Kleingartenkolonien: Oeynhausen
Dieser Text soll ein Einstieg sein zu einem Blick auf die Lage der Kleingartenkolonien. Ausgangspunkt ist dabei die Kolonie Oeynhausen, deren Weiterbestehen auf des Messers Schneide steht. Geplant ist, daß Mitglieder dieser Kolonie einzelne Punkte, die in diesem ersten Überblickstext nur andeutungsweise angesprochen werden können, in loser Folge weiter ausführen.
Der Kleingärtnerverein Oeynhausen wurde 1904 gegründet und ist damit einer der ältesten der Stadt. Die Kolonie erstreckt sich in Nord-Süd-Richtung von der Forckenbeck- zur Friedrichshaller Straße. Mit 130.000 m² (13 ha), verteilt auf 436 Parzellen, ist dies die größte Kolonie in Wilmersdorf-Schmargendorf. (Direkt an ihre östliche Seite schließen sich weitere Kleingartenkolonien an bis hin zur Mecklenburgischen Straße.)
Oeynhausen besteht aus zwei Teilen: dem größeren nördlichen (92.000 m² mit 302 Parzellen; auf der Karte schwarz umrandet) und dem südlichen (38.000 m² und 134 Parzellen; blau); der südliche Teil gehört dem Land, der nördliche gehörte ursprünglich der Post. Um das Fortbestehen dieses nördlichen Teils – Oeynhausen Nord – geht es hier.
Nachdem die Post im Jahr 1995 privatisiert worden war, begann sie, Vermögensteile zu verkaufen, um ihre weltweit gespannten Pläne finanzieren zu können. Zu dem abgestoßenen Volksvermögen gehört auch Oeynhausen Nord, das 2008 an die Lorac Investment Management S.a.r.l., eine luxemburgische Tochterfirma des Finanzinvestors Lone Star Fund aus Dallas/Texas, ging, die hier angeblich 700 Eigentumswohnungen zu bauen beabsichtigt. Der Kaufpreis betrug 6,45 €/m², insgesamt 598.000 €. (Bei Bauland wäre der m²-Preis ca. 560,- €, der Gesamtpreis also um die 50 Mio. € gewesen.)
Es heißt, die Post habe zuvor in den Jahren 2003/4 dem Bezirksverband der Kleingärtner Wilmersdorf – dies ist der eigentlich Pächter der Kolonie, die Garteninhaber sind nur Unterpächter - das Gelände zum Kauf angeboten. Im Gegensatz zu anderen Kleingärten (Ruhwald und Golfplatz), wo solch ein Kaufangebot der Post angenommen wurde, lehnte man in diesem Fall ab. Einer der Gründe war, daß man sich sicher fühlte: Der Berliner Flächennutzungsplan weist seit 1984 diesen nördlichen (und seit 1994 auch den südlichen) Teil von Oeynhausen als „Grünfläche/Zweckbestimmung: Kleingärten“ aus. Außerdem erklärt der Kleingartenentwicklungsplan des Senats von 2004 den Nordteil als „hoch gesichert“. Im Baunutzungsplan von 1958/60 jedoch wird Oeynhausen als „allgemeines Wohngebiet der Baustufe III/3“ bestimmt (d.h. mit einer Grundflächenzahl (GRZ) von 0,3 und einer Geschoßflächenzahl (GFZ) von 0,9, was eine Bebauung von 30 % der Grundstücksfläche mit 3geschossigen Gebäuden bedeutet).
Seit 1986 gab es im (damaligen) Bezirksamt Wilmersdorf Bestrebungen, den Baunutzungsplan von 1958/60 dahingehend zu ändern, daß Oeynhausen in seiner Gesamtheit als „Grünfläche, Zweck: Dauerkleingärten“ festgeschrieben würde. Auch nach Schaffung des Großbezirks Charlottenburg-Wilmersdorf (2001) wurde diese Linie weiterverfolgt, zunächst mit Unterstützung des Senats, der dies Vorhaben zum „dringenden Gesamtinteresse Berlins“ erklärte. Jedoch bekam man dort im Dezember 2002 Bedenken, worauf das Bezirksamt seinen Plan ruhen ließ.
