Zwei Ungereimtheiten um das BA-Zwangsarbeiterlager Wilhelmsaue und eine Schlußfolgerung
Erste Ungereimtheit: Ein Fragezeichen taucht plötzlich auf
Auf der Sitzung der Gedenktafelkommission (GTK) am 24.9.2015 ergriff ein geneigter Besucher das Wort und sagte laut Protokoll: „Herr K. kann die Existenz eines Zwangsarbeiterlagers [in Wilhelmsaue 40] nicht befürworten. Es gibt keine eindeutigen Beweise.“
Herr K. unterstrich diese seine Aussage nochmals in einer Email vom 17.11., wonach dieses Lager „ mit einen Fragezeichen versehen“ sei, und das bedeute „vertiefendes Nachforschen“. Allerdings mochte Herr K. das Fragezeichen nicht näher erklären, z.B. mittels eines Auszuges aus der von ihm erstellten Lagerliste.
Nun liegt, von dritter Seite freundlicherweise zur Verfügung gestellt, dieser Auszug vor, und er lautet:
Hier sieht man tatsächlich das erwähnte Fragezeichen. Findet es sich auch im Dokument? Und wie steht es mit der Betreiber-Angabe in Herrn K.s Lagerliste? Daher also zum Vergleich ein Blick in das Dokument selbst (in zeilengenauer Abschrift):
Man sieht: der Betreiber ist bei Herrn K. falsch wiedergegeben, und ein Fragezeichen gibt es auch nicht (womit auch klar ist, warum Herr K. keinen Auszug zur Verfügung stellen wollte). Das Dokument selbst sagt vielmehr: Es handelte sich uneingeschränkt um ein Lager des Bezirksamtes Wilmersdorf.
Warum nimmt Herr K. solch Betreiber-Veränderung und Fragezeichen-Ergänzung vor? Vielleicht hilft bei der Suche nach einer Antwort der Hinweis in seiner Email, daß das Fragezeichen „vertiefendes Nachforschen“ bedeute (1). Aber er sollte sich keine Hoffnung auf einen bezahlten Auftrag des Bezirksamtes machen, denn die zuständige Stadträtin hat für solche Aufträge „momentan keine Kapazitäten“, wie sie per Email am 13.11. mitteilte. Und andererseits hinwiederum sollte die Freude über Herrn K.s kostenloses Forschen, wie im November im Kulturausschuß, weder dessen Mitglieder noch die der GTK oder das Bezirksamt dazu bringen, die Ergebnisse unbesehen zu übernehmen.
Zweite Ungereimtheit: Dafür tauchen zwei Schriftstücke nicht auf
Das Protokoll der GTK-Sitzung vom 24.9. war gegen Ende Oktober wieder von der Webseite der GTK verschwunden (1. Kommentar) – wie es hieß, weil es Beschwerden wegen seiner Unvollständigkeit gab: Es fehlten nämlich sowohl eine Liste von 38 in Wilhelmsaue 40 gemeldeten Polen, Jugoslawen und Tschechoslowaken als auch ein Schreiben der Leiterin des Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit der Topographie des Terrors („Vierter Dreh“), die beide von der Vorsitzenden der GTK vor Ort „zu Protokoll genommen“ wurden, wie sie es ausdrückte. Beide fehlen aber immer noch im jetzt wieder veröffentlichten Protokoll. Das Protokoll ist somit unvollständig, also falsch. Warum wurde es trotzdem am 16.11. angenommen?
Die Frage stellt sich insbesondere deshalb, weil beide Schriftstücke den Charakter des Lagers Wilhelmsaue 40 als Zwangsarbeiterlager hervorhoben – und damit im Gegensatz standen zu den unisono geäußerten Zweifeln der drei führenden Mitglieder der GTK, der Kulturpolitikerinnen von SPD, Grüner Partei und CDU.
Wenn man eins und eins zusammenzählt …
Zusammengefaßt hat sich also folgendes getan rund um das Thema „Erinnerung an die Zwangsarbeiter des Bezirksamtes Wilmersdorf, untergebracht in Wilhelmsaue 40“ (2):
- Die GTK gibt zwar ein Gutachten in Auftrag, diskutiert aber das den Zwangscharakter bestätigende Ergebnis gar nicht. Kein Mitglied antwortet auf die zweimalige Nachfrage, welcher konkrete Klärungsbedarf denn noch bestünde.
- Stattdessen äußern die drei führenden GTK-Mitglieder ganz pauschal, sie seien noch nicht überzeugt, vieles sei noch unklar, man müsse mehr recherchieren.
- Zusätzlich werden die zwei der Vorsitzenden zu Protokoll gegebene Papiere, die den Zwangscharakter des Lagers unterstreichen, im Protokoll verschwiegen.
