„Satisfy me“ – Die Ästhetik der Blöße
Nacktheit in den Kunstsälen BerlinHeute eine Ausstellung unter dem Titel „Satisfy me“ zu eröffnen erfordert Mut, zumal wenn der weibliche Körper als Objekt ausgestellt wird. Die politisch Korrigierenden blasen schon bei weit geringeren Anlässen zum Bildersturm. Die Hinwendung zu gesellschaftlicher Repression ermöglicht der Kunst wieder den Tabubruch. Das hätte vor kurzem kaum jemand für möglich gehalten.
Foto: Wecker
Vielleicht vermag diese von Philipp Bollmann kuratierte Gruppenausstellung in den Kunstsälen Berlin in der Schöneberger Bülowstraße 90 der Umstand schützen, daß es dort dem männlichen Körper nicht anders als dem weiblichen geht. Es wird sehr auf Ausgewogenheit geachtet: Der fotografischen Szenerie eines Pornoshootings für eine lesbische Beziehung (Andreas Mühe: „Das Studio“) wird die Abbildung einer Frau in feministischer Verweigerungspose von Birgit Brenner („Ich lasse mir nichts“) gegenübergestellt. Zwischen ihnen befindet sich die Plastik „Space Between Lovers“, die auch völlig gleichberechtigt die Abformungen des weiblichen und männlichen Körpers beim Geschlechtsakt zeigt. Das könnte man auch aus der Höhe betrachten, wenn denn die Kletterwand an der Seitenwand besteigbar wäre. Doch die ist reine Kunst. Die Klettergriffe von Nevin Aladag sind sogar sehr zerbrechliche Kunstformungen: Es sind „21 Abdrücke weiblicher und männlicher Körperteile, gegossen in farbig glasiertes Meißner Porzellan“. Die Gleichberechtigung setzt sich auch bei dem New Yorker Fotografen Duane Michals fort, von dem einmal „The most beautiful part of a man’s body“ und zum anderen „The most beautiful part of a women’s body“ zu sehen sind.
Foto: Wecker
© Yang Fudong courtesy Marian Goodman
Beim Höhepunkt dieser Ausstellung wird die Ausgewogenheit aufgehoben. Eine Plastik zeigt einen Männerkopf, dessen Inneres voller Penisse steckt, dazwischen ist lediglich der kleine Finger von Sue Webster zu sehen, die gemeinsam mit ihrem Mann Tim Noble diese Plastik „The Wedding Cake“ geschaffen hat. Dem Vernehmen nach soll diese Darstellung tatsächlich als Torte bei ihrer Hochzeit serviert worden sein. Der Kopf erinnert an den Formprozeß auf einer rotierenden Töpferscheibe. Eingeweihte wissen, daß dessen Vorbild der Schädel des Duce Benito Mussolini gewesen sein soll.
© VG-Bild, Bonn 2017
Die Ausstellung führt in zwei Teilen die künstlerische Auseinandersetzung um die Darstellung von Nacktheit. Einmal geht es um den „Körper als Spannungsfeld“ zwischen den Polen einer enterotisierten dafür aber ästhetisierenden Darstellung der vollendeten Schönheit im „reinen Scheinen der Idee“ und der verschämten letztlich von Gewissensqual gepeinigten Nacktheit im Banne des von der christlichen Legende gepredigten Sündenfalls.
Zum anderen geht es um den „Körper als Spannungserreger“, der in dem „Blößenwahn“ einer exhibitionistischen Gesellschaft auch wieder nichts mit Erotik zu tun hat. Somit ist „Satisfy me“ ein Aufschrei gegen die Unterwerfung der menschlichen Triebkraft unter Wesenskräfte, die sie der Gemeinsamkeit und Lust entfremden. Befriedigung gibt es nicht im Miteinander, sondern nur im Ego. So hält das der Ausstellung den Namen gebende Kunstwerk von Moca Bonvinvi dem Betrachter den Spiegel vor: Er sieht sich selbst.
Die 23 Werke sind noch bis zum 31. März in den Kunstsälen zu sehen. Danach verschwinden sie zunächst aus dem öffentlichen Raum, denn sie sind Bestandteil der Privatsammlung von Heiner Wemhöner. Der würde gern mehr aus seiner Sammlung von über 1000 Arbeiten aus seinen Sammelgebieten Malerei, Zeichnung, Fotografie, Installation, Video und Skulptur in Berlin zeigen, doch noch fehlt ihm ein entsprechender Ausstellungsraum.
Die Ausstellung ist Mittwoch bis Sonnabend von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 03. Februar 2018 - 21:24
Tags: ausstellung/fotografie/plastiken
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