Uhlandstraße 1945 – ein Jahr Gedenktafelantrag
„Es sollte nicht notwendig sein, für solch
eine Gedenktafel überhaupt Unterschriften
sammeln zu müssen.“
Dr. Ellis Huber
Aber die Umstände in diesem Bezirk machen es nun einmal notwendig. Das Positive daran ist, daß sich dabei interessante Gespräche und Fragen ergeben wie zum Beispiel:
Warum tagt die Gedenktafelkommission eigentlich geheim? Sind Gedenktafeln nicht in besonderer Weise eine Angelegenheit der Öffentlichkeit? In Friedrichshain-Kreuzberg plant man jedenfalls, die Sitzungen öffentlich zu machen. Die Fraktion der Piratenpartei in unserem Bezirk scheint sich im Rahmen von „OpenAntrag“ eine entsprechende und eigentlich selbstverständliche Forderung (Eingang 21.3.2014) zueigen machen zu wollen. Die bisherigen Reaktionen von Bezirkspolitikern darauf sind aber noch nicht wirklich ermutigend; aber immerhin wird es für unverständlich gehalten, daß noch nicht einmal die Antragsteller eingeladen werden – seit Bildung der jetzigen Kommission im November 2011, also seit 2 ½ Jahren, wurde unter dem Vorsitz von Frau Stückler (CDU) noch kein einziger in eine Sitzung gebeten. Und offenbar soll es – laut Presserecherche – nach dem Willen der Kommissionsmehrheit auch weiterhin so gehalten werden: Denn BILD meldete am 24. Juni:
„Im August soll die Gedenktafel-Kommission des Bezirks darüber entscheiden“,
aber mein Begleiter, ein renommierter Historiker und Träger des Großen Bundesverdienstkreuzes, und ich als Antragsteller sind der Kommissionsmehrheit bereits zum vierten Mal unerwünscht – und das, obwohl die Vorsitzende bereits am 6. Februar per Email diese Zusage gegeben hatte:
"Sobald die Angelegenheit beratungsreif ist, werde ich Sie zu einer Sitzung der Gedenktafelkommission einladen. Es steht Ihnen frei, ggf. eine weitere fachkundige Person hinzuzuziehen." (Hervorh. v. mir)
Demokratie und bürgerschaftliches Engagement im Praxistest
So ergibt sich diese merkwürdige Situation im Hinblick auf das von allen Parteien erwünschte bürgerschaftliche Engagement und unsere Demokratie:
Da ist einerseits die erwähnte Mehrheit der Gedenktafelkommission (etwa vier Personen), die seit nunmehr einem Jahr die Ehrung von Mordopfern des NS-Staates, die Widerstand geleistet haben, immer wieder verzögert, sich jeglicher Diskussion darüber entzieht und sogar Zusagen bricht, wozu sie ja qua Amt die Macht hat.
Auf der anderen Seite findet man Politiker aller Parteien, die dieses Gedenken vorbehaltlos unterstützen – nur haben sie eben nicht dieses Amt inne –, sowie viele Bürger, Organisationen und Gremien. Als Befürworter sind in letzter Zeit hinzugekommen Franziska Becker, MdA (SPD), Elfriede Brüning, Jg. 1910, Schriftstellerin (1), Dr. Wilfried Fest, Historiker, Vorsitzender des Freundeskreises der Stadtbibliothek, Dr. Ellis Huber, ehem. Gesundheitsstadtrat und Präsident der Berliner Ärztekammer, Kreisvorstand Charlottenburg-Wilmersdorf Bündnis 90/ Die Grünen, Mitinitiator der Gedenktafel „Aktion T4“, Petra Pau, MdB (Die Linke), Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, Ülker Radziwill, MdA (SPD), Dr. Hans-Rainer Sandvoß, Historiker, Ilse Schaad, ehem. Mitglied des GEW-Bundesvorstandes, und Laura v. Wimmersperg, Friedensinitiative Wilmersdorf und Mitherausgeberin jener Broschüre (2), die den Anstoß dazu gab, einen erneuten Anlauf seit 1983 und 1995 für die Schaffung der Gedenktafel zu nehmen.
