Wie soll es mit den Bezirksbibliotheken weitergehen? Teil 18: Smart City – Smart Library – Next Library®
Vom 12. bis zum 15. September findet in einem eigens aufgebauten Konferenzcampus vor der Amerika-Gedenkbibliothek die Next Library® Conference 2018 statt. „Next Library®“ ist eine eingetragene Warenmarke der Aarhus Kommunes Biblioteker. Bei der geschützten Ware soll es sich um die Bibliothek der Zukunft handeln.
Smart City
Volker Heller, Vorstand und Managementdirektor der Stiftung Zentral- und Landesbibliothek Berlin (ZLB), nach eigenem Verständnis „Bibliotheksmacher“(1), führender Kopf des Next Library® Conference Berlin 2018 Teams, weist in einem Interview anläßlich der Konferenz nachdrücklich auf den engen Zusammenhang zwischen der von ihm anvisierten Bibliothek der Zukunft und dem Konzept der Smart City hin (S. 56). Daher zunächst: Worum geht es bei der Smart City?
Die Smart City-Strategie Berlin (April 2015) umreißt auf S. 3 Ausgangspunkt und Ziel ihres Konzepts folgendermaßen: „Wie viele Metropolen weltweit steht auch Berlin vor verschiedenen Herausforderungen der Zukunft: Die wachsende Stadt [...] verlang[t] nach [...] Lösungsansätzen. Der Smart City-Ansatz zielt darauf, mit intelligenter Technik Lösungen für die ökologischen, sozialen, ökonomischen und kulturellen Herausforderungen Berlins zu finden.“ Das Endergebnis, die hochentwickelte Smart City, könnte dann so aussehen: „Die gesamte städtische Umgebung ist mit Sensoren versehen, die sämtliche erfassten Daten in der Cloud verfügbar machen. So entsteht eine permanente Interaktion zwischen Stadtbewohnern und der sie umgebenden Technologie. Die Stadtbewohner werden so Teil der technischen Infrastruktur einer Stadt.“ (Wikipedia: Smart City) Im Endstadium wären die Smart City-Bewohner gläserne Menschen, die der digitalen Technik der Verwaltung Informationen geben, um im Gegenzug von ihr überwacht und gesteuert zu werden (also eine rein technische Interaktion).
Möchten wir Bürger das wirklich? Und überhaupt: Von einem gesamtgesellschaftlichen Gesichtspunkt aus muß man nach den Motiven der Politiker fragen, die das Wachstum großer Städte fördern und die die notwendigerweise daraus entstehenden Probleme dann steuerkostenaufwendig mit digitaler Technologie lösen wollen (Technikgläubigkeit), statt sich um die Belebung von kleineren Kommunen zu kümmern und sie lebenswerter zu machen. Folgerichtig wurde das Smart City-Konzept in diesem Jahr mit einem "Big Brother Award" ausgezeichnet.Smart Library
Und was haben unsere Bibliotheken nun mit dieser Smart City zu tun? Deren Protagonisten schreiben den Bibliotheken sogar eine wesentliche Rolle bei der Erreichung ihres Ziels zu; so sollen sie nach dem Willen des Senats-Strategiepapiers "Attraktive Bibliotheken für die Metropole Berlin" (Juli 2016, S. 2f.) zu „zentralen Knotenpunkten einer Smart City“ werden, weshalb „in der Entwicklung zur Smart City, dem international florierenden Wirtschafts- und Wissensstandort und der impulsgebenden, kreativen und integrativen Hauptstadt, an der strategischen Planung eines vorbildlichen Systems Öffentlicher Bibliotheken - in der Kombination bezirklicher Bibliotheksnetze und der ZLB - kein Weg vorbeiführt“.