Nachdem ein vom Bezirk beauftragter Gutachter (1. Gutachten) im Juni 2009 festgestellt hatte, daß der Käufer keine Entschädigungsansprüche habe, wenn das von ihm erworbene Gelände Oeynhausen Nord jetzt nachträglich als Kleingartengebiet festgeschrieben würde, legte das Bezirksamt am 30. August 2010 den Bebauungsplan IX-205a öffentlich aus, und zwar – wie es hieß, um einen Formfehler zu beheben – ungewöhnlich lange bis zum 3. November. Prompt einen Tag vor Ablauf dieser Frist traf ein Schreiben der Anwälte des Käufers (2. Gutachten) ein, mit der Ankündigung, bei Inkraftsetzung dieses Plans auf Schadensersatz von 50 Mio. € zu klagen. Daraufhin gab das Bezirksamt ein 3. Gutachten in Auftrag (Juli 2011). Dieses wurde – ebenso wie das 2. Gutachten – den Kleingärtnern erst im November 2012 vom Bezirksamt zugänglich gemacht, nachdem sie den Landesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet hatten. Sie wollten mit eigenen Augen nachprüfen, ob diese beiden Gutachten wirklich solche Aussagen enthalten, wie sie das Bezirksamt bis auf den heutigen Tag wiedergibt und womit es seine Weigerung begründet, den fertigen Bebauungsplan IX-205a zu unterschreiben: daß nämlich aus rechtlichen Gründen das Risiko einer erfolgreichen Schadensersatzklage zu hoch sei. Jedoch fanden die Kleingärtner weder in den beiden Gutachten noch in den sonstigen ihnen vorliegenden Unterlagen des Bezirksamts irgendeine Rechtfertigung für diese Weigerung.
Was haben Senat und Bezirk mit den Kleingartenkolonien vor?
Es stellt sich die Frage: Welche Absicht verfolgt das Bezirksamt mit der langen Geheimhaltung dieser beiden Gutachten und mit der behaupteten persönlichen Haftung des Stadtrats, und was ist andererseits an der Schlußfolgerung der Kleingärtner dran, das Verfahren würde durch das Bezirksamt absichtlich so lange verschleppt, bis der Käufer tatsächlich in einer Rechtsposition ist, die ihm Anspruch auf Schadensersatz geben würde, so daß das Bezirksamt nicht anders könnte als dem Baubegehren nachzugeben?
Ein weiterer Punkt: Offenbar hat man sich im Senat (SPD und CDU) darauf verständigt, das hiesige Wohnungsproblem zu Lasten der Kleingärtner zu lösen; dieser Eindruck entsteht jedenfalls, wenn man liest, was Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) am 26. Dezember 2012 dazu geäußert hat:
„Es wird möglicherweise Wiesen in der Innenstadt geben oder auch eine Kleingartenanlage mit 30 Parzellen, von denen wir sagen, wir brauchen den Platz für Wohnungen. Auseinandersetzungen sind zu erwarten. Aber das wird die Politik aushalten.“
Dieses Vorgehen des Senators reiht sich ein in die Gesamtentwicklung seit Ende des Zweiten Weltkrieges; seitdem ist fast die Hälfte der Kleingartenkolonien beseitigt worden. 20 % der noch bestehenden ist bedroht, weil ihre Schutzfrist 2014 bzw. 2020 ausläuft; von der Planungssicherheit für solche Gartenkolonien – von SPD und CDU bei Bildung des neuen Senats Ende 2011 in Aussicht gestellt – ist nichts zu sehen.
Wie aus innerstädtischem Grün, das (auch) der Allgemeinheit zugute kommt, teure Eigentums- und Mietwohnungen werden, konnte man gerade in unserem Bezirk in den letzten Jahren am Emser Platz und in der Württembergischen Straße („Rosengärten“) sehen – jeweils unter Beteiligung des Baustadtrats (vorher CDU, jetzt SPD) und ohne daß man irgendwelchen Protest von der Umweltstadträtin (Grüne Partei) gehört hätte. Dabei hätte sie doch wirklich allen Grund, hier aktiv zu werden, denn nach dem Landschafts- und Artenschutzprogramm der Senatsverwaltung für Umweltschutz (2006) gehört die Kolonie Oeynhausen als „Teil eines Kaltluftentstehungsgebietes“ zum „Vorranggebiet Klimaschutz“; und außerdem ist der Fortbestand der Kolonie erforderlich zum „Erhalt der außerordentlich hohen biotopischen Vielfalt“.
