Straßen und Plätze: Pariser Straße
In Erinnerung an H. R. und G. G.
"Noble Altbauten, kleine Designer-Läden und schicke Wagen prägen das Straßenbild. Doch bei einem Spaziergang durch die Pariser Straße wird bald klar - ganz so edel wie am etwas weiter nördlich gelegenen Savignyplatz geht es hier nicht zu", weiß ein Stadtteilportal zu berichten.
Der Anfang der Straße aber war zweifellos ziemlich unedel: als Weg entlang einem stinkenden Abwasserkanal, dem Schwarzen oder Hauptgraben, der sich – vom Wilmersdorfer Fenn über Schöneberg kommend – über die zukünftige Pariser und die spätere Kaiser-Friedrich-Straße (1) nach Lietzow und zur Havel hinzog. 1891 wurde der Graben verrohrt, die Bebauung der Straße setzte nun im großen Maßstab ein und war bis 1912 vollständig abgeschlossen.
Bis dahin war auch endlich die Entscheidung gefallen, welches Stück Weg
denn nun nach der französischen Hauptstadt heißen soll: Zunächst – 1893
(2) oder 1895 (3) – erhielt der Abschnitt der Hopfenbruchstraße (4)
zwischen dem Ludwigkirchplatz (5) und der östlichen Gemeindegrenze (der
späteren Bamberger Straße), jenseits der Bundesallee (damals:
Kaiserallee), den Namen „Pariser Straße“. 1902 erlebte die Straße eine
erhebliche Westverschiebung: Der Abschnitt östlich der Bundesallee wurde
abgetrennt und in Regensburger Straße umbenannt; gleichzeitig wurde ihr
die westlich vom Ludwigkirchplatz gelegene Königsberger Straße
zugeschlagen. Seitdem erstreckt sich die Pariser Straße von der
Württembergischen Straße (die schon damals so hieß) bis zur
Bundesallee.
Durch diese Westverschiebung entstand ein Problem für die Straße: Sie wird nun von einem Platz unterbrochen und aufgrund von dessen Länge in zwei ziemlich entfernte Abschnitte geteilt. Diese Teilung der Straße ist gut 80 Jahre später an der Südostecke des Ludwigkirchplatzes bis zur völligen Zerschneidung vollendet worden: Erst wurde zwischen 1975 und 1982 durch straßenbauliche Maßnahmen – unter Einsatz einer Wall‘schen „City Toilette“ – die Verbindung der beiden Teile über die Südseite des Ludwigkirchplatzes unterbrochen, dann zwischen 1982 und 1986 auch die über die Nordseite des Platzes.
Es handelt sich um Stadtplanung auf modernstem Niveau: Bau von Barrieren (6) für den Autoverkehr, mit Schlupflöchern für Fußgänger und Radfahrer zwischen den zahllosen Pollern (7), damit gleichzeitig Zerstörung des Straßenverlaufs, der aufgrund des zeitgeistigen Behinderungsumbaus nun nicht mehr ohne weiteres zu erkennen ist, weshalb für die Fußgänger Hinweisschilder auf die Fortsetzung der Straße aufgestellt werden müssen. (8) Das Ganze bietet eigentlich einen schönen Anlaß, sich Gedanken über den Zusammenhang zwischen sozialem Verhalten im Straßenverkehr und straßenbaulichen Zwangsmaßnahmen zu machen. Oder auch: Wieso Stadtentwicklungsverantwortliche glauben, ein gedeihliches Miteinander von Wohnen und Verkehr sei nur durch teure und häßliche Eingriffe in die gewachsenen Straßen möglich. (9)
Nachzutragen bleibt, daß schon zwischen 1973 und 1975 die Pariser Straße an der Einmündung in die Bundesallee – der schon Anfang der 60er Jahre, bei ihrem Ausbau zu einer Art Stadtautobahn, die letzten beiden Grundstücke der Pariser Straße zugeschlagen worden waren – zu einer Sackgasse mit einer Wendeanlage in der Form eines Wendekreises (10) gemacht wurde, das ganze gekrönt von einem Brückenbau als optischer Riegel gegen die Bundesallee.
So weit der östliche Straßenteil, der im Vergleich zum westlichen den edleren und ruhigeren Eindruck macht: alte Hausfassaden (denkmalgeschützt Nr. 3, 61 und 62), ein Haus mit Wandbild im Hof (Nr. 47 (11)), eine der wenigen noch existierenden Buchbindereien, zwei Galerien (die eine dem schwulen Mann, die andere der zeitgenössischen gegenständlichen Malerei verschrieben). In der letzteren, der „Galerie Taube“ (Nr. 54), findet seit 1978 jedes Jahr im Dezember eine Sammelausstellung von Künstlern der Galerie statt: der „Dezembersalon“. Dieses Jahr ist die Vernissage am Freitag, den 5. Dezember von 19 bis 22 Uhr.
