Wie soll es mit den Bezirksbibliotheken weitergehen? - Teil 7
Zentralbibliothek vom Tisch / Büchervernichtung als bibliothekarisches Prinzip geht weiter
Nach außen: Beseitigung ganzer Bibliotheken
In den bisherigen Teilen dieser Serie ging es vor allem darum, zu verhindern, daß der Traum des jeweils zuständigen Stadtrats und seiner Bibliotheksverwaltung (oder eher umgekehrt?) von einer großen Zentralbibliothek (mit kleinem Café) verwirklicht wird, was mehrere kleinere Büchereien in ihrer Existenz gefährdet oder sie beseitigt hätte (siehe Teil 6) (1). Damit scheint jetzt endlich für lange Zeit Schluß zu sein, nachdem die SPD-Fraktion sich einstimmig gegen eine Zentralbibliothek ausgesprochen (Drucksache 0803/4) und die Grünenfraktion sich dem voll angeschlossen hatte. Die Sitzung des Ausschusses für Weiterbildung und Kultur vom 9.1.2014 machte dies deutlich: 8 Stimmen (SPD, Grüne und Piratenpartei) für den SPD-Antrag, 3 Stimmen (CDU) dagegen; auf der BVV-Sitzung in einer Woche wird dann der endgültige Schlußpunkt gesetzt werden. (In der Diskussion wurde noch einmal deutlich, wie der in den Bundestag abgewanderte Stadtrat Gröhler durch seine unrealistische Plänemacherei – die vor allem zur Beseitigung des Wilmersdorfer Rathauses führte – die Misere der Stadtbüchereien noch verschärft hatte.)
Nach innen: Aushöhlung der übriggebliebenen Bibliotheken
Endlich kann man sich also einem anderen Aspekt des bezirksamtlichen Umgangs mit unseren Bibliotheken widmen: deren innerer Aushöhlung, also der Beseitigung von nützlichen oder wichtigen Teilen des Bestandes. Das Bezirksamt rühmt sich dessen sogar auf Seite 11 des Bibliotheksentwicklungsplans:
„In 2010 und 2011 konnte durch eine konsequente Umsetzung eines bezirklichen Bestandsprofils, das eine starke Reduzierung der Bestände um veraltete, nicht mehr genutzte Medien bedeutete …“
Damit ist folgender Vorgang umschrieben: Bücher, die wenig(er) ausgeliehen werden, fliegen raus (werden „makuliert“). Daher hat jeder, der nicht nur nach den neuesten Bestsellern, Ratgebern und Filmen schaut, sondern seine Bibliothek auch als Fundgrube und Nachschlagewerk nutzt, schon die Erfahrung gemacht, daß Bücher einfach verschwunden sind. Dieser Grundsatz für die Betreibung einer Bibliothek ist geboren aus rein fiskalischen Überlegungen („Kosten-Leistungs-Rechnung“, kurz „KLR") und hat mit dem Sinn und Zweck einer öffentlichen Bibliothek genauso wenig zu tun wie z.B. mit dem des Gesundheitswesens (nur daß es dort - im Unterschied zu dem Bibliotheksstadträten - schon öffentlichen Protest gegen die Zerstörung des Gesundheitswesens durch die KLR gab!) (2). Wieso nur machen Bibliothekare, denen doch die Bücher und anderen Medien anvertraut sind, dabei mit und halten das auch noch für eine gute bibliothekarische Arbeit?
Bücher über die NS-Zeit weggeworfen
In der Wilmersdorfer Hauptbücherei in der Blissestraße sind in der Zeit zwischen August und Dezember 2013 mehrere Bücher über Wilmersdorf in der Zeit des Nationalsozialismus verschwunden, das heißt ganz konkret: weggeworfen worden, weil sie „zu wenig“ ausgeliehen wurden. Diese Bücher waren für jeden, der sich irgendwie für die Geschichte von Wilmersdorf interessiert, wertvolle Textsammlungen, die sich daher sinnvollerweise seit Jahren in der Wilmersdorfer Hauptbibliothek befanden:
- Berlin-Wilmersdorf. Die Jahre 1920 bis 1945 - 560 Seiten, zahlreiche Illustrationen (H 260 Berl)
- Bleib übrig. Ende und Anfang. Berlin-Wilmersdorf im Jahr 1945 - 292 Seiten, Illustrationen (H 260 Blei) - eine Rarität, die es nur noch einmal in einer öffentlichen Bibliothek des Landes gibt!
- Wilmersdorf. Alltag und Widerstand im Faschismus (bisher H 260 Wilm, neu B 152 Wil Wilmersdorf) - ebenfalls eine Rarität. Nach Aussage der Bibliothek ist die Broschüre „z.Zt entliehen, die Titelaufnahme wird geändert“. Trotzdem sollte das Wilmersdorfer Exemplar – ebenso wie die einzigen ansonsten noch vorhandenen Exemplare in der Zentralen Landesbibliothek – unter genau diesem Titel im Gesamtkatalog von voebb.de zu finden sein, was aber nicht der Fall ist, was auf deutsch heißt: das Wilmersdorfer Exemplar existiert offiziell nicht.
