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Aus der Praxis – für die Praxis: Wie beseitige ich fachmännisch eine Kleingartenkolonie o.ä.?

Kurzgefasster Leitfaden für Volksvertreter aller Art

Du willst also fachmännisch eine Kleingartenkolonie (ein Landschaftsschutzgebiet, eine öffentliche Grünfläche) beseitigen und so tränenden Auges/mit Bauchschmerzen einem Investor es ermöglichen, in vier Jahren aus schlappen 600.000 €, die er für ein Stück Volksvermögen hingeblättert hat, satte 35 Mio. zu machen, indem er es an einen Projektentwickler weiterverscherbelt, der dann mit dem Bau von 700 Luxuseigentumswohnungen dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegenwirkt?
Dann bist du hier richtig!

 

Ganz wichtig! 

Wichtigste Voraussetzung: Zuerst musst du eine führende Rolle auf lokaler Ebene in der CDU oder SPD erlangen und Baustadtrat werden. Wenn du lieber nur die zweite Geige spielen möchtest, genügt es auch, in der Grünen Partei aufzusteigen und den Posten der Umweltstadträtin zu erreichen. Willst du jedoch nur Statist/in sein – auch wichtig, du wirst für Abstimmungen gebraucht oder als Vorsitzende/r der Fraktion der Grünen Partei bzw. des Stadtentwicklungsausschusses, um dem Baustadtrat den Rücken frei zu halten – dann solltest du dich von einer der drei genannten Parteien in die BVV schicken lassen (optimal für diejenigen, die mitmischen, aber keinerlei Verantwortung übernehmen wollen, da ja nur ein Ehrenamt – wie kann man da von dir erwarten, dass du auch Ahnung von dem hast, worüber du abstimmst? Mach dich trotzdem auf Anfeindungen gefasst!).

Und nun in Kürze die Einzelschritte – aber bedenke, du musst flexibel sein: Einerseits einen langen Atem haben und dann im entscheidenden Moment auf die Tube drücken, um die Beseitigung zum Abschluss zu bringen. Und wenn du es in deiner Amtszeit nicht schaffst, nicht schlimm, du hast doch einen Nachfolger, auch wenn er von der Gegenseite ist – denn vergiss nie: Letztlich ziehen eure Parteien doch trotz aller zur Schau gestellten Gegensätze am selben Strang. Also:

Was du heut‘ nicht kannst besorgen,
Macht dein Nachfolger dann morgen!

  

Erste Phase: Langer Atem      

Lass dir viel Zeit, um das betreffende Gelände – letztlich nicht – abzusichern, gern auch 20 Jahre und mehr. Und lass immer mal wieder was dazwischen kommen. Sollten die betroffenen Bürger all zu sehr drängeln, erzähl ihnen ruhig, dass du jetzt bestimmt bald den Bebauungsplan unterschreibst. Aber natürlich machst du es nicht, weil doch noch ein winziges Problem aufgetaucht ist. Und dann scheidest du aus dem Amt. Aber das ist nur ein zusätzlicher Kick für besonders gewiefte Taktiker wie dich, die sich höheren Zielen als der Lokalpolitik verschrieben haben, aber dabei nicht auf der Landesliste abgesichert sind: Wenn dein Nachfolger von der anderen Partei in der Öffentlichkeit ebenfalls unter Druck gerät, biete jetzt plötzlich deine Unterschrift an! Keine Sorge, du gehst kein Risiko ein, denn dein Nachfolger wird es dir verbieten!

Du siehst: Taktik ist das A und O deines Geschäfts. Lass dich dabei auch nicht entmutigen, wenn ein ortsansässiges Oberverwaltungsgericht eine deiner früheren 6-geschossigen Amtshandlungen als rechtswidrig eingestuft hat: Bis die so weit sind, ist das doch schon längst Schnee von gestern!

 
  

Taktik, Taktik und abermals: Taktik!