Wenn das alles so klappt, sind bis 2030 unsere Stadtbüchereien etwas ganz anderes geworden: „Begegnungsort und öffentliches Wohn- und Arbeitszimmer“, „Forum politischer Partizipation für die Kiez- und Metropolgesellschaft“, „‚metropolitaner ‚Placemaker' und Garant für die Attraktivität der Stadt“, „Ort der Freizeitgestaltung“ mit „‚Gaming‘-Angeboten“, „Ort des Willkommens“ und noch vieles mehr. Da ist es nur konsequent, daß in dieser „Vision von einer modernen Bibliothek“ das Wort Buch nicht ein einziges Mal vorkommt, denn Bücher spielen in diesen Vorstellungen fast keine Rolle mehr.(2)
Natürlich sind in Zeiten, in denen der Einpersonenhaushalt (im Norden Europas) der häufigste Haushaltstyp ist (3), Orte nötig, an denen man ohne Konsumzwang andere treffen kann, miteinander klönen, einfach zusammen sein, Musik machen, den Kindern vorlesen, an Kulturveranstaltungen teilnehmen uvm. Offenbar gibt es diese Orte viel zu wenig. Wenn also Politiker und Stadtverwaltungen insofern etwas für ihre Bürger tun wollten, sollten sie viel mehr soziokulturelle Zentren ermöglichen, vorzugsweise solche, die von den Bürgern selbst verwaltet werden. Aber warum tun sie gerade das nicht, sondern bemühen sich gemeinsam mit sog. Bibliotheksmachern, die Bibliotheken ihrer Kernaufgaben zu berauben? Das obige Strategiepapier gibt eine erste Antwort: In ihm kommen die Bürger mit ihren eigentlichen Wünschen und Bedürfnissen nämlich überhaupt nicht vor, dafür wird an erster Stelle als Nutznießer der Smart Library der „international florierende Wirtschaftsstandort“ genannt, d.h. es geht bei der Umwandlung darum, die Bibliotheken als Mittel im Konkurrenzkampf der Metropolen untereinander einzusetzen.
Weiterer Ziele von Politik und Verwaltung bei der Schaffung von Smart Libraries
Blicken wir auf einige schon jetzt sichtbare Veränderungen in unseren Bezirksbibliotheken – verursacht u.a. durch die vom Senat vorgegebene Kosten-Leistungs-Rechnung – und auf von Politikern geäußerte Absichten: stark gelichtete Regale, weil Bücher wegen geringerer Ausleihe weggeworfen werden; vorwiegend Anschaffung von Ratgebern und Unterhaltungsliteratur, darunter insbesondere Bestseller, zur „Grundversorgung“; Installation von überflüssigen Informationsmonitoren „zur Inspiration der Besucherinnen und Besucher“ sowie Gaming-Zonen mit Spielekonsole inklusive Virtual-Reality-Brille, wo Erwachsene „einfach und kostenlos virtuelle Welten erfahren“ und dabei „ihre Scheu verlieren“ können, „denn dies ist die Zukunft“.(4)
Daraus kann man schon ablesen, was mit der Smart Library auf uns Bürger zukommt:
- gezielte Absenkung des Angebots vor Ort, also bewußte intellektuelle Verflachung der Bezirksbibliotheken („Grundversorgung“)
- die Vernichtung von Bestand aus vorwiegend statistischen Gründen (Kosten-Leistungs-Rechnung) stellt eine Verschleuderung von Volksvermögen dar
- diese Vernichtung zusammen mit der beschränkten Anschaffungspraxis bedeutet eine Kostenabwälzung auf uns Nutzer, denn wer mehr möchte, muß aus anderen Büchereien ausleihen, was seit August 2017 auch innerhalb des eigenen Bezirks 3 Eu je Medium kostet
- durch die Umwandlung der Bibliotheken zu Freizeitheimen spart man sich soziokulturelle Zentren, insbesondere solche, die selbstverwaltet sind und damit nur beschränkt der behördlichen Kontrolle unterliegen
- Gewöhnung der Bürger an umfassende Digitalisierung, denn die größte Herausforderung bei der Etablierung der Smart City sind die Menschen, besonders der Teil von ihnen, der nicht willens oder „in der Lage ist, Online-Transaktionen zu machen“ (5).
- hinzu kommt: Privatisierung des Bestandsaufbaus zugunsten von Großunternehmen (ekz oder Hugendubel) und zulasten qualifizierter Bibliotheksmitarbeiter und des örtlichen Buchhandels – und sowieso ohne Einbeziehung der Nutzer.