Dieser Umgang mit öffentlichem Eigentum ist ein Skandal. Wer auch immer etwas über die Geschichte von Wilmersdorf wissen will, wird erst einmal in dessen Hauptbibliothek gehen, um sich direkt vor Ort zu informieren und das Material durchzusehen. Wäre z.B. der zuletzt genannte Titel nicht dort einsehbar gewesen, hätte ich nie von dem Mord der SS an einem 17jährigen Deserteur Ende April 1945 in der Uhlandstraße erfahren und eine Initiative für seine Ehrung ergreifen können. Besonders irritierend ist, daß die weggeworfenen Bücher sich auf die Zeit des Nationalsozialismus in Wilmersdorf beziehen, wobei doch nächstes Jahr des Endes seiner Herrschaft vor 70 Jahren gedacht werden wird. Ob man Bücher aus politischen Gründen beseitigt oder aus Gründen der KLR, macht letztlich überhaupt keinen Unterschied:sie sind weg! (Und das Argument, man könne sie doch fernleihen, greift nicht, da sie von dort weg sind, wo sie hingehören: nach Wilmersdorf.)
Der Vollständigkeit halber noch kurz zu den sonstigen Argumenten derjenigen, die diesen mißachtenden Umgang mit Büchern und der Geschichte befürworten: Diese Bücher waren weder zerfallen noch brauchte es Platz für neuere Literatur zur Geschichte Wilmersdorfs (die es fast nicht gibt) noch waren sie allzu wissenschaftlich: Sie wurden schlicht und einfach nicht so oft ausgeliehen, wie es Bezirksamt und Bibliotheksverwaltung für notwendig halten, um ihre KLR-Planziele zu erfüllen.
Es ist höchste Zeit, daß die BVV-Parteien endlich mit dieser Art von Bibliotheksbetreibung Schluß machen und dafür sorgen, daß nicht weiterhin Bücher (und andere Medien) willkürlich der Götze „KLR“ geopfert werden. Literatur zur Geschichte von Wilmersdorf (und Charlottenburg) gehört als selbstverständlicher Grundstock in unsere Bibliotheken. Und die genannten fehlenden Bücher müssen sofort wieder zurück in diese Bücherei.
MichaelR
(1) Zur Erinnerung: In den letzten zehn Jahren, seit dem erzwungenen Doppelbezirk aus Wilmersdorf und Charlottenburg, wurden bereits vier Bibliotheken geschlossen: die Stadtteilbibliotheken in Halensee, Goethestraße und Bundesallee sowie die Musikbibliothek (Bibliotheksentwicklungsplan, S. 5).
(2) Die KLR wurde dort als „pseudobetriebswirtschaftlich“ und eine „Gefahr“ für die bezirkliche Arbeit beschrieben.
MichaelR - Gastautoren, Politik - 09. Januar 2014 - 22:12
Tags: bibliothek/stadtteilbibliothek/zentralbibliothek
sechzehn Kommentare
Nr. 2, maho, 16.01.2014 - 21:06 Artikel in der Berliner Woche vom 13.01.2014: http://www.berliner-woche.de/nachrichten.. Auf der Bezirksverordnetenversammlung vom 16.01.2014 wurde eine Mündliche Anfrage (Drucksache – 0823/4 / 2. Frage) dazu gestellt: Bücher zur Bezirksgeschichte verschwunden http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. |
Nr. 3, maho, 18.01.2014 - 19:22 Neuer Beitrag im Tagesspiegel: http://www.tagesspiegel.de/berlin/biblio.. |
Nr. 4, neu, 20.01.2014 - 12:20 ..die Diskussion wird fortgeführt: http://www.tagesspiegel.de/berlin/bildun.. hingewiesen, sei auf die zahlreichen kommentare, die den tsp online Artikeln jeweils folgen. Hier auch zu den drei verlinkten Artikeln zu den bibliotheken |
Nr. 5, neu, 21.01.2014 - 19:34 das thema scheint einen nerv getroffen zu haben – zumindest den des tagesspiegels: http://www.tagesspiegel.de/berlin/wohin-.. hier erscheint bereits der vierte artikel. Wie lange wird der bezirk die öffentliche diskussion aussitzen ? es muß eine einwohnerversammlung mit nachfolgendem runden tisch einberufen werden. Raus aus dem verstaubten “Ausschuß für Weiterbildung und Kultur”, rein in die Bürgerschaft Außerdem muß der “Ausschuß für Schule” ebenfalls stellung beziehen.Es geht auch um den desolaten zustand der schulbibliotheken Hier mein kommentar im TSP es war einmal… eine Bibliothek in einem Oberstufenzentrum. Die Nebenstelle einer Bezirksbibliothek für 3500 Schüler und 150 Lehrer, mit richtigen Bibliothekarsstellen. Davon gab es mehrere der Art in Berlin. Erst verschwanden die Bibliothekarinnen im Stellenpool des Landes, dann war es keine Nebenstelle des Bezirkes mehr, anschließend fehlte das Geld vom Bildungssenator. Die