Ebenfalls der Pfarrgemeinderat der katholischen Kirchengemeinde 'Maria unter dem Kreuz', zu der die Heilig-Kreuz-Kirche in der Hildegardstraße gehört, "unterstützt die Errichtung einer Gedenktafel für den von der SS in den letzten Kriegstagen im April 1945 erhängten 17jährigen vor dem Haus Uhlandstraße 103." (Beschluß vom 1. Juli)
Derweilen ist der offizielle Brief von Klaus-Dieter Gröhler, MdB (CDU) für Charlottenburg-Wilmersdorf eingetroffen, worin es heißt:
„Initiativen wie Ihre, sind geeignet, unsere Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Ein, wie ich finde, wichtiges Anliegen.
Ich wünsche guten Erfolg.“
Insgesamt haben bis Ende Juni nunmehr über 560 Menschen ihre Unterschrift unter den Brief (3) an die Gedenktafelkommission gesetzt: Bürger im Alter von 16 bis 104 Jahren, angesehene Historiker und Politiker aller Richtungen, von denen einige sogar angekündigt haben, sich bei ihren Parteikollegen auf Bezirksebene für eine baldige Schaffung der Gedenktafel am Tatort einzusetzen … (4).
Unterschriften, Presse, Spenden und eine Schulklasse
Ein besonderer Dank geht an all diejenigen, die am Arbeitsplatz, in der Kirchengemeinde, unter Senioren und bei Freunden 562 Unterschriften unter den Brief an die Gedenktafelkommission gesammelt haben. Er geht zugleich mit diesem Artikel an die Kommissionsmitglieder, und es bleibt nur zu hoffen, daß sie oder zumindest die Vorsitzende diesmal (5) den Unterzeichnern antworten (etwa durch einen Kommentar unter diesen Text).
Neben der Bild-Zeitung haben sich in letzter Zeit auch die Berliner Woche am 11. Juni („Ermordeten Deserteur ehren“) und am 21. Juni das Berliner Abendblatt des Themas angenommen, letzteres unter dem passenden Titel „Verzögerung von Amts wegen“. Die blz, Zeitschrift der GEW Berlin, hat im Juni über das Anliegen berichtet, und die Auen-Zeitung der ev. Auen-Kirchengemeinde wird es im August tun.
Bis Ende Juni sind 1006 € Spenden eingegangen, alle privat. Die Kosten für die freistehende Tafel selbst werden bei 1.600 € und mehr liegen; hinzu kommen noch weitere Kosten für das Fundament, die Aufstellung usw. Den vielen Spendern danke ich sehr herzlich!
Weitere Spenden (bei Angabe der Adresse Spendenquittung!) bitte ich hierhin zu senden:
Aktives Museum e.V., Nr. 610 012 282 bei der Berliner Sparkasse (BLZ 10050000),
bitte Verwendungszweck angeben: „Uhlandstraße 1945“
Besonders erfreulich ist, daß die Schulkonferenz des Goethe-Gymnasiums in Wilmersdorf (in Sichtweite vom Tatort) beschlossen hat, im Rahmen des Sommerfests am Sonnabend, den 5. Juli (9 bis 13 Uhr), auf dem es auch um Lokalgeschichte geht, auf den Mord an dem jugendlichen Deserteur hinzuweisen. Dazu wird eine 10. Klasse eine Wandzeitung erstellen, die dann hier im Blog vorgestellt wird.
Der Kommentator des Hamburger Abendblatts, Joachim Mischke, meinte am 6. Juni zu der von der Hamburger Bürgerschaft beschlossenen Deserteurehrung: „Das Deserteurdenkmal verdient Anerkennung“ und fuhr fort:
„Dieser Kommentar ist, auch wenn er nur kurz ist, eine Schande. 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten und 69 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges sollte man in diesem Land nun wirklich nicht mehr erklären müssen, dass jedes Deserteurdenkmal richtig ist. Und wichtig. Und dass diese Deserteure keine charakterlosen Vaterlandsverräter waren, sondern mutige Menschen.“
Die seit einem Jahr die Deserteurgedenktafel blockierende Mehrheit in der Gedenktafelkommission von Charlottenburg-Wilmersdorf sollte sich die Forderung von 562 Bürgern aller Altersgruppen und quer durch alle Parteien, von neun Gremien und von mehreren renommierten Historikern und auch die klaren Worte des Kommentators zu Herzen nehmen und nunmehr endlich gemeinsam mit Initiator und „fachkundiger Person“ die Gedenktafel für den 17jährigen und alle anderen Deserteure zu einem schnellen und würdigen Ende bringen.