Und der Blick auf Dokk1 in Aarhus läßt erahnen, was in nächster Zeit unsere Bibliotheken und deren Beschäftigte noch zu erwarten haben: Umwandlung in fachfremde Servicestationen, die Personalausweise verlängern, über Zahnhygiene informieren, Kitaplätze vergeben, Baugenehmigungen erteilen, 3D-Druckern ausleihen usw. – vieles davon heutzutage Aufgaben der Bürgerämter und anderer Abteilungen der Verwaltung, in Zukunft dann, nach einem riesigen Rationalisierungsschritt, Hauptaufgabe der Smart Libraries.
Was geht dadurch verloren?
Verloren gehen die Kernaufgaben der Bibliothek: ein Ort zu sein, der uns Bürgern Informations-, Wissens- und Bildungsangebote fachlicher und literarischer Art macht, und zwar in Form eines reichbestückten Medienbestandes in Freihandaufstellung und durch qualifizierte digitale Angebote.
Next Library®
Next Library® Conference Berlin 2018 – Internationale Zukunftskonferenz für Öffentliche Bibliotheken scheint die Speerspitze der Smart Library-Bewegung zu sein. Man versteht sich selbst als eine internationale Gemeinschaft von „vorwärtsdenkenden Bibliotheksfachleuten, Erneuerern und Entscheidern, die Grenzen überschreiten und Änderungen herbeiführen zugunsten des Lernens (6) im 21. Jahrhundert“. Und über die kommende Veranstaltung der „Bibliotheksführer und -erneuerer aus weltweit 94 Staaten“ heißt es, sie sei „mehr als eine Konferenz; es ist eine Gemeinschaft“ (eig. Übers.)
Wenn man davon ausgeht, daß Konferenz bedeutet, daß dort vor allem Besprechungen, Diskussionen unterschiedlicher Standpunkte, Beratungen und Erfahrungsaustausch stattfinden, dann sieht man nach einem Blick auf den Programmentwurf (Stand Anfang August 2018; ein ausgearbeitetes Programm liegt noch nicht vor) bestätigt, daß diese Veranstaltung tatsächlich keine Konferenz sein wird, sondern ein Gemeinschaftserlebnis, daß auf einen gemeinsamen Kurs einstimmen soll: Auf zwei Tage verteilt, sind in sechs Blöcken mindestens 31 interaktive Workshops (Parallel Sessions) geplant sowie mindestens 48 Kurzpräsentationen (Ignite Talks: je fünf Minuten lang, begleitet von 20 Folien im 15-Sekunden-Takt; Motto: „Belehre uns, aber faß dich kurz!“). Hinzu kommen an drei Morgen zur Einstimmung ein Impulsvortrag (Keynote):
Impulsvortrag David Lankes (Professor für Bibliothekswissenschaften, Direktor der School of Library and Information Science der University of South Carolina/USA)
In seinem Brief an eine Altbekannte beschreibt er die Bibliothekare der Zukunft: Ihre Aufgabe „sollte nicht sein, alles zu sammeln, was unsere Gesellschaft braucht, sondern eine klügere, bewusstere und offenere Gesellschaft in die Welt zu entsenden". Die Bibliothek der Zukunft wird „Motor der Veränderung der Welt zum Besseren" sein und ihre Bibliothekare „engagierte Berater, die der Gesellschaft helfen, klügere Entscheidungen zu treffen". Sein Fazit: „Die Gesellschaft braucht uns, denn es gibt nur wenig andere, die ihr helfen können."
Bibliothekare als Weltverbesserer – das wirft eine Menge Fragen auf, z.B.: Wer bildet sie dazu aus? Mit welchem politischen Standpunkt? Wen sollen sie beraten? Gegen wen?Wessen Entscheidungen sind offenbar nicht klug genug? Und dann natürlich: Warum sollen sie nicht das sammeln, „was unsere Gesellschaft braucht“ und was dann Bibliotheksbesucher selbst nutzen können, um eine bessere Gesellschaft nach ihren eigenen Vorstellungen zu schaffen? Soll diesen ihre politische Aktivität aus der Hand genommen werden, und sollen sie vertrauensvoll abwarten, daß Bibliothekare „eine klügere Gesellschaft in die Welt senden“? Wo bleibt da der mündige Bürger?