Entscheidend bei der Taktik sind natürlich auch immer die Kräfteverhältnisse in der BVV: Solange du als Baustadtrat am Drücker bist, kannst du ungestört für die Beseitigung arbeiten. Wenn dich  die Gegenseite vom Posten schubst und deine Partei in der Minderheitsposition ist und außerdem noch eine Wahl ansteht, kannst du mit den Deinen dagegen auftreten: Kostet nichts, schadet nicht (die Mehrheit setzt ja deine Arbeit weiter fort!), sieht gut aus und verpflichtet auch noch zu Dankbarkeit bei den Betroffenen, die in dir ihren Retter sehen sollen. Und außerdem gibt es ja noch den Vorsitzenden des Stadtentwicklungsausschusses, deinen Parteikollegen, der überschiessenden Hoffnungen den verwaltungsmäßigen Dämpfer aufsetzen kann (Tagesordnung, Rederecht, Beiladung von Sachverständigen und was derer Instrumente so sind).

Wichtig, um Zeit zu schinden: Beauftrage einen Gutachter (ist ja nicht dein Geld), aber folge seinem Rat – zum Beispiel eine Veränderungssperre zu erlassen – ums Verrecken nicht! Wenn der Investor dann natürlich das Gegenteil von deinem Gutachter behauptet, zeige dich recht sorgenvoll und beauftrage halt einen zweiten Gutachter. Jetzt bist du prima raus, denn du oder dein Nachfolger können die beiden Gutachter gegeneinander ausspielen. (1) Das verschafft dem Investor Zeit, um seine Rechtsposition zu verbessern. Auch nützlich dabei: Führe Vier-Augen-Gespräche mit ihm, plane nach seinen Wünsche, gib es aber als Rettungsaktion aus – und zeige die dabei entstehenden Aktennotizen ja nicht den Betroffenen! Vertraulich! Der Investor könnte schwer Schaden nehmen! Du haftest mit deinem ganzen Vermögen dafür! Vertrauliche Gespräche sind das Salz in der Suppe. Und ausserdem: Du hast Geheimwissen, du kannst dunkle Warnungen ausstoßen, was alles passieren könnte, wenn die anderen nur wüssten, was du weißt, aber leider, leider die Vertraulichkeit …
  

  Repräsentative Demokratie

Die Betroffenen werden kochen, von Pontius zu Pilatus laufen. Lass sie mit dem Kopf gegen die Wand rennen, so oft sie nur wollen, bis sie‘s endlich schnallen: Alles schon gegessen! Und wenn sie dich dafür hassen? Was soll‘s, du sitzt sicher im Sattel. Soll bei den Betroffenen doch das Gefühl von Macht- und Hilflosigkeit ruhig bis über ihre Baumkronen wachsen. Na und, schließlich leben wir doch in einer repräsentativen Demokratie!
  

Exkurs: Kleiner Tipp für die Nebenrolle der Umweltstadträtin

Betone, wo du gehst und stehst, du seist für Klimaschutz. Verweise dabei zum Beispiel auf irgendein Projekt in irgendeinem winzigen Winkel deines Herrschaftsgebiets, wo du das gerade exemplarisch vorführst bzw. vorführen willst. (Zwar weißt du selbst, dass das eine teure und nutzlose Luftnummer ist, aber du willst doch auch Lisas Berlin, oder? Und was ist dir wichtiger: deine Klientel oder das Geld und die Interessen der Steuerzahler? Daher protestierst du auch nicht gegen die verstärkte Umweltverschmutzung in Tegel – deine Wähler wollen ja immerhin auch mal in den Urlaub fliegen.)

Vergiss nie deine Aufgabe: Du bist der grüne Flankenschutz. Das bringt dir Ärger bei  einigen deiner ParteikollegINNen, Bauchschmerzen, aber Schwamm drüber: Hauptsache du funktionierst.

Und überhaupt: Gerade hier liegen die Dinge natürlich ganz anders, insbesondere sind alle diesbezüglichen klimaschützenden Absichten des Senats nicht flächenscharf. Und gibt es in einem gepflegten Kleingarten etwa geschütztes Viehzeug oder Kraut?? Du wirst dann hinter den verschlossenen Türen des Bezirksamts „die fachlich fundiert ermittelten und aufbereiteten Belange des Umwelt- und Naturschutzes in die Abwägung einbringen“, wie man so zu sagen pflegt – nachdem du dich schon mal vorsorglich im Voraus für die Beseitigung ausgesprochen hast.
   

