Geld, nicht die Kunst, regiert die Welt
Jürgen Wölffer erfährt viel Ehr, aber wenig Hoffnung zum 80. Geburtstag
Am Sonnabend, 22. Oktober, feiert Jürgen Wölffer seinen 80. Geburtstag. Zur offiziellen Feier am Montag, 24. Oktober, werden über 400 Gäste aus Kultur und Politik, zahlreiche Mitarbeiter sowie Verwandte und Freunde erwartet. Die Feier findet in der Komödie am Kurfürstendamm, in einer der beiden Spielstätten an seinem langjährigen Schaffensort, statt.
Theatergründers versammelt: Martin, Christine, Ingeborg, Jürgen, Sabine und Christian (Ϯ).
Foto: Wecker
Ungetrübt ist die Freude nicht, wenn Jürgen Wölffer an seinem Ehrentag auf sein beachtliches Lebenswerk zurückblickt. Noch befinden sich die beiden Theater im Kurfürstendammkarree im Besitz der Familie Wölffer. Doch die befinden auf einem Filetgrundstück am belebtesten Abschnitt der Edelmeile Kurfürstendamm. Da Einkaufszentren eine höhere Rendite bringen als Theater soll die Front zum Ku’damm statt der Theaters ein solches Warenhaus bilden. Auf der Internetseite des aktuellen Eigentümers des Ku’damm, der „CELLS Bauwelt GmbH“, ist die künftige Fassade zu sehen.
Bisher verhindern nur noch Prozesse, daß die Bühnen zu einem Theater zusammengelegt im Keller des Gebäudes verschwinden. Im Gegensatz zu der früheren Gelassenheit sieht es momentan sehr ernst aus. Am Dienstag, 18. Oktober, wurde vom Berliner Landgericht die Räumungsklage gegen das Theater bestätigt, wogegen allerdings beim Kammergericht Berufung eingelegt wurde. Sollte die scheitern, dann werden die beiden kulturhistorisch bedeutsamen Theater wohl abgerissen werden. Die Malaise begann 1990, als der Senat das Grundstück unter Umgehung des Denkmalschutzes für das daraufstehende Gebäude verkauft hatte. Seither ist das Grundstück reines Spekulationsobjekt für Investoren, die es von einer Hand in die andere weiterreichen.
Foto: Wecker
Bedeutsam sind die beiden Theater einmal hinsichtlich des Theaterraumes und zum anderen wegen der darin gebotenen Schauspielkunst. Historisch sind die beiden Gebäude eine Wegmarke, die an das Zusammentreffen zweier genialer Künstler des 20. Jahrhunderts erinnern. Dies sind der bedeutendste deutsche Theaterprinzipal Max Reinhardt, der den Bau der Bühnen in Auftrag gab, und der Theaterarchitekt Oskar Kaufmann, dem Berlin das Hebbeltheater, den Ausbau des Renaissance Theaters, den Umbau des Admiralspalastes zum späteren Metropol-Theater, die Volksbühne und den bereits einer Immobilienspekulation zum Opfer gefallenen Sportpalast verdankt. Im Falle der beiden Ku’dammbühnen erweist sich nicht nur das Theaterspiel als eine flüchtige Kunst, sondern auch die Architektur. Vom Wirken Oskar Kaufmanns ist dort so gut wie nichts mehr erhalten. Seine verspielten Elemente des Neo-Rokoko sind sowohl an der zerstörten Kroll-Oper als auch an den früheren Fassaden der beiden Kurfürstendamm-Theater unwiederbringlich verloren gegangen. Für die Schauspielkunst dagegen gehört die Flüchtigkeit zu ihrem Wesen. Wer die Aufführung nicht gesehen hat, wird diesen Kunstgenuß nie erlangen können, wer sie erlebt hat, für den bleibt wenigstens noch die Erinnerung. Die Erinnerungen an die großartigen Auftritte von Marlene Dietrich, Curt Goetz, Adele Sandrock, Grete Weiser, Inge Meysel, Harald Juhnke, Brigitte Mira, Otto Sander ... auf diesen Bühnen werden von Generation zu Generation weitererzählt.