- Eine von Herrn K. zusammengestellte Lagerliste wird hingegen sehr begrüßt, obwohl sie das Wilhelmsaue 40 betreffende Dokument verfälscht wiedergibt und seine Rolle als Zwangsarbeiterlager (vielleicht sogar seine Existenz?) ohne Angabe von Gründen infrage stellt.
- Der Bürgermeister schließlich lehnt, nach Rücksprache mit den drei Kulturpolitikerinnen, ein zugesagtes Gespräch ab (Email vom 16.11.), in dem es darum gehen sollte, daß das Bezirksamt beim Gedenken an das Zwangsarbeiterlager seiner Vorgänger in der Verantwortung steht und eine Pflicht zum eigenen Handeln hat.
Das sind die Taten. Es ist zwar schön, wenn der Bürgermeister in der erwähnten Email einleitend betont, daß es „notwendig“ und sogar „überfällig“ sei, daß dieser Bezirk die Zwangsarbeiterlager „zum Gegenstand seiner Gedenkarbeit“ mache. Aber das sind bisher nur Worte, zu denen die Taten in diametralem Gegensatz stehen. Und Taten sind nun einmal stärker als Worte!
P.S. Übrigens: Wann wird jemand aus der GTK (oder Herr K.) oder das Bezirksamt selbst daran gehen, sich nun auch mal gezielt um die Zwangsarbeiter seiner Vorgänger im Bezirk Charlottenburg zu kümmern?
MichaelR
(1) Es besteht überhaupt kein Zweifel, daß insgesamt noch viel zu forschen ist. Das ist jedoch kein Argument (auch wenn es bei Politikern sattsam beliebt ist als Mittel zum Hinhalten, Verzögern, Verhindern!), um in dieser konkreten Angelegenheit untätig zu bleiben.
(2) Siehe im einzelnen hier.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 04. Januar 2016 - 00:02
Tags: gedenken/nationalsozialismus/stadtgeschichte/zwangsarbeit
vierzehn Kommentare
Nr. 4, M.R., 14.01.2016 - 22:50 Lieber Stefan, hier erst einmal nur eine kurze Antwort; ich bitte um etwas Geduld, denn Ausführlicheres kommt ein bißchen später. 1) auf Grund meiner Kenntnisse und aus meiner persönlichen Kenntnis heraus : Bitte erkläre uns, was das für (persönliche) Kenntnisse sind, die Dir gebieten, daß ein einziges Dokument nicht genügt, um einen Sachverhalt zu belegen? Wo steht denn, daß es mehrere sein müssen? 2) Dokument zu Wilhelmsaue 40, ein Dokument was uns nur bestätigt das 18 Personen unterschiedlicher Nationalität im November 1942, also kurz vor Stalingrad, bei Erkrankung das Recht der freien Arztwahl hatten : Wieso bestätigt es nur das? Du erwähnst doch selbst, daß es sich auf einen bestimmten Ort, nämlich Wilhelmsaue 40, bezieht! Das Dokument bestätigt also auch, daß das Lager sich genau dort befand (bisher war nur bekannt, daß es eines irgendwo in der Wilhelmsaue gab). Und das Dokument bestätigt außerdem , daß es ein Lager der Bezirksverwaltung Wilmersdorf war, also des Bezirksamtes (und nicht ein stadtbezirkliches – was soll das überhaupt sein?; jedenfalls steht es nicht dort.) Ich fasse zusammen: Das Dokument vom November 1942 belegt, daß sich zu diesem Zeitpunkt in der Wilhelmsaue 40 ein Ausländerarbeitslager des BA Wilmersdorf befand. Daß dort Z w a n g sarbeiter untergebracht waren, wurde auch schon nachgewiesen (siehe: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. sowie Anm. 1 in http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. ); das bleibt in Deiner Antwort jedoch unerwähnt. Und jetzt eine Frage meinerseits: Warum liegt Dir so daran, durch diese Deine wenig belastbaren Äußerungen Wasser auf die Mühlen derjenigen in GTK und BA zu gießen, die offenbar bestrebt sind, die schon lange überfällige Erinnerung an die Zwangsarbeiter noch weiter zu verzögern und von sich zu weisen? Solltest Du Dich nicht eher dafür einsetzen, daß das BA nach über 70 Jahren endlich an die Zwangsarbeiter seiner Vorgänger erinnert? Was hast Du bisher dazu beigetragen, indem Du z.B. weitere Informationen über das BA-Lager in der Oranienstraße 13/15 – jetzt Nithackstraße 8-10 – in Charlottenburg sammelst, damit an beiden Orten an die BA-Zwangsarbeiter erinnert werden kann? Grüße |