Zweite Phase: Auf die Tube drücken

Irgendwann wird der Investor ungeduldig und will die Kohle sehen, schliesslich geht es um seinen Gewinn. Jetzt ist deine Sternstunde, Zeit für Action, die Post geht jetzt richtig ab (sorry für das kleine Wortspiel!): Beschleunige von der bisherigen Schneckengeschwindigkeit auf volle Pulle! Nutze das Gesetz voll aus, liebäugle mit Baubefreiung, habe als Plan B ein beschleunigtes Verfahren in petto, mit dem lästige Bürgerbeteiligung und Umweltaspekte ganz den Bach runtergehen (wird von den Fraktionen deiner sozialdemokratischen und der Grünen Partei voll gedeckt – jetzt sieht auch der Letzte, wofür die BVV gut ist). Verzichte auf die Planungshoheit des Bezirkes und erarbeite nach den engen Vorgaben des Investors/Käufers einen Zeitplan. (Kleiner Tipp: Falls dich die Immobilien-Zeitung dabei mal interviewen sollte, dann könntest du denen zum Beispiel bescheiden in die Feder diktieren: „Wenn alles gut, schnell und reibungslos über die Bühne geht, könnte der Bau 2014 beginnen.")

Und wenn irgendwer aufmuckt? Jetzt beträgt der Schaden schon 35 Mio.! Im Bezirkshaushalt hast du dafür kein Geld, höchstens für Schwellen und Poller in irgendeinem winzigen Winkel deines Herrschaftsgebiets – es ist halt Wahlzeit. Oder für Schadensersatzforderungen von Anliegern, deren Grundstücke durch die Neubauten entwertet werden – aber so viel Verständnis für Privateigentum muss der Steuerzahler schon haben. Und vergiss nie: Stilisiere dich dabei immer als Retter!
 

Vorsicht!

Sollten die Betroffenen so halsstarrig sein, dass sie immer noch nicht klein beigeben, sondern aufbegehren, dann schreib ihnen in den Unterschriftenaufruf: „Bei Erfolg des Bürgerbegehrens droht 25 Mio. € Schadensersatz“, aber verzichte diesmal um Himmels Willen auf den Zusatz: „Ersatzweise persönliche Haftung des Baustadtrats“  – das könnte nämlich nach hinten los gehen!
Und nun aber los!

 
MichaelR


(1) Hier brandneuer Lernstoff für dich aus der Antwort des amtierenden Baustadtrats (Schulte, SPD) auf die 4. Einwohnerfrage (BVV vom 21.2.2013):

„Wieviel haben die jeweiligen Gutachten von Dr. Groth (Juni 2009) und Prof. Finkelnburg (Juli 2011) mit Bezug auf den Bebauungsplan IX-205a gekostet? Waren sie nicht eine Verschwendung von Steuergeldern, nachdem das BA die zentrale Forderung beider Gutachten, umgehend eine Veränderungssperre zu erlassen, mißachtet hat? Haften jetzt also die Baustadträte Gröhler (CDU) und Schulte (SPD) mit ihrem privaten Vermögen für diese Verschwendung von Steuergeldern?

Die Gutachten haben 7.973 € zuzüglich 2.767 € für die Erhöhung der Haftpflichtversicherung (Dr.Groth) und 17.850 € (Finkelnburg) gekostet. Sie waren keine Verschwendung von Steuergeldern, da sie kein so eindeutiges Ergebnis gezeigt haben, wie es der Fragesteller suggeriert. Damit entfällt auch die Beantwortung der dritten Unterteilfrage der ersten Teilfrage der 4. Bürgeranfrage.“


Was kannst du daraus für deine zukünftige Tätigkeit lernen?
1. Kein Problem, sobald du über die Kasse verfügst, 28.590 € Steuergelder für zwei Gutachten in derselben Sache springen zu lassen.
2. Schau dir den zweiten Satz ganz genau an: 3 Fliegen mit 1 Klappe! a) unbewiesene Behauptung, mit der du deine eigenen beiden Gutachten pauschal madig machst; b) zu direkte konkrete Frage abgeschmettert durch Floskel; c) Fragesteller angeschwärzt („suggeriert“) – plus Bonuspunkt: die Logik des Satzes („..., da ...“): bravo!
3. Stell dir selbst einen Persilschein aus; die Bürger müssten dir sogar dankbar sein, dass du die Empfehlung beider Gutachten nicht befolgt und damit Schaden von  ihnen abgewendet hast (Retter!), denn die Aufforderung, sofort eine Veränderungssperre zu verhängen, ist nun einmal eben ganz eindeutig „nicht so eindeutig“!