Der
westliche Teil der Pariser Straße ist mehr dem alltäglichen Leben
zugewandt: BäckerMann, Netto, Pizza Factory, 7 Days Late Shop und in Nr.
44 der Fabulous Route 66 50's Diner Berlin – genau dort (noch erkennbar
der Kinoeingang), wo sich bis 1995 das Programmkino Graffiti befand,
bis es durch eine Mieterhöhung seitens des staatlichen Hausbesitzers zur
Aufgabe gezwungen war. (12) Aber an dieser Ecke ist doch noch ein Bezug
zum Schöngeistigen erhalten: ein historischer Wegweiser zur fernen
Stadtbücherei Wilmersdorf.
Ein
hochmodernes Gegengewicht dazu bildet am westlichen Ende der Pariser
Straße – dort wo sie auf den Olivaer Platz stößt und wo schräg gegenüber
bereits die auf ehemaligen Kleingärten gebauten „Rosengärten“ stehen – ein noch nicht fertiger, aber schon zu 80 %
„vergebener“ Neubau, zeitgemäß „Quartier Pariser Straße“ benannt, und
wer sich dort für 4.200 bis 5.500 €/m² in Wohnungen mit schlauchförmigen, unterbelichteten Räumen einkauft,
ist dann lt. Werbung „Zuhause mitten in der Stadt“.
MichaelR
Quellen (über die Links hinaus)
Quelle Kartenausschnitt (1. Bild):
© OpenStreetMap-Mitwirkende - verfügbar unter der Open-Database-Lizenz
Kauperts: Pariser Straße
(1) siehe den Absatz „Der Schwarze Graben"
(2) Beilage zum Berliner Adressbuch 1893, bearbeitet von Julius Straube
(3) Edition Luise
(4) Neben dieser west-östlichen Hopfenbruchstraße, die an dem ehemaligen Sumpfgebiet entlanglief, gab es auch eine nord-südliche, die von Wilmersdorf aus hineinführte; letztere heißt jetzt Landhausstraße.
(5) 1885: Platz A, 1890: Straßburger Platz, 1895: Ludwigkirchplatz
(6) … und das im Zeitalter der Barrierefreiheit!
(7) Einen interessanten Einblick in das Leben und Sterben von Pollern findet man hier. - Zur Fachsprache: ein mit Pollern gesättigter Straßenbereich ist „abgepollert“, nach deren Beseitigung ist er „entpollert“.
(8) Brigitte Reimann läßt in ihrem 1974 erschienenen Roman „Franziska Linkerhand" (Stadtbücherei-Signatur: Historisches Roman Reim) die junge Architektin über die Stadtplanung der DDR der frühen 60er Jahre sagen: „Ihr habt die Straße zertrümmert!“ (S. 342) Das ist hier Jahrzehnte später in gleicher Weise der Westberliner Stadtplanung gelungen.
(9) Dazu noch einmal die Erkenntnis des Pollerforschers Helmut Höge: „Poller sind fast immer ein Zeichen für planerisches Versagen. Die Dimension dieses Versagens drückt sich in der unerschöpflichen Vielfalt der am Markt erhältlichen Produkte aus.“
(10) Die „Richtlinie für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06)“ kennt sieben Grundformen von Wendeanlagen/Wendeplätzen, in Hanglage Wendeplatten genannt, die sowohl symmetrisch als auch asymmetrisch sein und dabei die Gestalt eines Wendekreises oder eines Wendehammers annehmen können.
(11) Die Bilder in der Durchfahrt sind grau übermalt.
(12) Eine Erinnerung an die unglaubliche Menge von verschwundenen Kinos, besonders in Westberlin: „Ich erinnere mich“
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 01. Dezember 2014 - 00:02
Tags: plätze/poller/stadtgeschichte/straßen/wohnungsbau
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Für die zukünftige Weiterentwicklung des Bereiches Fasanenplatz/ Pariser Str ist es von besonderer Bedeutung , dass es im Zuge der zu erwartenden Baumaßnahem am Ende der Pariser Str (Bebauungsplan 4-19) zu keiner Öffnung der bisherigen Sackgasse zur Bundesallee hin kommt.Eine verkehrliche Öffnung wäre nicht akzeptabel