An den Ku’dammtheatern hat nicht Max Reinhardt, dessen epochemachenden Inszenierungen im Schauspielhaus und im Deutschen Theater stattfanden, Theatergeschichte geschrieben. Das besorgten hier Ferdinand Bruckner mit seinen Revuen („Bei uns um die Gedächtnmiskirche rum“, Bert Brecht mit seiner Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, die Volksbühne, an der Erwin Piscator mit der Uraufführung von Rolf Hochhuths Stellvertreter einer völlig neuen dramatischen Gattung, dem Dokumentartheater, zum Durchbruch verhalf. Heute ist Rolf Hochhuth Mitglied der Akademie der Künste. Auf seinen Antrag appellierte dieses Gremium an den Eigentümer, diese beiden Theater zu erhalten. Die Akademie gab sich damit nicht der Sehnsucht an vergangenen Glanz und Ruhm hin, sie will auch nicht ein vermeintliches architektonisches Kleinod erhalten, sondern eine Kunstform, die zu dieser Stadt und genau an diesen Boulevard gehört: ein Boulevardtheater der Spitzenklasse. So wurde es gegründet, das war es unter Max Reinhardt und dies ist es unter der Direktion der Familie Wölffer.
Sie schreibt diese Tradition nun schon in dritter Generation mit großem Erfolg fort. Zwischen Hans Wölffer und dem heutigen Theaterleiter Martin Woelffer führte von 1976 bis 2004 Jürgen Wölffer Komödie und Theater am Kurfürstendamm. In dieser Zeit kam das Winterhuder Fährhaus in Hamburg als neue Spielstätte hinzu und wurden neue Theaterformen erprobt. Als seine wichtigste Leistung für das Familienunternehmen mag sicherlich seine Arbeit als Regisseur gelten, die bis heute anhält. Zu seinen großen Verdiensten gehört die Entdeckung vieler Talente wie Harald Juhnke, der unter seiner Regie als Debütant in einer Nebenrolle seine Kariere begann. Auch Regisseure wie Folke Braband und sein Sohn Martin Woelffer sind an seiner Seite in diesem Haus groß geworden. Sie alle, die Nachwuchskräfte wie auch die renommierten Schauspieler gehen in diesem Haus nach wie vor ein und aus. So sagte Jürgen Wölffer in einem früheren Interview: „Wir hören immer wieder, daß sich die Besucher bei uns wohl fühlen, weil sie auf Tuchfühlung mit wirklicher Kunst, die auf der Bühne ohne Effekte und Playback gezeigt wird, sind. Sie begegnen ihren Stars, und das nicht nur bei Premieren, auch im Theatersaal und im Foyer. Regelmäßige Besucher unseres Hauses erleben nicht weniger Stars als wir und können ihnen ebenso nahe sein.“ Martin Woelffer meint: „Das schönste Geschenk für meinen Vater wäre, wenn wir endlich wüßten, wie es mit den beiden Theatern weitergeht.“
FW
Foto: Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 21. Oktober 2016 - 23:42
Tags: komödie/schauspieler/spekulation/theater/zwangsräumung
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“ Die Malaise begann 1990, als der Senat das Grundstück unter Umgehung des Denkmalschutzes für das daraufstehende Gebäude verkauft hatte. Seither ist das Grundstück reines Spekulationsobjekt für Investoren, die es von einer Hand in die andere weiterreichen”
..und am WOGA Komplex (bebauung des hintergeländes des Neuen Schaubühne) wir es erneut geschehen
und das alles nach recht und gesetz,wie es der scheidende baustadtrat schulte mantraartig auszudrücken pflegt
ja,ja die politik ist ja so unschuldig…
kaum einer weiß es: die denkmalschutzbehörde ist weisungsgebunden-dem senator für stadtentwicklung unterstellt
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/de..