Mozart wild und leidenschaftlich
Deutsche Oper zeigt „Die Entführung aus dem Serail“
„Die Entführung aus dem Serail“ ist eine sehr sinnliche Oper. Es ist sehr schön anzusehen, wie sich das junge von Rodrigo Garcia gefügte Ensemble mit ungestümer Leidenschaft der Lebenslust hingibt. Die rauschhafte Musik „Vivat Bacchus! Bacchus lebe!“ stammt von dem Genius Wolfgang Amadeus Mozart, der das Orchester unter der Leitung Donald Runnicles keine Zügel anlegt.
Fotos: Wecker
Das dramatische Gerüst dieses musikalischen Festes gleicht einer Räuberpistole, die angesichts des Kotaus der Bundesregierung vor der türkischen Despotie heute keineswegs politisch korrekt ist. Die Vorgängerin des heutigen Intendanten hätte die Oper womöglich in vorauseilendem Gehorsam gar nicht erst auf den Spielplan gesetzt:
Seeräuber entführen im Mittelmeer zwei hübsche Europäerinnen und ihren Begleiter. Die Drei werden auf dem Sklavenmarkt an einen türkischen Pascha verkauft, der die Damen in seinen Harem steckt und deren Begleiter für sich schuften läßt. Jener vermag den Geliebten der entführten Konstanze, Belmonte, per Brief über das Schicksal der Drei zu informieren. Mit einem Schiff, in der Deutschen Oper ist es ein monströser Bigfoot Monster Truck Car, macht der sich getrieben von wüstesten Vorstellungen über die Orgien am Hofe des Paschas auf den Weg, um seine Konstanze sowie das Dienerpaar Blonde und Pedrillo zu befreien. Das gelingt zunächst unter den Einsatz von in einer Giftküche zusammengebrauten Drogen, aber letztlich wird das Fluchtfahrzeug von Osmin, dem treuen Diener des Paschas, gestellt. Die Flüchtlinge werden als Geiseln genommen. Mit ihnen will der Pascha Lösegeld erpressen. Osmin feiert schon seine perversen Gelüste an der Hinrichtung („Erst geköpft, dann gehangen, dann gespießt auf heiße Stangen; dann verbrannt, dann gebunden, und getaucht; zuletzt geschunden“), aber der Pascha Bassa Selim, der hier eine Frau ist und von Annabelle Mandeng gespielt wird, entläßt in einer menschlichen Anwandlung die Gefangenen und das Publikum mit der Mitteilung: „Das Stück hat kein Ende“.
Dies ist ein Zusatztext, der deutsch gesprochen wird, sonst sind die neuen Passagen, die in der Bearbeitung des Regisseurs hinzugekommen sind, auf Englisch. Da heißt es schnell hinhören, denn der Regisseur hält sich nicht an sein der Berliner Zeitung gegebenes Versprechen, „eine reine humorvolle Erzählung ohne Bezug zur Tagesaktualität zu machen“. Humorvoll ist die Inszenierung allein schon durch vielerlei Anspielungen auf die heutige Lebensweise mit Fitnesswahn, Konsumrausch und Oberflächlichkeit in der Lebensführung. Letzteres ist schließlich der Grund dafür, daß die beiden Paare in die Gewalt eines islamistischen Herrschers geraten. Da wird es ernst, es muß bis zum Tode um die Liebe gekämpft werden.
Fotos: Wecker.
Es ist eher ein Wunder, daß Rodrigo Garcia das nicht starke dramaturgische Gerüst soweit hat stehen lassen, ist er doch bis zur Premiere dieser Aufführung allein als Dramatiker mit über 40 Stücken, als Filmregisseur und Kameramann berühmt geworden. Er führte unter anderem beim Film „Gia – Preis der Schönheit“ mit Angelina Jolie die Kamera, ein Werk, das für sechs Emmys nominiert wurde und mit lesbischen Szenen für Furore sorgte. Der Sohn des mexikanischen Literaturnobelpreisträgers Gabriel Garcia Marquez fand schließlich mit viel Mühe einen Zugang zum Libretto: „Die Musik gefällt mir, von ihr lasse ich mich gerne binden. Aber in die Geschichte hineinzufinden, fiel mir schwer. Ich musste erst einmal herausfinden, ob ich Elemente darin finde, über die ich auch lachen kann oder wie ich Elemente, die ich schätze, hervorhebe, zum Beispiel das Ende, an dem vergeben wird, statt mit Gewalt vorzugehen,“ sagte er zur Berliner Zeitung.
Fotos: Wecker
Die Partie der Konstanze gibt die US-Amerikanerin Kathryn Lewek. Sie beherrscht ein breites Repertoire. Ihre Paraderolle ist jedoch die „Königin der Nacht“ in Mozarts „Zauberflöte“. In dieser Rolle war sie unter anderem an der Metropolitan Opera New York, der Washington National Opera, der Houston Grand Opera, beim Festival d’Aix-en-Provence, an der Opera de Toulon, am Opernhaus Leipzig, an der Königlichen Oper in Kopenhagen, an der Wiener Staatsoper, bei den Bregenzer Festspielen, an der English National Opera und der Welsh National Opera zu erleben. Die australische Sopranistin Siobhan Stagg ist als Blonde zu sehen. Obwohl sie erst kürzlich an der University of Melbourne ihre Ausbildung beendet hat, kann sie schon auf elf renommierte internationale Auszeichnungen blicken. Zahlreiche Preise kann auch Matthew Newlin sein eigen nennen, der die Partie des Belmonte singt. Er gehört seit der vorigen Saison zum Ensemble der Deutschen Oper und ist hier gegenwärtig in sechs weiteren Produktionen besetzt. Auch der Interpret des Pedrillo, James Kryshak, gehört zum Ensemble der Deutschen Oper, wohin den US-Amerikaner der Weg über die Wiener Staatsoper führte. Mit Tobias Kehrer hat die Deutsche Oper ein in Berlin ausgebildetes Talent an seinem Haus, das in der Rolle des Osmin einmal mehr sein Können unter Beweis stellt. Mit dieser Partie trat er im vorigen Jahr bei den Festspielen in Glyndebourne auf.
Die unkonventionelle Inszenierung und das hochkarätige Ensemble lassen ein Opernerlebnis von internationaler Bedeutung erwarten.
Foto: Wecker
Premiere ist am Freitag, 17. Juni um 19.30 Uhr. Die nächsten Aufführungen sind am Mittwoch, 22. Juni, Sonnabend, 25. Juni, Dienstag 28. Juni, Freitag, 1. Juli sowie am Mittwoch 6. Juli. Alle Vorstellungen beginnen um19.30 Uhr. Karten ab 41 Euro können im Internet unter https://deutscheoperberlin.eventim-inhouse.de vorbestellt werden.
FW
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 16. Juni 2016 - 00:24
Tags: mozart/musiktheater/oper
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