Ein Haus verliert seine Geschichte
Erinnerungen an das Hotel Bogota
Wenn Gewinnstreben den Motor der Geschichte antreibt, ist für Sentimentalitäten kein Platz: Fast drei Jahre ist es nunmehr her, daß das Hotel „Bogota“ in der Schlüterstraße 45 schließen mußte, weil der Betreiber die Miete nicht mehr aufbringen konnte.
Vom einstigen Glanz bleiben nur Fotos und Ausstattungsstücke. Die werden noch bis zum 13. November in einem Inventarverkauf angeboten, der in dem neuen Eventladen „Plan B + Vitamin B“ in der Herbartstraße 28 stattfindet. Der Treffpunkt für innovative Bürger ist täglich von 14 bis 19 Uhr geöffnet. Seele des Treffs ist Ekaterina Inashvili, die schon die letzten Tage des Hotels Bogota an der Seite des Betreibers Joachim Rissmann begleitet hatte. Zu jener Zeit hielt sich dort auch der Fotograf Jürgen Bürgin auf, von dem gleichzeitig die Ausstellung „Die letzen Tage des Hotel Bogota“ gezeigt wird.
Teils bezeugen auch die offerierten Devotionalien, - darunter antiquierte Mädlerkoffer, chinoise Kleinmöbel, barocke Spiegel - warum das Hotel, das über ein Jahrhundert den ursprünglichen Charme der Berliner Bürgerhäuser erhalten konnte, letztlich schließen mußte: Mit dieser Ausstattung ließ sich einfach kein Hotel nach den heutigen Ansprüchen an Komfort führen. Die wenigen Künstler, so bedeutend sie auch sind, die diesen Charme zu honorieren wußten, hochkarätige Kulturveranstaltungen und auch die Vermietung als Filmkulisse konnten den wirtschaftlichen Niedergang nicht aufhalten. Jetzt wird das Gebäude zu einem verlängerten Seitenarm des Ku’damms mit seinen langweiligen Edelboutiquen. Demnächst soll zur Abwechselung mal kein Modedesigner, sondern ein weiterer Juwelier einziehen. Seine eigentliche Bedeutung hat dieses Gebäude nicht aufgrund seiner Ausstattung, sondern wegen der Menschen und Institutionen, die hier residierten.
regelmäßig seine Künstlerproträts aus.
ihre Musik-Tanz-Reihe „Toom am Hotel Bogota“.
Fotos: Wecker
Auch prominent besetzte Podiumsdiskussionen wie hier im Verlagshaus des
Tagesspiegel
vermochten nicht, das Hotel Bogota zu retten: hier unter
anderen mit dem Kolumnisten
Harald Martenstein, Gerhard Buchholz von
„Visit Berlin“, dem Bankier und neuen
Besitzer Dr. Thomas Bscher, Bezirksbürgermeister Reinhard Naumann,
Rechtsanwalt Peter Raue und
Friedrich Barner von der Schaubühne.
Foto: Wecker
Erster Besitzer des 1911/12 als Wohnhaus errichteten Gebäudes war der Millionär Robert Leibbrand. Sein Sohn Werner Leibbrand war vor allem in der Welt des Films als Psychiater geschätzt. Er initiierte mit der Vereinigung „Sozialistischer Ärzte“ die ersten Fürsorgestellen für Drogenkonsumenten. Er durfte bei den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen als einziger deutscher Gutachter über Naziärzte berichten.
In der Zwischenkriegszeit war der Unternehmer Oskar Skaller ein renommierter Mieter. Zu seinen geselligen Abenden hatte er Sozialdemokraten wie den Reichsinnenminister Carl Severing, Ernst Heilmann und Otto Wels eingeladen. Er sammelte Bilder der französischen Impressionisten, die das Haus schmückten. 1946 wurde im Keller des Hauses ein Selbstbildnis Max Liebermanns gefunden, das aber wahrscheinlich während einer späteren Nutzung in das Haus gelangte. Bei Oskar Skaller trafen sich zahlreiche Künstler. Der Legende nach sollen hier bei den Hausbällen das Berliner Kabarett „Der Blaue Vogel“ und Benny Goodman aufgetreten sein.