Zwar hat sich – auf den ersten Blick – die BVV am 20. September 2012
allparteilich für die Erhaltung von Oeynhausen Nord ausgesprochen; aber indem sie das vom Bezirksamt behauptete Risiko einer Schadensersatzklage und die daraus abgeleitete Unterschriftsverweigerung als gegeben hinnahm, hat sie damit letztlich ein Votum gegen den vollständigen Erhalt von Oeynhausen Nord abgegeben. Und es sieht sogar so aus, als ob Teile der BVV dabei durchaus in Kenntnis ihrer Unkenntnis gehandelt haben, denn erst eine Woche nach dem BVV-Beschluß (am 26. September) wurden die Texte des zweiten und dritten Gutachtens an die Mitglieder des Stadtentwicklungsausschusses verteilt - streng geheim und unter Strafandrohung, falls jemand damit an die Öffentlichkeit ginge.
Die Puzzleteile passen zusammen
Zum Schluß die neueste Wendung: Laut Bild vom 28.12.12 hat die Firma Lorac das Grundstück kurz vor Weihnachten an einen Projektentwickler (Name und Preis ungenannt) weiterverkauft. Dieser wolle bis zu 800 Wohnungen dort bauen und drohe dem Bezirk mit Schadensersatzforderungen, wenn er dies verhindert sollte, habe aber, wie es weiter heißt, auch einen Kompromiß im Angebot:
„Der neue Eigentümer bebaut nur die Hälfte des Geländes, die dafür aber dichter. Die andere Hälfte schenkt er dem Bezirk, sichert 155 der 302 Laubenpieper dauerhaft.“ (Quelle: Bild vom 28.12.2012 Autorin Fr. H. Bruns: „Wurden diese Laubenpieper heimlich für dumm verkauft?“)
Was für ein herrlicher Coup! Auch seine Renditepläne sichert sich der neue Eigentümer so – und spaltet gleichzeitig den Gegner in 155 Glückspilze und 147 Pechvögel. Und was besonders schön dabei ist: Das Bezirksamt würde sofort mitmachen, denn dieses Angebot deckt sich ja genau mit der bisherigen Ankündigung des Baustadtrats, er werde, falls der Senat nicht das behauptete Prozeßrisiko übernimmt – und jeder weiß, daß er das nie tun würde –, einen Kompromiß vorschlagen: eine Teilbebauung von Oeynhausen Nord.
Die Puzzleteile fügen sich nunmehr zusammen:
ein Senator für Stadtentwicklung (SPD), der die politische Linie vorgibt: Wohnungsbau zu Lasten von Kleingärtnern! – ein Baustadtrat (SPD), der diese Linie vor Ort umsetzt – eine Umweltstadträtin (Grüne Partei), die durch unterlassenen Klimaschutz dazu Flankendeckung gibt – ein Finanzinvestor, der aus 598.000 € ganze 50 Mio. € machen kann – und 155 Kleingärtner, die noch mal davongekommen sind. Was machen da schon die restlichen 147 aus, ganz zu schweigen von der Verschleuderung des Volksvermögens an Finanzinvestoren und von der Mißachtung des andernorts doch so teuren Klimaschutzes? Man weiß, daß Politiker in wahlfreien Zeiten recht hartleibig sind; aber ob sie das wirklich auf Dauer „aushalten“ werden?
