Vom Rinnstein in den Abgrund
Bröhan-Museum zeigt „Berliner Realismus“Es ist ein Segen, daß sich das Bröhan-Museum nicht auf seinem unschätzbaren Bestand an Artefakten zum Jugendstil, Art Deco und Funktionalismus ausruht, sondern immer wieder mit darüberhinausgreifenden Sonderausstellungen auf Entdeckungsreise geht.
Bis zum 17. Juni zeigt es die Ausstellung: „Berliner Realismus. Von Käthe Kollwitz bis Otto Dix“. Damit schlägt das Museum den Bogen von der sozialkritischen Kunst des Kaiserreichs, dem Naturalismus, über den Expressionismus hin zur Neuen Sachlichkeit. Ein weiteres Verdienst des Bröhan-Museums ist, daß stets die Kunst mit der ihr zugrundeliegenden Kultur des Alltagslebens zusammengesehen wird. So ist hier eine thematische Schau zusammengetragen worden, die den Weg in die Katastrophen des 20. Jahrhunderts zeigt. Das erfolgt nicht aus der Sicht von Historikern, sondern aus dem Blickwinkel der Künstler, die das Unausgesprochene, die Befindlichkeiten und das Lebensgefühl der Menschen zum Ausdruck zu bringen vermögen. Dieses Lebensgefühl war von bitterer Armut bestimmt.
Die beiden promovierten Kuratoren Tobias Hoffmann und Anna Grosskopf gliedern die Darstellung in sieben Abschnitte. Sie beginnt mit der „Rinnsteinkunst“, einem von Kaiser Wilhelm II. geprägten Begriff, womit auch er sich in die Kunstgeschichte einschrieb. Heinrich Zille griff das Wort auf und versah damit eine 1902 gezeichnete Straßenszene. Aus Privatbesitz entliehen, ist sie jetzt in der Ausstellung zu sehen. Viele weitere Künstler wendeten diese Schmähung in eine Würdigung ihrer Kunst. Es entstand damals eine Sammlung „Lieder aus dem Rinnstein“, deren Einband Hans Baluschek gestaltete, und das Plakat zur Berliner Sezession von 1905, wo eine weibliche Figur Blumen aus dem Rinnstein pflückt, nahmen die kaiserliche Anregung ebenfalls auf. Damit ist es aber auch schon um die Heiterkeit in der Ausstellung geschehen.
Foto: Wecker
Foto: Wecker
Wilhelm II. wollte ja nicht die Arbeiter aus dem Rinnstein erheben, um sie ihrer Selbstverwirklichung entgegenzuführen, sondern um sie an den Idealen, die damals „Gott, Kaiser und Vaterland“ hießen, aufzurichten, auf daß sie den Profit als Arbeitssklaven und Kanonenfutter mehren. Das hat ihn schließlich die Regentschaft gekostet und führte gut drei Jahrzehnte später in eine noch größere Katastrophe.
Es folgt die Abteilung „Arbeitsleben“ mit den eindringlichen Porträts von Käthe Kollwitz, die sie sofort in die erste Reihe der deutschen Künstler katapultierten. Dem schließt sich das Kapitel „Krieg und Revolution“ mit erschütternden Frontszenen von Willy Jaeckel und dem Gedenkblatt für den ermordeten Karl Liebknecht von Käthe Kollwitz an. In den Abteilungen „Fotografie und Film“ sowie „IAH – Internationale Hilfe“ wird gezeigt, wie innerhalb der Arbeiterbewegung mit eigenen Organisationsformen neue Medien in den Dienst des politischen Kampfes gestellt wurden. War es bei der Volksbühnenbewegung noch die hergebrachte Theaterkunst, die mit Gerhart Hauptmanns „Die Weber“ eine neue Epoche einleitete, so waren es in den 20er Jahren die Arbeiterillustrierte AIZ und die Filmunternehmen aus dem Medienkonzern von Willi Münzenberg, die einer neuen Kunstsprache zum Durchbruch verhalfen. Pionier in der Fotografie war wiederum Heinrich Zille und zu den bedeutendsten Filmen gehörte „Kuhle Wampe“, der komplett gezeigt wird. Allein dies Erlebnis lohnt schon den Besuch der Ausstellung. Dem schließt sich die Abteilung „Gesellschaft am Abgrund“ an. Der Abgrund zeigt zweierlei Gesicht. Das eine ist das Elend der Nachkriegszeit. Zu sehen, Da sind herzzerreißenden Arbeiten von Heinrich Zille, wie „Die Erhängte“oder „Ins Wasser“, die zeigt wie eine verzweifelte Mutter mit ihren Kindern zum Wasser strebt, „Der Selbstmörder“ von Otto Dix und von Käthe Kollwitz „Deutschlands Kinder hungern“. Das andere Gesicht bestimmen die Perversionen derjenigen, die am Überdruß leiden. Dominas, Lustmorde und Ekel bevölkern diese Blätter. Einer der Großmeister dieser Abteilung ist George Grosz. Den Abschluß bildet das Kapitel „Alltag und Bühne“. Es ist der Amüsierbetrieb, der den Arbeitern einen Hoffnungsschimmer in der Tristesse bietet, aber auch die Möglichkeit sich selbst einmal in der Öffentlichkeit auf dem Rummelplatz zu inszenieren. In einem mit Vorhängen abgesonderten Teil der Ausstellung sind drastische erotische Bilder mit Blättern aus den „Hurengesprächen“ von Heinrich Zille zu sehen.
Für diese Ausstellung wurden fast 200 Gemälde, Graphiken und Fotografien zusammengetragen, die aus bedeutenden Museen und privaten Sammlungen aus aller Welt entliehen wurden.
Foto: Wecker
Das Bröhan-Museum bietet zu dieser Ausstellung ein umfangreiches Begleitprogramm. Hervorzuheben sind folgende kostenlose Veranstaltungen: Führungen an jedem Sonntag um 15 Uhr, öffentliche Führungen an jedem 1. Mittwoch im Monat um 16 Uhr, wozu auch der Eintritt frei ist und an jeden 3. Sonntag im Monat um 11 Uhr „Familiensonntage für Kinder von fünf bis zwölf Jahren und ihre Familien.
Am Mittwoch, 13. Juni um 19 Uhr gibt es einen Brechtabend zum Thema „Schlagabtausch im Berliner Realismus“ mit Musik von Weill, Eisler und viel Jazz. Der Eintritt beträgt 10 Euro.
Unter dem Titel „Von A bis Zille“ lädt das Museum an den Sonnabenden 5. Mai und 16. Juni zu einem Kiezspaziergang auf den Spuren der Berliner Realisten durch Charlottenburg. Die Teilnahme kostet 15 Euro. Eine Anmeldung ist per E-Mail unter info@broehan-museum.de oder per Telefon unter 030 / 326 906 00 erforderlich.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 25. März 2018 - 00:02
Tags: ausstellung/film/fotografie/malerei/museum/realismus/zeichnungen
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