MichaelR
(1) Sie ist das einzige noch lebende Mitglied des Bundes Proletarisch-Revolutionärer Schriftsteller.
(2) Wilmersdorf. Alltag und Widerstand im Faschismus, hg. von einer Arbeitsgruppe der Friedensinitiative Wilmersdorf und der VVN Westberlin-BdA, 1983, S. 53 (Stadtbücherei: B 152 Wil Wilmersdorf)
(3) Eine Gedenktafel für einen 17jährigen vor Uhlandstraße 103 in Berlin-Wilmersdorf!
In den letzten Kriegstagen im April 1945 wurde vor dem Haus Uhlandstraße 103 ein 17jähriger erhängt. Die SS hatte ihn in einem Keller in der Berliner Straße gefunden, wo er sich versteckt hatte. Ihm wurde ein Schild um den Hals gehängt: „Ich war zu feige, für Deutschland zu kämpfen“. Seine Leiche ließ man zur Abschreckung einige Tage dort hängen.
Bis in die 50er Jahre hinein legten Wilmersdorfer Bürger an seinem Todestag dort Blumen nieder und erinnerten anstelle einer Gedenktafel mit einem beschrifteten Pappkarton an den Mord.
Wir meinen: Es ist Zeit, seiner dort dauerhaft zu gedenken - zusammen mit all den anderen, die sich dem Krieg verweigert haben und in den Straßen der Stadt dafür ermordet wurden. Daher unterstützen wir - gemeinsam mit dem Aktiven Museum e.V., der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, der Gedenkstätte Deutscher Widerstand und der Berliner VVN-BdA - diese Initiative für eine Gedenktafel.
(Seit Abfassung des Briefes kamen noch hinzu: das Kinder- und Jugendparlament, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Berlin, die Seniorenvertretung sowie die evangelische Auen-Kirchengemeinde und der Pfarrgemeinderat der katholischen Kirchengemeinde 'Maria unter dem Kreuz'.)
Weitere Unterschriften sind möglich, indem Sie in einer Email an
uhlandstrasse1945@gmx.de mitteilen, daß Sie den Brief befürworten.
(4) Hoffentlich intensiver als Stefan Evers, MdA (CDU, Stellv. Fraktionsvorsitzender): Er wolle erst einmal alles „genau überprüfen“, sagte er beim Gespräch am 29. April und versprach eine Entscheidung in den ersten Junitagen. Mitte Juni dankte er für den Hinweis, daß der Termin verstrichen sei, aber es müsse weiterhin „sorgfältig recherchiert“ werden.
(5) Die Schreiben der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz, der VVN-BdA, der Seniorenvertretung und des Kinder- und Jugendparlaments liegen seit Monaten unbeantwortet bei der Vorsitzenden.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 02. Juli 2014 - 00:02
Tags: gedenken/kriegsende/nationalsozialismus
fünf Kommentare
Nr. 2, eugen troendlin, 02.07.2014 - 13:35 http://www.thf33-45.de/ der verein thf33-45 unterstützt die gedenktafelinitiative michael roeders und fordert, dass die gedenktafelkommission charlottenburg ihre sitzungen öffentlich macht und dem antrag michael roeders endlich zustimmt. |
Nr. 3, Rumpf, 02.07.2014 - 22:07 Ich bin fassungslos, dass es Widerstand (oder was soll man sonst dazu sagen?) gegen die Gedenktafel gibt. Sigrid Rumpf |
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der BLZ (GEW_Berlin)Beitrag:
http://www.gew-berlin.de/10103_10796.php