Der Künstler und seine Stadt
Berlin würdigt 80. Geburtstag von Matthias KoeppelBerlin und die Flucht scheinen die hauptsächlichen Sujets zu sein, die den Berliner Künstler Matthias Koeppel bewegen. Diesen Eindruck vermittelt zumindest die Werkschau, die Kuratorin Dr. Sabine Meister vom Charlottenburg-Wilmersdorfer Kunstamt vermittelt.
Sabine Meister kuratiert zwei Ausstellungen, mit denen der 80. Geburtstag des Malers, Dichters, Grafikers und Fotografen Matthias Koeppel gewürdigt wird. Das ist einmal die bereits in der Kommunalen Galerie am Hohenzollerndamm 176 eröffnete Ausstellung „Experiment und Methode“. Hier werden Arbeiten aus den Bereichen Fotografie, Zeichnung, Grafik, Poesie und Malerei vorgestellt. In der Galerie „Alte Kaserne“ auf der Spandauer Zitadelle wird am 7. September um 19 Uhr die Ausstellung „Der Maler ist im Bild“ eröffnet. Während in Spandau Malerei aus den Jahren 1954 bis 2017 gezeigt wird, läßt sich in Wilmersdorf an Hand unterschiedlicher Arbeitsfelder der Schaffensprozeß von Matthias Koeppel nachvollziehen.
Foto: Wecker
Diese Präsentation führt wie am Beispiel seiner immer wieder erneut aufgenommenen Auseinandersetzung mit dem Thema des Jüngsten Gerichts zu einem tieferen Verständnis. Ausgangspunkt war 1973 „Die Nachstellung des Jüngsten Gerichts des Lucas van Leyden durch die Schüler der Neuen Prächtigkeit am Anhalter Bahnhof“, die als Bleistiftstudie ausgestellt ist. Sie ist eine Art Manifestation der im gleichen Jahr gegründeten Künstlergruppe „Schule der Neuen Prächtigkeit“, zu der noch Johannes Grützke, Karlheinz Ziegler und Manfred Bluth gehören. Van Leyden ließ auf dem rechten Flügel des von Koeppel nachgestellten Altarbildes die Hölle in Gestalt eines alles verschlingenden Fischmauls in Erscheinung treten. Am Anhalter Bahnhof war das „Maul“ die Kühlerhaube eines Straßenkreuzers, in einer anderen Arbeit ein Fernsehgerät und in dem Triptychon „Das Jüngste Gericht“ von 2010 wird es ein Gerippe, ein Gespenst, das in der Apokalypse am Brandenburger Tor seinen Arm zum Hitlergruß hebt. Damals schrieb Matthias Koeppel an dieser Stelle, im Kiezer Weblog vom Klausenerplatz:
„Eine Endzeitkatastrophe ist ja durchaus vorstellbar. Ansätze dazu haben wir in Japan gesehen. ... Das Brandenburger Tor ist ja nicht irgendein Ort, sondern der Mittelpunkt, man kann auch sagen: das Herz unserer Stadt, die in der Welt eine Rolle spielt. Katastrophen können in vielerlei Gestalt auf uns, auf die Welt zukommen: Krieg, Feuersbrünste, Epidemien, extremer Klimawandel, Hungersnöte. In meinem Bild ist die Ursache der Not nicht näher definiert. Immerhin brennt im Hintergrund der Reichstag, was auf ein politisches Katastrophenpanorama schließen lassen könnte.“
Wenn heute die Besucher die Kommunale Galerie betreten, werden sie im Foyer mit einem Panorama des Joachimstaler Platzes am Vorabend der 750 Jahrfeier Berlins konfrontiert. In etwas veränderter Form wird dieses Werk von Matthias Koeppel auch auf der Zitadelle zu sehen sein. Die großen Stadtjubiläen sind dem Künstler besonders ans Herz gewachsen, da er eng mit seiner Heimatstadt verbunden ist. Als Berlin 1937 sein 700jähriges Bestehen feierte, wurde er geboren. Bei diesem Ereignis will er dabeigewesen sein, obwohl er doch in Hamburg geboren ist. Jedenfalls hat er sich so in Szene gesetzt, allerdings im Kinderwagen, den seine Mutter durch die Stadt schiebt.
Auch in seine Fotografien montiert er sich hinein oder springt in den Bildrand, bevor die Kamera die Aufnahme automatisch auslöst. Aus seinen in den 80er Jahren entstandenen Serien zeigt die Ausstellung Gruppenbilder, die eine Wiederbegegnung unter anderem mit Anette Humpe, Manfred Krug und selbst Friedrich II bringen. Sogar im Foto gelingt Matthias Koeppel der Zeitensprung.
Bevor der Besucher in die Ausstellung gelangt, passiert er das Bild „Auf der Flucht“. Das Bild zeigt, wie eine Frau mit wenig Habseligkeiten in einem Umzugskarton und einem Rucksack unter einem blauen Himmel sowie vor einem grell flammenden Hintergrund aus Schwarz, Rot und Gelb eine Schranke überwunden hat. Aus dem Dunkel drängt ihr eine endlose Schlange weiterer Flüchtlinge nach. Ob sie ebenso europäisch aussehen wie diese Frau, läßt sich nicht sagen.
Flucht, das war in Berlin der Sprung über die Mauer, das waren die vor der Roten Armee flüchtenden Trecks aus den früheren ostdeutschen Provinzen und das sind heute Fremde, die vor Kriegen flüchtend, die vom Nahen Osten bis in das frühere russische Zarenreich entfacht wurden.
Diese Ereignisse haben vielleicht einen Bruch im Schaffen von Matthias Koeppel hervorgerufen. Auf dem nunmehr allein der friedlichen Nutzung vorbehaltenen Tempelhofer Feld wollte er die utopische Stadt „Neavenzia“ entstehen lassen. Diese Idee bildet das Titelbild zur Wilmersdorfer Ausstellung. Doch in der Galerie hängt daneben ein Bild, mit dem er das Vorhaben zurückstellt. Aus der Utopie ist ein Dorf mit übereinandergestapelten Containern für die Flüchtlinge geworden. Neavenezia spiegelt sich nur noch an der Fassade der Container. „Ich werde daran weiterarbeiten“, versichert der 80jährige dem Kiezer Weblog diesmal. Die Bilder von Neavenezia sind alle erstmals öffentlich zu sehen. Das gilt auch für drei frühe Arbeiten, die gleich zu Beginn gezeigt werden, eine „traute“ Familienidylle, zwischen Gewalt und üppiger Erotik, sowie ein entsetzliches Morgengrauen zeigen.
An den Sonntagen 10. September, 1. und 15. Oktober wird Matthias Koeppel jeweils um 14 Uhr selbst durch die Ausstellung in der Kommunalen Galerie führen. In Spandau führt er an den Donnerstagen 21. September, 12. und 26. Oktober sowie am 16. November ebenfalls um 14 Uhr. Dort läßt er sich auch jeden Freitag um 14 Uhr beim Malen über die Schulter schauen.
Die Kommunale Galerie ist Dienstag bis Freitag von 10 bis 17 Uhr, mittwochs bis 19 Uhr und am Sonntag von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Die Galerie Alte Kaserne Am Juliusturm 64 ist Montag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 4,40 Euro.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 05. September 2017 - 22:54
Tags: ausstellung/fotografie/galerie/malerei
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