1934 zog Else Neuländer-Simondie ein, die unter dem Künstlernamen Yva als Mode- und Aktfotografin bekannt wurde. Sie richtete in der Maisonettewohnung ihr Studio ein. Die auf zahlreichen Fotos festgehaltene Wendeltreppe zum Dachgeschoß ist erhalten geblieben. Yva wurde von den Faschisten am 13. Juni 1942 nach Sobibor verschleppt, von wo sie nie wieder zurückkehrte. Ihrem Schüler Helmut Neustädter, der ebenfalls aufgrund der Rassegesetze der Nazis verfolgt wurde, gelang noch rechtzeitig die Flucht. Er besuchte später unter seinem im Exil angenommenen neuen Namen Helmut Newton wieder häufig Berlin.
Nach der Enteignung des jüdischen Hausbesitzers zogen Naziinstitutionen ein. Zunächst war es die Reichsfilmkammer. Ab 1942 wurden hier unter der Leitung von Hans Hinkel die über das Stadtgebiet verstreuten übrigen Einzeleinrichtungen der Reichskulturkammer zusammengefaßt. Auf diesem Scherbenhaufen der deutschen Kultur wollte in der unmittelbaren Nachkriegszeit an gleicher Stelle die „Kammer der Kunstschaffenden“ unter Leitung von Paul Wegener eine neue humanistische deutsche Kultur begründen. Das Haus wurde am 25. Juli 1945 Ort der ersten große Kunstausstellung nach dem Krieg. Der Kammer der Kunstschaffenden folgte am 8. August 1945 die Gründungskonferenz des „Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“. Präsident war Johannes R. Becher, Ehrenpräsident Gerhart Hauptmann. Hier wurde eine der wichtigsten kulturellen Monatszeitschriften der Nachkriegszeit, der „Aufbau“, herausgegeben, der noch heute einem bedeutenden Verlag seinen Namen gibt. Im Zuge des Kalten Krieges untersagte zunächst die US-amerikanische und dann die britische Militärregierung die Arbeit des Kulturbundes in ihren Sektoren. 1990 wurde der Kulturbund aufgelöst.
Das Haus in der Schlüterstraße 45 wurde 1952 Sitz des DGB. 1964 wurden auf der vierten und fünften Etage des „Hotels Bogota“ vier Pensionen eingerichtet. Der Name „Bogota“ ist eine Referenz des Besitzers Heinz Rewald an die Hauptstadt von Kolumbien, wo er Schutz vor der Verfolgung durch die Faschisten fand. Viele Einrichtungsgegenstände des Hotels haben kolumbianischen Ursprung.
1976 übernahm die Familie Rissmann das Hotel Bogota. Damit wurden Elemente der kulturellen Tradition des Hauses wieder aufgenommen. Mit dem Ausstellungsforum „Photoplatz“ wurde die fotokünstlerische Tradition wiederbelebt. Heute drängen sich in der Herbartstraße 28 zahlreiche Künstler, um Einzelstücke für den Kostümfundus oder die Requisite zu erwerben. Den „Photoplatz“ gibt es an wechselnden Standorten noch immer, und als Gastgeber hat Joachim Rissmann in seiner Wohnung ein kleines Bogota, das „Little Bogota Berlin“, eingerichtet.
FW
Unter fotografischen Reminiszenzen an das Inventarverkauf in dem Eventladen
Hotel Bogota wird Mobiliar angeboten. „Plan B + Vitamin B“.
Foto: Wecker Foto: Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 04. Oktober 2016 - 00:24
Tags: fotoausstellung/fotografie/fundus/hotel/mobiliar/tanz
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