Filiale wurde geschlossen.Stattdessen gibt es nun ein OLC (Open Learning Center), eine Art Lernbüro, mit 30 Computern aufgereiht wie im Fabriksaal, nüchtern ohne Atmosphäre. Ehemals war die Bibliothek ein sozialer Begegnungsort, ein Wohlfühlraum. Jetzt gibt es gar nichts mehr auszuleihen, nicht mal Fachbücher an anderer Stelle. ————————————————————————————————————————— Wunschdenken Moderne Schulen mit Lern- und Ruheräumen und einer gut sortierten Bücherei. “.... Und wovon träumen Sie nachts? Lern- und Ruheräume – in Schulen??? Die haben doch nicht mal halbwegs anständige Toiletten. Und Büchereien gibt es in Berliner Schulen seit dem Krieg nicht mehr. (Außer vielleicht in der einen oder anderen Schule eine Abstellkammer mit verstaubten alten gespendeten Büchern). Dafür waren ja die Stadtbüchereien zuständig. ....” (online kommentar eines TSP-Lesers) Und wie sieht es in den jugendzentren, kirchen usw. aus ? Es muß eine gesamtanalyse auf den tisch. Stattdessen wohlfeile namensbenennung: das kostet ja nichts – dauert aber trotzdem (erste beratung 20109-vier jahre (sic !) http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. |
Nr. 6, neu, 22.01.2014 - 23:56 Wolfgang Tillinger “Wer glaubt, die Stadtteilbibliothek Halemweg wird so ohne weiteres geschlossen oder – an wen auch immer – übertragen, muss mit Widerstand rechnen.” (auf facebook) mein Kommentar: so,so.. da kettet sich der ehemalige LINKE, jetzt SOZI, sicherlich an die bücher. Da müßte Herta Müller sich auch eine andere Bibliothek suchen ——————————————————————————————— TIPP: entwickle deine eigene bibliothek, und spende später die bücher… http://buechertisch.org/ |
Nr. 7, neu, 24.01.2014 - 10:46 Berliner Abendblatt vom 19.1.2014 “Büchereien: Wegen Personalmangel droht Standort-Schließung” http://www.abendblatt-berlin.de/2014/01/.. |
Nr. 8, Siegfried Schlosser, 25.01.2014 - 00:21 @neu: der Link im Post Nr. 5 tut nicht. Kleiner Tip: nicht den Link aus der Browser-Adresszeile kopieren – das ist nur ein temporärer Link. Statt dessen oben rechts das Bildchen neben dem Drucker und dem Umschlag rechtsklicken, Linkadresse kpieren wählen, glücklich sein |
Nr. 9, neu, 25.01.2014 - 10:16 Danke: Hier nun der korrekte Lesezeichenlink http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. |
Nr. 10, neu, 06.02.2014 - 15:45 bücherverschleppung und büchervernichtung im bezirk: ein vergessenes kapitel aus der ns zeit-die bücher der logenhäuser und der führerschule: http://www.initiativefortbildung.de/pdf/.. https://de.wikipedia.org/wiki/Friedrich_Murawski damals gab es eine zentralbibliothek: in der prinz albrecht str. (RSHA) |
Nr. 11, neu, 09.02.2014 - 14:35 Hier eine kontroverse auf der PIRATEN website aus dem letzten jahr: http://piratenpartei-charlottenburg-wilm.. |
Nr. 12, maho, 06.03.2014 - 01:16 Weiterer Artikel im Tagesspiegel: “Teurer Protzbau zu Lasten der Bezirksbüchereien” http://www.tagesspiegel.de/berlin/neue-l.. |
Nr. 13, neu, 06.03.2014 - 11:16 TSP vom 4.3. zum Thema Bibliotheken in Warenhäuser (Auch in chawi sollte die zentralbibliothek in die wilmersdorfer arcaden: jetzt ist es das bürgeramt- mit den fatalen folgen: Statt wartebereich, shopping ohne ende.- hierzu die große anfrage der GRÜNEN in der febr. bvv http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w..) Das beispiel Tempelhof läuft ähnlich http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlin.. |
Nr. 14, neu, 07.03.2014 - 10:28 mein Beitrag in der Märzausgabe der BLZ der GEW (Berliner Lehrerzeitung) http://www.gew-berlin.de/10103_10475.php |
Nr. 15, neu, 10.03.2014 - 15:26 Tempelhof-Schöneberg zum zweiten: http://www.morgenpost.de/berlin-aktuell/.. |
Nr. 16, joachim neu, 11.03.2014 - 10:47 die antworten des BA auf die fragen 9 und 16 zu den bibliothekenin chawi auf der bezirkswebsite http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. |
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Pläne erstmal vom Tisch – aber laut Stadträtin Dagmar König: „So oder so“ müssten Standorte geschlossen oder „in ehrenamtliche Trägerschaft überführt“ werden. ....
http://www.tagesspiegel.de/berlin/berlin..