Grünes Oeynhausen-Gutachten: Analyse
Oder: Wie 15.000 € Steuergelder trotzdem sinnvoll genutzt wurden
Am 13.1.2015 hatten einige Bürger das große Glück, der Vorstellung eines juristischen Gutachtens beiwohnen zu können, das „objektiv und vorbehaltlos“ war. So sagte man jedenfalls. Aber schon im Saal wurden erste Zweifel laut. Diese Zweifel verdichten sich mit der Gutachtensanalyse von Rechtsanwalt Dr. Vonnemann und Senatsrat i.R. Mahnke , die hier im folgenden vorgestellt wird. Da dies so knapp und verständlich wie möglich geschehen soll, müssen Details im Text selbst nachgelesen werden. Diese Analyse ist kein Gegengutachten, sondern untersucht, ob das Grüne Gutachten „rechtlich substantiiert und nachvollziehbar begründet“ (S. 1) darlegt, warum die Eigentümerin (Lorac) des Grundstücks Oeynhausen Nord Entschädigungsansprüche habe, sollte der Bebauungsplan IX-205a festgesetzt und das Grundstück als Kleingartenanlage festgeschrieben werden.
1. Ausgangspunkt ist die Frage: Ist es der Lorac wirtschaftlich zumutbar, das Grundstück als Kleingartenanlage zu behalten, oder hat sie einen Übernahmeanspruch gegen das Bezirksamt
Das Gutachten sagt, die Weiternutzung als Kleingärten sei für die Lorac „bei lebensnaher Betrachtung“ wirtschaftlich nicht sinnvoll, da Zweck des Kaufs die Bebauung mit Wohnungen gewesen sei („bauliche Verwertbarkeit“, S. 17).
Die Analyse stellt dazu fest: Dafür legt das Gutachten keine Belege vor und versäumt überdies, das ebenfalls „lebensnahe“ Gegenargument zu diskutieren: daß nämlich in jedem Paketkauf – wie diesem hier aus dem Jahr 2008 mit über 1.000 Grundstücken – neben attraktiven auch unattraktive Grundstücke, z.B. Grünland, enthalten sind. Die eventuelle Annahme dieses Gegenarguments hätte zur Folge, daß es der Lorac zumutbar wäre, das Grundstück mit seiner jetzigen Nutzung zu behalten, womit der Entschädigungsanspruch entfiele.
2. Nachdem das Gutachten einen Übernahmeanspruch annimmt, geht es um die Höhe des Kaufpreises bzw. der Entschädigung. Dabei ist zentral die Frage: Ist auf diesem Grundstück Wohnungsbau planungsrechtlich zulässig? Nur bei Bejahung gibt es Entschädigung.
Das Gutachten sagt: Ja, zulässig aufgrund des Baunutzungsplans von 1958/1960, der Bebauung vorsieht. Der Plan sei durch die seitdem stattgefundenen Veränderungen nicht funktionslos geworden, weil das Grundstück ja über die Forckenbeckstraße zugänglich sei.
Die Analyse weist darauf hin, daß der Straßen- und Baufluchtlinienplan von 1901 die Erschließung jedoch über ein umfangreiches Straßenraster vorgesehen hatte, das heutzutage nicht mehr realisiert werden kann. Dieser Aspekt und die daraus möglicherweise abzuleitende heutige Funktionslosigkeit des Baunutzungsplans wird vom Gutachten nicht diskutiert.
3. Da das Gutachten die Zulässigkeit von Wohnungsbau annimmt, ist als nächstes zu prüfen, ob der Entschädigungsanspruch dennoch erloschen ist. Das ist dann der Fall, wenn das Grundstück zwar seit mehr als 7 Jahre erschlossen – d.h.: in zumutbarer Weise erreichbar – ist, aber dennoch nicht bebaut wurde (7-Jahres-Frist).
Das Gutachten weist einerseits darauf hin, daß die über zwei Meter hohe Böschung zwischen Straße und Grundstück gegen eine zumutbare Erreichbarkeit und damit gegen die Erschließung spreche, stellt andererseits aber fest, daß „die Böschung abgetragen (werden kann)“ (S. 21). Abschließend konstatiert es eine fehlende zumutbare Erreichbarkeit des Grundstücks; es sei also nicht erschlossen und somit die Frist nicht abgelaufen.
Die Analyse kritisiert, daß der offensichtliche Widerspruch bzgl. der Rolle der Böschung nicht argumentativ aufgelöst und die fehlende Erschließung (bis 2011, siehe folgende Ziffer) nur behauptet wird.
4. Das Gutachten folgert aus dem Erschließungsangebot der Lorac vom 1.2.2011, daß erst seitdem eine gesicherte Erschließung vorläge und folglich ein noch nicht verjährter Entschädigungsanspruch.
Die Analyse bemängelt, daß dies allein unter Bezugnahme auf das nicht rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts vom 9.5.2014, gegen das das Bezirksamt Berufung eingelegt hat, behauptet wird und daß es an darüber hinausgehenden eigenen Argumenten des Gutachters fehlt.