Impulsvortrag Nina Simon (Direktorin des Museum of Art and History, Santa Cruz/USA)
Ihr Anliegen ist Partizipation (Teilhabe). Die Programmleiter der Konferenz, T. Leik und J. Pranke, fassen ihren Standpunkt so zusammen, daß „Bibliotheken als Kultur- und Bildungseinrichtungen Orte [sind], an denen Demokratie immer wieder neu eingeübt wird“.
Geht es ihr um Demokratie in der Bibliothek (Bestandsaufbau, innere Ausgestaltung, …)? Die ist schon lange fällig in Form von Mitsprache der Nutzer. Oder meint sie Demokratie in der Gesellschaft? Letztere gehört doch in die Gesellschaft selbst und wird im übrigen ausgeübt. Und was das „Einüben“ betrifft: Jeder, der je als Bürger mit Ver- oder Abgeordneten zu tun hatte, weiß, wie sie die Partizipation der Bürger (Bürgerbeteiligung) zwar im Munde führen, aber wie zuwider sie den meisten in der Praxis ist und wie nötig diese Politiker das Einüben hätten, aber sie werden kaum je dazu in die Bibliothek kommen. Wenn stattdessen Bürger dort Demokratie einüben sollen, erinnert das an ein Placebo und bedeutet die Entmündigung des souveränen Bürgers.
Impulsvortrag Stefan Kaduk (geschäftsführender Partner der Musterbrecher Managementberater, Forschungspartner der Universität der Bundeswehr München)
Zur Charakterisierung des Redners und seiner Gedankenwelt zwei Zitate: „Zukünftig müssen wir experimentell – statt in der gewohnten Meilenstein-Projektlogik – an einer neuen Führungshaltung arbeiten. Diese ist geprägt von Leidenschaft, sie nutzt die kollektive Intelligenz und setzt auf eine frei atmende Organisation.“ (Wochenblatt Deggendorf, 12.1.2018) Und: „[Musterbrecher] arbeiten vorwiegend am System - und nicht im System. Sie schaffen Wettbewerbsvorteile 2. Ordnung, indem sie mutig experimentieren. Die alte Projektlogik hat ausgedient. Oder kann man ernsthaft glauben, durch das Abarbeiten von Meilensteinen eine Kultur der Leidenschaft zu erzeugen?“ (Musterbrecher)
Die Einladung an S. Kaduk und seine Positionierung auf den letzten Tag direkt vor dem Abschluß legt nahe, daß es Hindernisse zu überwinden gilt – bei den Nutzern allemal und wohl auch bei einem Teil der Bibliothekare – auf dem Weg zu dieser Art von Bibliothek, und daß diese führenden Bibliotheksmacher die menschlichen Hindernisse mit Leidenschaft (im Sport heißt das Zauberwort Emotionen) zu überrennen hoffen statt auf die Bedürfnisse der Nutzer einzugehen, wie sie in verschiedenen Umfragen (7) deutlich wurden.
Was setzen wir dagegen?
Eine Bibliothek ist nach unserer Vorstellung ein Ort, der uns Bürgern Informations-, Wissens- und Bildungsangebote fachlicher und literarischer Art macht, und zwar in Form eines reichbestückten Medienbestandes in Freihandaufstellung und von qualifizierten digitalen Angeboten. Wesentlich ist, daß dort das ungebundene, zweckfreie Interesse aller Nutzer gefördert wird statt nur die Vermittlung von verwertbarem Wissen. Daher sind die Nutzer bei der Bestandspflege (Neuerwerb, Aussortieren) beteiligt; Aussortieren findet grundsätzlich nur nach eng gefaßten inhaltlichen Kriterien statt. Auf Wunsch werden die Nutzer in die Arbeit in einer Bibliothek einschließlich Benutzung der digitalen Medien eingewiesen; nicht vor Ort vorrätige Medien können kostenlos aus anderen Vöbb-Bibliotheken ausgeliehen werden. Die Bibliothek bietet – getrennt von den Lese- und Arbeitsbereichen – Platz für gemeinsame Aktivitäten wie Spiele, Vorlesen und Gespräche sowie geschlossene, kostenlos nutzbare Räume für Arbeitsgruppen; ein kleines Café oder ein Automat ergänzen diesen Bereich. Und schließlich seien in dieser nicht vollständigen Aufzählung noch Veranstaltungen zu kommunalen, politischen und literarischen Themen genannt.
