Schrei aus Beton
Auf der Liste der trostlosen Ecken im bausündenversehrten Berlin landet das Quartier rund um den Heckerdamm im nördlichen Zipfel Charlottenburgs ganz weit oben. Eingeklemmt zwischen Autobahn und Kurt-Schumacher-Damm, erheben sich die Wohnwürfel der Paul-Hertz-Siedlung. Eine Kleingartenkolonie suggeriert eine bürgerliche Idylle, die aber umgehend von einem Logistikzentrum, einem Discounter und der Strafanstalt Plötzensee gebrochen wird. Über dem Areal lastet der Dauerkrach vom Stadtring, der durch Starts und Landungen vom nahen Flughafen Tegel rhythmisiert wird. In diesem Freiluftmuseum der Nachkriegszeit lässt sich penibel das Gesicht einer Stadt studieren, die nicht menschen-, sondern autogerecht gebaut wurde. Bei sommerlichen Temperaturen schwitzen die Steine Staub und das Atmen fällt schwer.
Aber gerade in der Dunkelheit ist die Kerze vonnöten. Inmitten der Brache liegt Maria Regina Martyrum, die Gedenkkirche der deutschen Katholiken für die Opfer des Nationalsozialismus, entworfen vom Architekten Hans Schädel. Die Kirche, eine Mischung aus Zweckraum, Denkmal und begehbarer Skulptur wurde im Mai 1963 geweiht, der 50. Jahrestag der Konsekration im Gedenkjahr 2013 wurde mit einer Messe unter Leitung des Berliner Erzbischofs Rainer Maria Kardinal Woelki feierlich begangen. An diesem sakralen Ort wird sowohl der zahllosen Opfer des Nazi-Regimes als auch der Blutzeugen (= Märtyrer) aus dem christlichen Glauben gedacht.
Die karge Krypta liegt ebenerdig, eine stark formalisierte Pietà aus Kupfer (von Fritz Koenig) wacht vor einem gülden schimmernden Farbfeld. Zu ihren Füßen sind stellvertretend vier Grabplatten in den Boden eingelassen, sie gelten Helmuth James von Moltke, Alfred Delp SJ (beide wurden in der nahe gelegenen Hinrichtungsstätte Plötzensee ermordet), Bernhard Lichtenberg, nach dem eine Straße vis-à-vis der Kirche benannt ist, und Erich Klausener. Zusätzlich erinnern zwei hölzerne Tafeln an französische Zwangsarbeiter. Die überwältigende Oberkirche im ersten Stock ist über eine Freitreppe (und auch über einen Aufzug) erreichbar; sie hat keine Fenster, das Tageslicht sickert spärlich durch Schlitze am Deckenrand. Die Stirnwand wird durch ein turbulentes farbkräftiges Altarbild mit einem Lamm im Zentrum eingenommen. Die Wände sind schmucklos im beige-grauen Beton gehalten, sie bieten keinerlei Gefälligkeit für das Auge, das unweigerlich zur Lichtquelle nach oben blickt. Der Raum verströmt die strenge, abweisende Anmutung einer Zelle; zarte Zeugnisse des Werdens und Vergehens des Lebens sind lediglich die Wachskerzen im Altarraum und der edle Blumenschmuck vor der im gotischen Stil geschnitzten Mutter Gottes. Der öde Kirchhof schließlich ist eingehegt von einer groben Mauer, die die Assoziation an ein Gefängnis erlaubt bzw. beschwört, der Campanile am Grundstückseck wirkt wie ein Wachturm. Die auf drei Betonstreifen ruhende kastenförmige Oberkirche ragt an einer Seite über die Palisade hinweg und bezwingt so symbolisch das Verlies; an ihrer mit weißen Kieseln bestückten Fassade ist, wie eine Brosche am Dekolleté, die gelbgold leuchtende Skulptur der Apokalyptischen Frau (Fritz Koenig) angebracht. Entlang der Mauer sind die Stationen des Kreuzweges Jesu in 14 explosiven Plastiken (Otto Herbert Hajek) dargestellt.
Maria Regina Martyrum ist mehr als ein stummer Schrei aus Beton - es finden regelmäßig Eucharistiefeiern unter liturgischer Leitung der Jesuiten statt, und zum täglichen Gebet der Karmeliterinnen, die ihren Konvent in direkter Nachbarschaft bewohnen, sind Gäste herzlich willkommen. In der christlichen Tradition hat der Stein eine durchaus ambivalente Bedeutung. So wurde Stephanus, der erste christliche Märtyrer, gesteinigt (Apg 7,54-60); und Jesus sagt zu Simon Petrus: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich bauen meine Kirche.“ (Mt 16,18) Die Gedenkkirche ist ein eindrucksvoller Versuch, mit architektonischen Mitteln die Sprachlosigkeit nach dem nationalsozialistischen Terror zu überwinden und den Heutigen eine Perspektive im Glauben zu bieten. Wer sich auf diese Erfahrung einlässt und den Weg in die unwirtliche Gegend jenseits des Jakob-Kaiser-Platzes nicht scheut, wird vielleicht Edith Stein beipflichten: „Gott mutet uns nur solche Dinge zu, die auszuhalten er uns auch die Kraft gibt.“
Gedenkkirche Maria Regina Martyrum
Heckerdamm 232
13627 Berlin
Telefon (030) 364 117-0
Anlässlich der Langen Nacht der Kirchen gibt es zu Pfingsten mehrere Veranstaltungen in Maria Regina Martyrum. Siehe hierzu das Programm unter www.offenekirchen.de
Franz Pfeifer (Herausgeber, im Auftrag des Erzbistums Berlin): Gedenkkirche Maria Regina Martyrum Berlin. Zu Ehren der Märtyrer für Glaubens- und Gewissensfreiheit, Lindenberg im Allgäu 2013, Kunstverlag Josef Fink
Andrea Bronstering - Gastautoren, Gesellschaft - 18. Mai 2013 - 16:53
Tags: charlottenburg/kirche/nationalsozialismus
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