5. Falls die erwähnte 7-Jahres-Frist aber doch abgelaufen sein sollte, hätte gemäß der Rechtsprechung die Lorac trotzdem einen Entschädigungsanspruch, wenn a) die Restnutzbarkeit des Grundstücks durch den Bebauungsplan maßgeblich eingeschränkt und zusätzlich b) der Eigentümerin dadurch im Vergleich zu ihren Nachbarn ein Sonderopfer auferlegt wird.
a) Das Gutachten „geht davon aus“ – siehe dazu die Feststellung oben 1. über die bezweckte „bauliche Verwertbarkeit“ – daß die Verpachtung an die Kleingärten der Lorac keinen „angemessenen privatnützigen Handlungsspielraum belassen könnte“ (S. 35).
Die Analyse hält dem entgegen, daß dies behauptet werde, ohne aber die Tatsache diskutiert zu haben, daß die dabei erzielbare Rendite (Pachtzins) von über 4 % deutlich über dem Niveau der Renditen liegt, die üblicherweise bei einem vergleichbar sicheren Investment erzielt werden können.
b) Jetzt muß noch geprüft werden, ob die Eigentümerin durch diese eingeschränkte Verwertbarkeit des Grundstücks mit einem Sonderopfer im Vergleich zu anderen Eigentümern in einem Vergleichsgebiet belastet wird, weil diese anderen die Möglichkeit der baulichen Nutzung behalten.
Das Gutachten zieht als Vergleichsgebiet ein Areal heran, das u.a. von Tölzer Straße, Forckenbeckstraße und Friedrichshaller Straße begrenzt wird und das somit identisch ist mit dem 1901 festgesetzten Areal, auf dem nach damaliger Planung ein Wohngebiet entstehen sollte. Es bejaht ein Sonderopfer.
Die Analyse weist darauf hin, daß bei der Bestimmung des Vergleichsgebiets übersehen wurde, daß die seit dem Baunutzungsplan von 1958/1960 eingetretenen tatsächlichen und rechtlichen Veränderungen dazu geführt haben, daß alle noch nicht bebauten Areale, die das Grundstück umgeben, gar nicht mehr zu Wohngebiet werden können, und wirft dem Gutachten fehlende Sachverhaltsaufklärung vor.
Ergebnis Das Gutachten kommt zu einem Entschädigungsanspruch der Lorac in einer Höhe von 31 bis 35,9 Mio. €.
Die Analyse kommt zu dem Ergebnis: An jeder „juristischen Weggabelung“ des Gutachtens sind fehlende bzw. unzureichende Argumentation und bloße Behauptungen tatsächlicher Art festzustellen, die das Gutachten auf die Bejahung eines Entschädigungsanspruches hinsteuern (*). „Angesichts dieser offenbar vom gewünschten Ergebnis her bestimmten ‚Lenkung‘ des Gutachtens kann dem Ergebnis keine juristische Bedeutung beigemessen werden.“ (S. 7f.)
Vielleicht keine Bedeutung unter Juristen, aber für die Zwecke der Zählgemeinschaft in der BVV langt‘s allemal.
MichaelR
(*) Passend dazu die Beobachtungen im Kommentar Nr. 5.
MichaelR - Gastautoren, Politik - 10. Februar 2015 - 19:20
Tags: gutachten/kleingartenkolonie/kleingärten/klimaschutz/wohnen/wohnungsbau
drei Kommentare
Nr. 2, jn, 05.03.2015 - 11:18 hier das gutachten der LINKEN: http://www.linksfraktion-berlin.de/polit.. |
Nr. 3, jn, 06.03.2015 - 11:26 http://www.dielinke-charlottenburg-wilme.. Lompscher und Schulte reden – aber schweigen doch ! Gelogen hat keiner – doch von der Wahrheit haben beide nicht erzählt ! Heute, am 5.3., steht im ND auf der s.11 unter der Überschrift “Hoffnung für Oeynhausen” folgende kleine notiz: “Die Linksfraktion hat das Gutachten bereits vor zwei Wochen an Innensenat und das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf verschickt-bisher aber noch keine Antwort erhalten.” d.h. am 26.2. (vor einer woche lag bereits seit einer woche beiden referenten das Gutachten vor) Da grenzt es an zynismus die anwesenden bürger*innen und besonders die Oeynhausener “draußen vor der tür” zu halten, scheingefechte zu führen, schlicht die anwohner*innen zu “verar…” dokumente http://pardok.parlament-berlin.de/starwe.. https://www.youtube.com/watch?v=uvRMJOE3rvg#t=607 |
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von gutachten zu gutachten…
die ersten
http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w..
das (vor)letzte ? (LINKE)
Neues Gutachten: Oeynhausen ist wohl kein Bauland
Juristen äußern sich zum Streit über die Kleingärten
Berliner Morgenpost 04.03.2015, S. 11
Neue Hoffnung für die Wilmersdorfer Gartenzwerge
Ein Gutachten der Linken vermutet den Grundstückwert niedriger als bisher angegeben
Taz 04.03.2015, S. 22
(die CDU will ja auch noch mal…)