Straßen und Plätze: Tunnel am Adenauerplatz
Der Tunnel am Adenauerplatz ist Ergebnis jener Stadtplanung nach 1945, die sich in erster Linie als Verkehrsplanung verstand und die die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs zu nutzen versuchte, um nun die „autogerechte Stadt“ zu bauen – und die dabei den Kriegsschäden noch erhebliche weitere Zerstörungen von Wohn- und Lebensraum hinzufügte.
Für Westberlin bestimmend waren dabei Kollektivplan (Hans Scharoun), Zehlendorf-Plan und Bonatzplan (1946-1948), die – in abnehmendem Umfang – wesentliche Eingriffe in die gewachsene Stadtstruktur durch ein Netz von Schnellstraßen vorsahen, um dem privaten Kfz-Verkehr Vorrang zu schaffen. Ihr geistiger Vater war der Speer-Plan (1936-1942).
Die Umsetzung begann in den frühen 1950er Jahren, also in einer Zeit, als der öffentliche Verkehr weit wichtiger war als der Individualverkehr (1960 gab es in Westberlin erst 160.000 Pkws, also einen auf 11 Einwohner) (1). Trotzdem wurde ab 1953 systematisch die Straßenbahn beseitigt (2) (1967 fuhr die letzte in Westberlin) und gleichzeitig der Ausbau von U-Bahn und „Stadtautobahn“ forciert: Zu nennen wären die Verlängerung der U 6 von der Seestraße zum Kurt-Schumacher-Platz (1956 eröffnet; 1958 bis Alt-Tegel) und der Baubeginn des „Stadtrings“ zwischen Halensee und Hohenzollerndamm (1956). Der damalige Bausenator Rolf Schwedler (SPD) sah darin die Verwirklichung seiner „Vision einer autogerechten Stadt wie Los Angeles“ (S. 13). Zur selben Zeit war der Westberliner Senat allerdings nicht in der Lage, „selbst die dringendsten Bedürfnisse wie die Beseitigung der Wohnungsnot befriedigend anzugehen“ (3).
Um also die „Straße frei“ zu machen für den Individualverkehr und diesem gleichzeitig dort „freie Fahrt“ zu verschaffen, wurde 1. der auf der Straße beseitigte Schienenverkehr in Form des teuersten Verkehrsmittels unter der Straße ausgebaut und 2. durch den Bau von breiten Durchgangsstraßen und Tunnels für „flüssigen“ Straßenverkehr gesorgt. Beides kann im Bereich des Tunnels am Adenauerplatz besichtigt werden und auch, daß der Westberliner Senat keineswegs zimperlich bei der Umsetzung war.
Der Tunnel am Adenauerplatz ist 260 m lang und hat – in den Worten des Experten – „eine Tunnelröhre mit drei Fahrstreifen im Gegenverkehrs- und Richtungswechselbetrieb, Fahrstreifensignalisierung, Wechselwegweisung und Wechselverkehrszeichen“. Der Tunnel wurde 1972 eröffnet und verbindet quer unter dem Kurfürstendamm die Brandenburgische und die Lewishamstraße – erstere für ihren Zweck als Durchgangsstraße stark verbreitert, letztere quer durch zwei Wohnblocks geschlagen, wodurch verschiedene Häuser zerstört, Innenhöfe aufgerissen und zwei Straßen (Sybel- und Waitzstraße) in ihrem Verlauf gründlich verstümmelt wurden, ganz zu schweigen davon, daß die Lewishamstraße seit der Schließung des Fußgängertunnels im Jahr 2010 außerdem noch zu einer 290 m langen Barriere für Fußgänger geworden ist.
Der Tunnel am Adenauerplatz samt seinen städtebaulichen Begleitumständen ist nur ein Beispiel dafür, wie seit den 1950er Jahren in Westberlin der „Tunnelvirus“ wütete (ein anderes existierendes Beispiel im Doppelbezirk ist die Bundesallee). Tatsächlich gingen die Pläne hier an dieser Stelle ursprünglich noch viel weiter, denn vorgesehen war ein zweiter Tunnel (4), der am Olivaer Platz wieder auftauchen und so den Kurfürstendamm mit der Lietzenburger Straße verbinden sollte (letztere Straße ist übrigens östlich der Joachimsthaler Straße ebenfalls erst nach dem Krieg und auf dieselbe Art wie die Lewishamstraße entstanden). (5)
In der Sitzung vom 20.1.2011 forderte die Mehrheit der BVV das
Bezirksamt auf, sich bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung für
die Beseitigung des Tunnels einzusetzen (Drucksache
1772/3).
