Berliner Wohnwandel
Ein hartnäckiger Berliner Mythos besagt, die Stadt sei dazu verdammt, immerfort zu werden und niemals zu sein. Diese Ode auf den Wandel verschweigt, dass Veränderung auch Verlust bedeuten kann. Der Drang aus aller Welt auf diese Stadt treibt Mieten und Grundstückspreise in die Höhe, Opfer dieser Entwicklung sind etwa die typischen Pensionen in Charlottenburg. Das legendäre Bogota in der Schlüterstraße ist akut von der Räumung bedroht, die nicht minder legendäre Belle Etage am Lietzensee hat dieses Schicksal bereits im Februar ereilt. Abgesang auf eine Berliner Institution.
Anfang des 20. Jahrhunderts lag der Lietzensee in Charlottenburg im Dornröschenschlaf. Ein Konsortium unter der Leitung Werner Eichmanns erwarb das Areal rund um den See und errichtete komfortable Häuser für das gehobene Bürgertum des expandierenden Berlin. Eine äußerst repräsentative Etage in einem Haus direkt am Ufer wurde 1910 zum Refugium Eichmanns; die 510 m² umfassende Zimmerflucht unter 4,30 hohen Decken voller Stuck, mit Flügeltüren und Fischgrätparkett dokumentierte den Machtanspruch des Großbürgertums vortrefflich. Die weitere Nutzungsgeschichte des „Belle Etage“ genannten Ensembles ist ein Querschnitt durch das 20. Jahrhundert: In den späten Jahren der Weimarer Republik praktizierte hier der Anwalt Kurt Tucholskys, im III. Reich logierte hier ein ranghoher SS-Offizier, in den 1950er Jahren beherbergte sie die Zentrale der West-Berliner FDP, in den 1960er Jahren wurde sie als Pflegestation genutzt, in den 1980er und 90er Jahren dann als Architekturbüro. Im September 2009 schließlich wurde die Belle Etage von einem Nachfolger des Erbauers als Pension eröffnet.
Das Konzept, die denkmalgeschützten Räume als Logis sowie als Ort für Salonkultur dem Publikum zu geben, lief erstaunlich gut. In dem musealen Ambiente fanden Lesungen und Konzerte, Filmaufnahmen und Promotionstermine statt. Indes konnten die Forderungen des Kreditinstituts nicht auf Dauer bedient werden, sodass die Belle Etage Anfang dieses Jahres vom neuen Eigentümer geräumt und zu einer Anwaltskanzlei umgewandelt wurde. Dem Hotel Bogota in der Schlüterstraße droht ein vergleichbares Schicksal. Das Haus, im Jahr 1911 erbaut, wird seit 1964 als Hotel betrieben und erfreut sich chronischer Beliebtheit bei Gästen aus aller Welt. Doch die Lage unweit des Kurfürstendamms weckt Begehrlichkeiten: Mit einem Mix aus Praxen, Kanzleien und Luxusboutiquen lässt sich der Umsatz vervielfachen, ein probates Konzept rund um den Olivaer Platz. Die verblichenen Adressen Charlottenburgs in Familienhand sind Legion, vom Kino über ein Theater bis eben zur Pension. Ableger globaler Brands sind noch am ehesten imstande, die horrenden Mieten jener Meile zu erwirtschaften – mit der Folge einer kulturellen Monostruktur in der City West.
Ist das der Preis für das Spielen in einer Liga mit Paris, London, Tokio, New York? Ein weiterer Berliner Mythos, die Stadt sei arm, aber sexy, ist jedenfalls entkräftet. Das beschworene Schroffe der einstigen Frontstadt taugt nurmehr zur Folklore, nicht aber zur Schaffung neuer Arbeitsplätze und zur Realisierung markanter Leuchtturmprojekte. Der Senat sieht dem Treiben der Spekulanten weitgehend untätig zu, jeder Investor ist angesichts der klammen Kassenlage willkommen. Doch längst ist die ökonomische Dynamik auch auf dem Wohnungsmarkt angekommen, das hässliche Wort der Gentrifizierung, also der Aufwertung einzelner Quartiere samt Verdrängung angestammter Mieter, beschreibt die Entwicklung in Mitte, Prenzlauer Berg, Friedrichshain und neuerdings Charlottenburg treffend. Im Hotel Bogota will man die Lichter nicht selbst ausdrehen, man setzt auf Mobilisierung. So ist aktuell in den Räumen des Hotels eine Ausstellung von Fotografen zu sehen, die ihre Erlebnisse im Bogota fotografisch festgehalten haben. Am Lietzensee wird mit der „Petit Etage“ ein neuer Anlauf genommen. Wer standardisierte Hotels aller Kategorien internationaler Ketten bevorzugt, wird eher am Potsdamer Platz fündig.
http://www.hotel-pension-berlin.net
http://www.bogota.de
http://gentrificationblog.wordpress.com/
Der Artikel ist zuerst erschienen bei "geistrecht – Kontexte zum Tag".
Zur Belle Etage am Lietzensee siehe auch den Beitrag: "Austreibung des Paradieses – Belle Etage am Lietzensee geräumt"
Das Aus für das Hotel Bogota ist inzwischen beschlossen und verkündet (siehe Berliner Morgenpost vom 11.11.2013)
Andrea Bronstering - Gastautoren, Gesellschaft - 14. November 2013 - 00:24
Tags: hotel/kultur/pension/stadtgeschichte
ein Kommentar
Kein Trackback
Trackback link:
Passend dazu auch der rbb-Beitrag “Berlin verkauft Berlin” vom 29.10.2013. Bin mir jetzt nicht sicher, ob der hier schon irgendwo verlinkt ist, deswegen:
http://mediathek.rbb-online.de/rbb-ferns..