MichaelR - Gastautoren, Politik - 02. März 2013 - 21:54
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acht Kommentare

Nr. 1, suse, 02.03.2013 - 23:52
Schönes Ding! Chapeau!Und prima- jetzt weiß ich endlich, was ich tun muss, um in 2 Jahren der Langeweile des Rentnerdaseins entkommen zu können!Ich werd’ Funktionär!
Aber im Ernst:
Für mich lässt sich aus der Umtriebigkeit des Herrn Groth (et.al.)und seiner Einflussnahme auf Baustadträte mehrerer Bezirke (vom Senat ganz zu schweigen)nur die Notwendigkeit ableiten, nicht mehr lediglich lokal zu handeln und zu kämpfen gegen den klassischen "Berliner Baufilz", der ja seine ewig lange Geschichte hat. Persönlich erinnern kann ich mich an Demos gegen die "Schlange", den Steglitzer Kreisel usw.usf…...
Die Einzelkämpfer verschiedener Bürgerinis und Betroffene aller Bezirke (Pankow, Wedding, Mitte, Tempelhof, Lichterfelde,Schöneberg,Prenzlberg,Charlottenburg,Wilmersdorf…..)müssten die Kräfte bündeln in einem Projekt, das gemeinsam gegen die Übernahme der Stadt durch skrupellose Investoren und Bauhaie (Entschuldigung, Knorpelfisch!)vorgeht.À propos Fisch- die Piraten- vielleicht sollten Vertreter der Bürgerinis mit den Piraten zusammen arbeiten und das Schiff "Bau" entern.Sie scheinen die einzige Partei zu sein (vielleicht noch die Linke), die nicht ausschließlich am Erhalt von Macht und Pfründen arbeitet, sondern transparente Politik vom Volk für’s Volk zu machen versucht.
Aber vorerst darf hier im Bezirk nicht klein beigegeben werden, das Bürgerbegehren wird kommen (auch wenn Herr Sch. drauf sch.)Es geht zwar auch um den Erhalt der Kolonie, die ja in den vergangenen Jahrzehnten schon genug bluten musste, aber auch um mehr, nämlich das Respektieren von und den Einsatz für Bürger-und Menschenrechte wie Nahrung, Wohnung, gesunde Umwelt…
Na gut, in zwei Jahren bin ich Rentnerin-und dann!!!!
Nr. 2, neu, 03.03.2013 - 12:18
hier die niederschrifr der febr bvv mit den antworten der stadträte auf die pkte 8.4. bis 8.7. (Oeynhausen)

http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w..
Nr. 3, Anita Thiel, 04.03.2013 - 10:20
Vielleicht sollte man die Höhe der Parteispende erfragen? Passt zum Berliner Filz
Nr. 4, Gartenfreund, 05.03.2013 - 23:05
Bei der BZ läuft eine Umfrage „Sollen Kleingärten Wohnungsbau weichen?“
http://www.bz-berlin.de/thema/schupelius..
Nr. 5, neu, 12.03.2013 - 14:58
lesenswert auch der private blog vom bvv piraten siegfried schlosser:

http://sigiberlin.de/
Nr. 6, neu, 12.03.2013 - 21:12
zur ergänzung :oeynhausen im offiziellen blog der bvv piraten

http://www.pf-cw.de/
Nr. 7, neu, 16.03.2013 - 17:48
“Piraten” stellen in der März BVV Antrag auf Einsetzung eines Sonderausschusses zur Aufklärung der Oeynhausen Affaire:

http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w..
Nr. 8, neu, 24.05.2013 - 00:46
“Piraten erzielen Sieg” s.1
http://issuu.com/berliner-woche/docs/132..

DIE PIRATEN hauen sich jetzt auch selbst auf die schulter:
victory
http://piratenpartei-charlottenburg-wilm..

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