Direkt östlich neben dem Tunnel am Adenauerplatz, ebenfalls quer zum Kurfürstendamm, liegt der U-Bahnhof Adenauerplatz der Linie U 7, eröffnet am 28.4.1978. Tief darunter befindet sich, längs zum Kurfürstendamm, ein weiterer Bahnsteig, 2500 m² im Rohbau.
Er wurde vorsorglich gleich mitgebaut, vorsorglich, weil im 200-km-Plan des Westberliner Senats von 1955 (und damals gleich auch für Ostberlin mit) eine Ausweitung des U-Bahnnetzes von 80 km auf 200 km geplant war und dabei eine alte Idee aus der Zeit der selbständigen Stadt Charlottenburg, als 1913 die Kurzstrecke bis Uhlandstraße entstand, wieder aufgegriffen wurde: die Fortführung dieser Linie über Adenauerplatz, Holtzendorffplatz (jetzt Kracauerplatz) und Messedamm zum Theodor-Heuss-Platz. (6). Insbesondere der 200-km-Plan führte zu einer Vielzahl von blinden Tunnels und unbenutzten Bahnhöfen in Westberlin.
MichaelR
(1) Zu den Angaben in diesem Absatz siehe: W. Wolf, Kap. V. Berlin 1945-1989, S. 89ff.
(2) Am Beginn stand damals der „Umwandlungsbeschluß“ des Aufsichtsrats der BVG-West, wodurch ein Kredit für die Anschaffung von Straßenbahnwagen benutzt wurde für Doppeldeckerbusse, da sich angeblich „ein Trend zum Autobus“ erkennen lasse – obwohl damals die Straßenbahnen 55 % des BVG-Gesamtverkehrs bewältigten, Autobusse hingegen nur 20 %, und obwohl Oberbürgermeister E. Reuter im selben Jahr schrieb: „Die Straßenbahn ist das billigste und rentabelste Massenverkehrsmittel.“ (W. Wolf, S. 95f.) – Der Tagesspiegel vom 16.5.2013 beleuchtet in einem Erfahrungsbericht die daraus erwachsenen Probleme für den Busverkehr: „M 41 – Berlins Buslinie des Grauens“.
(3) W. Wolf, S. 99
(4) Siehe „Der Tunnel unter dem Adenauerplatz“
(5) Für den Spandauer Damm vor dem Schloß Charlottenburg war ebenfalls ein Tunnel vorgesehen (Dunkle Welten, Fußnote 78, S. 221).
(6) Der 200-km-Plan ist durch den seit 1996 gültigen Flächennutzungsplan ersetzt, in dem die Verbindung zwischen Uhlandstraße und Adenauerplatz immer noch als „mittel- oder langfristig geplant“ vermerkt ist.
Material:
Dietmar und Ingmar Arnold, Dunkle Welten. Bunker, Tunnel und Gewölbe unter Berlin, Berlin (Chr. Links) 4. Auflage 1999 [Stadtbücherei: H 242 Dunk]
Berliner Untergrundbahn: 200-km-Plan; blinde Tunnels
Luise Berlin (Edition Luisenstadt): Kollektivplan, Zehlendorf-Plan, Bonatzplan; Speerplan
VIA Beratende Ingenieure: technische Daten zum Straßentunnel
Winfried Wolf, Berlin – Weltstadt ohne Auto? Verkehrsgeschichte 1848-2015, Köln (ISP) 1994 [Stadtbücherei: H 235 Wolf]
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 25. Mai 2013 - 22:02
Tags: adenauerplatz/stadtplanung/straßenplanung/tunnel
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Eine Ergänzung:
Die hier geschilderte Trassierung führte zu einem „Durchstich“ der Stadtbahn im Übergang von der Lewishamstr. zur Kaiser- Friedrich-Str. Der von Gartenbaumeister Barth wunderschön angelegte “Stuttgarter Platz“ wurde in zwei Teile „zerlegt“ und ist seitdem vom Verkehr umtost.
Der auf einer Karte noch sichtbare U-Bahnhof Charlottenburg vor dem S-Bhf. wurde – mit der Umwandlung der Wilmersdorferstr. zu einer Fußgängerzone – nach Osten verschwenkt.
Dies hatte auch politische Gründe: wurde die von der DDR betriebene S-Bahn damit „links liegen“ gelassen.