ gefürchtet war.
Die SA war durch den Erlass des
kommissarischen preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring zur
Hilfspolizei ernannt worden und verhaftet geradezu wahllos politische
Gegner, Kommunisten, Sozialisten und Sozialdemokraten. Die SA Leute
kannten zumeist Ihre politischen Gegner persönlich. Der Terror der SA
war nicht anonym, wie später der der SS.
Im Volkshaus hatte die
SA sogar eine Art „Revolutionsmuseum“ eingerichtet, von dem Stefan
Szende, Mitglied der SAP, berichtet. Als Glanzstück der Sammlung habe
dort die in Leder gefasste rote Fahne vom Karl-Liebknecht-Haus gehangen.
Die
Vernehmungen und Folterungen der politischen Gefangenen fanden
hauptsächlich im Keller der ehemaligen Konsumgenossenschaft statt. Bis
zu vierzig Verschleppte waren in einem großen Kellerraum eingesperrt.
Stefan
Szende wurde fürchterlich misshandelt, konnte aber die Tortur
überleben. Einige Kommunisten wurden zu Tode geprügelt, auch der
Kommunist Harnecker überlebte die Folterungen nicht. Selbst weibliche
Gefangene wie Käthe Schuftan, Agathe Rinnowitzki und Ilse Joel wurden
grauenvoll misshandelt.
Einige Gefangene versuchten Selbsttötung zu begehen.
Die Verbrechen der SA blieben übrigens nicht im Verborgenen. Die Schreie der Misshandelten konnte man bis auf die Straße hören.
Elise
Tilse, die spätere Kulturamtsleiterin in Kreuzberg, hatte Glück, sie
galt der SA nur als Randfigur der SAP. Als ich sie mehr als fünfzig
Jahre später interviewen durfte, waren Ihr die Erinnerungen an das
Volkshaus noch immer völlig präsent.
Können Sie sich die
unerträgliche Situation vorstellen, dort inhaftiert zu sein, wo man
kurze Zeit vorher mit seinen Genossinnen und Genossen getagt und auch
gefeiert hatte.
Im November 1933, während der Zeit der
Inhaftierung der Charlottenburger SAP, machte der SA-Gruppenführer Prinz
August Wilhelm (spöttisch „AuWi“ genannt) zusammen mit dem
SA-Obergruppenführer Karl Ernst, einem früheren Listboy, eine Visite im
„Maikowski-Haus“. Der SA Standartenführer Hell ließ die Gefangenen wie
Trophäen im großen Saal des Volkshauses vorführen.
Die SA-Führer
Ernst und Hell wurden übrigens im Zuge des von Hitler befohlenen
Massenmordes an der SA-Führung am 30. Juni 1934 von der SS umgebracht.
August Wilhelm starb, angeklagt wegen Kriegsverbrechen, in einem
Kriegsgefangenenlager.
Bei den verheerenden Bombenangriffen im
November 1943, der Krieg kam endgültig über den Himmel nach Berlin
zurück, wurde das Volkshaus schwer getroffen und später wie so viele
zerstörte und beschädigte Gebäude in Berlin nicht wieder errichtet.
Und
heute fast siebzig Jahre später dürfen wir endlich eine Gedenkstele an
das damalige Volkshaus einweihen. Lassen Sie uns trotz aller – offenbar
notwendigen – Streitigkeiten nicht vergessen, dass wir heute in Berlin
und Deutschland eine Gedenkkultur entwickelt haben, die es in anderen
Ländern kaum gibt. Seien wir uns bewusst, dass dies eine Stärke und
nicht etwa eine Schwäche unserer Zivilgesellschaft ist.
Ich danke Ihnen.
Berlin, den 10.09.2011
Dr. Heinrich-Wilhelm Wörmann
Dr. Heinrich.-W. Wörmann - Gastautoren, Geschichte - 19. September 2011 - 19:46
Tags: berlin/charlottenburg/gedenken/gewerkschaft/spd/volkshaus
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