Nr. 7, jn, 19.01.2016 - 02:00 hier die inkriminierte einwohnerfrage (Drucksache – 1497/4 ): zur Bezirksverordnetenversammlung 21.01.2016 http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w.. 4. Einwohnerfrage Erinnerung an die Zwangsarbeiter der Bezirksämter Charlottenburg und Wilmersdorf Im Februar 2015 bat das Bezirksamt die Gedenktafelkommission, „einen Vorschlag zu entwickeln, wie an den historischen Orten ein Gedenken [für die Zwangsarbeiter] ermöglicht werden kann“. Im Oktober 2015 gab die BVV, in Zusammenwirken mit der Gedenktafelkommission, den Auftrag zurück ans Bezirksamt und forderte es nunmehr seinerseits auf, „darzulegen, wie dieser Zwangsarbeiterlager in unserem Bezirk im Stadtbild gedacht werden kann“ (Einzelheiten: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi..): 1. Was für Vorschläge zum Gedenken an die Zwangsarbeiter hat das Bezirksamt seitdem in den drei Monaten seit Oktober 2015 erarbeitet bzw. erarbeiten lassen? Auch die Bezirksämter Charlottenburg und Wilmersdorf bedienten sich in der Zeit des Dritten Reiches der Zwangsarbeiter (siehe: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/tag/z..). Daher steht das heutige Bezirksamt als Nachfolger in der politischen Verantwortung für das Gedenken an die Zwangsarbeiter seiner Vorgänger und hat folglich auch die Pflicht zum eigenen Handeln: 2. Stimmt das Bezirksamt dem zu, oder soll jemand anders dem Bezirksamt die politische Verantwortung dafür abnehmen? Auch wenn noch viel über Zwangsarbeit im Allgemeinen zu forschen ist, so steht für Wilhelmsaue 40 bereits fest: Es gab dieses Lager; es wurde vom Bezirksamt Wilmersdorf betrieben; und es war ein Zwangsarbeiterlager (http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archive/2015/07/15/war_das_stadtische_auslanderla). Da die Erinnerung an die Zwangsarbeiter nach über 70 Jahren mehr als „notwendig“ und „überfällig“ ist (Email des Bezirksbürgermeisters vom 16.11.2015), frage ich: 3. Wann wird das Bezirksamt aus eigener politischer Verantwortung „an diesem historischen Ort ein Gedenken ermöglichen“? (und ebenfalls in Charlottenburg) Die Leiterin des „Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit der Topographie des Terrors“ und ich baten im vergangenen November vergeblich um ein– vom Bezirksbürgermeister im September zugesagtes – Gespräch, um eventuell offene Fragen zu klären: 4. Besteht seitens des Bezirksamtes zeitnah noch Bereitschaft und Interesse dafür? |
Nr. 11, jn , 27.01.2016 - 20:15 “Gockelkampf” ? auf den ersten blick scheint es so zu sein. es geht jedoch um ernsteres Heute ist “Holocaust” Gedenktag. https://de.wikipedia.org/wiki/Tag_des_Gedenkens_an_die_Opfer_des_Nationalsozialismus Das bezirksamt cw lehnt jedoch eigene verantwortung, was die “zwangsarbeit” auf seinem territorium,dem bezirk, betrifft,ab. So wie es bis heute-bis in die dritte generation der betroffenen -“nachwirkt” kann mann/frau aus cw in der heutigen ausgabe der Berliner Zeitung nachlesen. http://www.berliner-zeitung.de/politik/z.. Mir scheint es mehr als ein “scheingefecht” zu sein, was seit etlicher zeit hier auf der website in den kommentaren,in der gt kommission, im zuständigen ausschuß sich “abspielt”. Wer hat noch zweifel am charakter der arbeitslager im ns system? Wer hat noch zweifel an der verantwortung der bezirke zu der damaligen zeit für die verbrechen auf ihrem gebiet, ob die bezirksämter nun im juristischen sinne träger der lager waren, oder auch nicht? Das spielt alles eine untergeordnete rolle. Dies mag vielleicht für historiker interessant sein, nicht für den bürger/in am ort. Es gab zahlreiche lager – oft in der verantwortung der industrie, aber auch von privatorganisationen, und eben der kommunalen träger. All dies stellen noch desiderate der forschung auf lokaler ebene dar. Packen wir es an,vergessen wir jedoch nicht das gedenken, bevor es zu spät ist und keiner sich mehr erinnert und die ereignisse im strom der geschichte untergegangen sind. Am 7. februar, 11 uhr, an der kastanie, wird die jährlich grüneberg erinnerung stattfinden. Nehmen wir die gelegenheit war, dort die “erinnerung an die zwangsarbeiterlager” in charlottenburg-wilmersdorf einzufordern. http://klausenerplatz.de/online/kiezbuen..=417 |
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Im Netz gefunden:
Berliner Lagerstandorte
http://www.zwangsarbeit-forschung.de/Lag..
Archiv zur NS-Zwangsarbeit jetzt online.
http://www.bz-berlin.de/berlin/grosses-a..
http://dz-ns-zwangsarbeit.de/zeitzeugena..
Neue Aufarbeitung der Vergangenheit des Berliner Zoos(?):
http://jungle-world.com/artikel/2015/51/..
http://www.berliner-woche.de/charlottenb..