„Froh bin ich darüber, dass dies endlich an die Öffentlichkeit kommt“
Die Verfasserin der folgenden Erinnerungen war zu Kriegsende 18 Jahre alt.
Aufmerksam geworden bin ich auf Grund einer Notiz im „Tagesspiegel“ über einen durch die SS erhängten Jungen kurz vor Kriegsende.
Ich melde mich, weil ich dasselbe in den letzten Kriegstagen Ende April 1945 vor der Ruhrstraße 14 in Wilmersdorf erlebt habe. Auch dort wurde ein 16-jähriger Junge aufgehängt, den man noch zum Volkssturm eingezogen hatte. Er wollte nur weg, weg zu seiner Mutter. Ich weiß nicht, ob seine Mutter je erfahren hat, was mit ihrem Kind geschehen ist, denn der Name war unbekannt.
Jahrzehntelang habe ich das verdrängt, plötzlich ist es wieder gegenwärtig. Jahrzehntelang habe ich geglaubt, diese Wahnsinnstat war eine Einzeltat, nun muss ich erkennen, es war System.
Ich war damals 18 Jahre alt und brauchte Jahre, aber verarbeitet habe ich das nie. Aber das kann man wohl auch nicht. Froh bin ich darüber, dass dies endlich an die Öffentlichkeit kommt. Wieviel Leid, das nicht hätte sein müssen.
Ich selbst bin dann mit meiner Mutter am 9. Mai 1945 nach Charlottenburg zu meiner Großmutter gezogen, die kurz darauf starb. Berlin war damals ein einziger Trümmerhaufen. Überall lagen tote Menschen und tote Pferde auf der Straße, viele Menschen schlachteten die Tiere aus, um sie zu essen, denn der Hunger war groß. Ich selbst setzte meine Ausbildung in Dahlem fort, während meine Mutter als Trümmerfrau in der Wilmersdorfer Ecke Krumme Straße mit aufräumte, was der Krieg hinterlassen hatte. Von meinem Vater und meinem Bruder wussten wir nichts, das machte das Leben nicht leichter. Ende des Jahres kamen beide aus amerikanischer Gefangenschaft nach Hause. Ein großes Glück in dieser Zeit.
Es ist mir nicht leichtgefallen, all dies zu Papier zu bringen. Musste ich doch feststellen, wie tief all das noch in mir ruht, mich bewegt, mich berührt und vielleicht meine Haltung als Mensch bis heute beeinflusst hat.
I. D. – Oktober 2013
I.D. - Gastautoren, Geschichte - 31. Oktober 2013 - 00:24
Tags: gedenken/kriegsende/nationalsozialismus
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