MichaelR
Kolonie Oeynhausen im Internet:
* Kleingärtnerverein Oeynhausen e.V. und auf facebook
Bildquelle Karte Kolonie Oeynhausen und Umgebung:
* Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt (Geoportal Berlin)
Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung vom Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf:
* Stadtentwicklungs- und Vermessungsamt
2. Artikel im Kiezer Weblog:
* Kleingartenkolonien: Rechtslage in Oeynhausen Nord
MichaelR - Gastautoren, Politik - 06. Januar 2013 - 19:42
Tags: kleingartenkolonie/kleingärten/laubenkolonie/wohnen/wohnungsbau
19 Kommentare
Nr. 6, ulli, 07.01.2013 - 09:26 Nein, mir leuchtet die Existenz all dieser Kleingärten im Innenstadtgebiet tatsächlich nicht ein. Die sind ein Überbleibsel des alten Westberlin, als man wegen der Mauer die Stadt nicht verlassen konnte. Der Ziegenhof ist sicher was anderes: Es handelt sich um einen öffentlichen Park, um ein Gemeinschaftsprojekt der Anwohner, nicht um kleinteilig parzellierte Flächen. (Ich habe dort auch noch nie eine deutsche Fahne wehen sehen) Ich bin aber auch dafür, diese komische Berliner Traufhöhe abzuschaffen. Soll man doch, etwa an großen Straßen wie Kaiserdamm oder Spandauer Damm, Hochäuser bauen, so wie in jeder anderen Großstadt auch, dann hat man eine Menge neuer Wohnflächen. Natürlich im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus und nicht nur als Luxuswohnungen. |
Nr. 7, Pit, 07.01.2013 - 09:26 @ uli, basti, maho Wie wärs hier mit? http://www.berlin.de/ba-lichtenberg/pres.. Immerhin ein CDU-Bürgermeister. Und die SPD? Senator Müller war bis er abgesägt wurde Landesvorsitzender, Stadtrat Schulte sein Stellvertreter. Funktionieren so die alten Seilschaften? |
Nr. 8, Ein Gärtner, 07.01.2013 - 13:19 In vielen Großstädten ist das Urban Gardening im Kommen. Diese Menschen würden sich glücklich schätzen, keine zubetonierte Stadt vorzufinden und noch über grössere Flächen verfügen zu können. http://www.rescue.org/blog/photo-day-urb.. |
Nr. 9, NEU, 07.01.2013 - 13:25 die Berliner Zeitung am 4.1. http://www.berliner-zeitung.de/berlin/ch.. |
Nr. 10, maho, 07.01.2013 - 13:49 Frau Eltzel hat sich immer für die Anwohner eingesetzt: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. Sie bringt es ja auch auf den Punkt: “... „.. endlich über wirklich intelligente Lösungen für bezahlbaren innerstädtischen Wohnungsbau nachzudenken“. Er sagt, „dass nach Jahren des geduldeten mietpolitisch unkontrollierten Bauens von Luxus- und Prestigeobjekten nun offensichtlich die Normalverdiener gegeneinander aufgebracht werden sollen“ – Wohnungssuchende versus Kleingärtner. Der Verband fordere, zusammen mit Naturschutz- und Umweltverbänden und Mietervereinigungen in die Suche geeigneter Wohnungsbaustandorte einbezogen zu werden. .....” |
Nr. 11, maho, 07.01.2013 - 20:34 Falls jemand mit Herrn Stadtrat Gröhler (u.a. für Hochbau und Immobilien) sprechen möchte, dann bietet sich seine Bürgersprechstunde an. Wie sich die Zuständigkeiten zu Herrn Stadtrat Marc Schulte (u.a. Stadtentwicklung) unterscheiden, ist mir nicht so wirklich klar. Bezirksstadtrat Marc Schulte bietet jedenfalls keine regelmäßigen Bürgersprechstunden an. Bürgersprechstunde von Bezirksstadtrat Gröhler Pressemitteilung vom 07.01.2013 Am Mittwoch, dem 16.01.2013, von 15:00 bis 17:00 Uhr lädt Bezirksstadtrat Klaus-Dieter Gröhler zu einer Bürgersprechstunde in sein Büro im Rathaus Charlottenburg, Otto-Suhr-Allee 100, 10585 Berlin, Zimmer 210a (2. Etage) ein. Um telefonische Voranmeldung unter Tel 9029 13001 wird gebeten. Interessierte Bürgerinnen und Bürger können Anregungen, Wünsche und Kritik rund um die Bereiche Bürgerdienste, Weiterbildung, Kultur, Hochbau und Immobilien ansprechen. http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. |
Nr. 12, Ein Gärtner, 08.01.2013 - 20:17 Neuer Artikel in der Berliner Woche zur Beachtung „Geheimverhandlungen gehen weiter“ http://www.berliner-woche.de/nachrichten.. |
Nr. 17, Ein Gartenfreund, 10.01.2013 - 14:40 Die Tagesordnung für die nächste BVV am 17.01.2013 ist verfügbar. Es gibt 1 Große Anfrage und 3 Anträge zu Oeynhausen: hier der Link zur Tagesordnung: http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. Die Kleingärtner freuen sich über jeden Interessierten. Daneben ist einen Tag vorher auch noch die Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses, in welcher Oeynhausen auch auf der Tagesordnung ist: http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. |
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Man muss sich allerdings fragen, was wichtiger ist: Ob jeder Rentner seinen Schrebergarten behalten kann oder ob genügend neue Wohnungen gebaut werden können?