MichaelR für die Bürgerinitiative Berliner Stadtbibliotheken
Materialien:
Attraktive Bibliotheken für die Metropole Berlin (Juli 2016/Senatsstrategiepapier)
Lankes, Richard David: Die andere Bibliothek. Brief an eine Altbekannte, in: Kulturstiftung des Bundes, Magazin # 30 (Frühjahr/Sommer 2018)
Leik, Tim/Juliane Pranke: Next Library Conference. Warum wir mit Nina Simon über die Zukunft von öffentlichen Bibliotheken nachdenken, in: Museumsjournal 3/2018 (Juli-September 2018), S. 11
Möglichkeitsort Bibliothek. Claudia Henne im Gespräch mit Hortensia Völckers und Volker Heller anlässlich der Next Library® Conference in Berlin, in: Kulturpolitische Mitteilungen, H. 161, II/2018 [Juli 2018]: Zukunft der Bibliotheken, S. 54
Next Library® Conference 2018 Berlin, 12.-15.9.2018
Smart City-Strategie Berlin (Stand 21.4.2015)
Wikipedia: Smart City
Anmerkungen:
(1) Tatsächlich ist V. Heller jedoch weder von seiner Ausbildung noch von seiner Praxis her Bibliotheksfachmann. Er hat u.a. Kulturmanagement studiert und ist seit Mitte der 90er Jahre als Kulturverwalter tätig, zuletzt in Berlin 2005-2012 als Leiter der Abt. V Kultur der Senatskanzlei und seit 2012 als Managementdirektor ZLB.
(2) Vgl. dazu diesen Bericht des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2015 über die Bücherei einer Kleinstadt in Dänemark, dem führenden Land in Sachen Smart Library, wo es heißt: „Ganz vereinzelt finden sich auch ein paar Regale mit Büchern, Zeitschriften, CDs oder DVDs zum Ausleihen. Der Bibliothekschef: ‚Ja es ist eine moderne Bücherei – es ist die Zukunft der Bücherei!‘“
(3) Lt. Statistischem Bundesamt sind 2016 in Deutschland 41 % der Haushalte Einpersonenhaushalte, im Land Berlin 51 %; in der Heimat der Smart Library, Skandinavien, sind es 43 (Dänemark) bis 52 % (Schweden).
(4) Für mehr Einzelheiten und für die Quellennachweise der Zitate siehe die Kapitel Informationsmonitore, Gaming-Zonen und Die Ideologie von der ‚Grundversorgungsbücherei‘.
(5) V. Heller hält sich zugute, daß er seine ZLB und auch noch alle 80 Bezirksbibliotheken, die „jede Menge Computerarbeitsplätze“ haben, der Senats- und den Bezirksverwaltungen zur Bewältigung ihrer Probleme angeboten hat (S. 56)
(6) Wer wie Next Library ® Bibliotheken darauf beschränkt, ein Ort des Lernens zu sein, sieht offenbar den Menschen vorrangig unter dem Gesichtspunkt seiner beruflichen Verwertbarkeit. Ein souveränes Individuum zeichnet sich aber gerade auch dadurch aus, daß es in der Bibliothek seinen eigenen, auch völlig zweckfreien Interessen nachgehen möchte. Diese Beschränkung ist letztlich eine Absage an die Emanzipation des einzelnen und hat logischerweise auch Konsequenzen für den Bestand, vor allem den künstlerischen und wissenschaftlichen.
(7) Institut für Demoskopie Allensbach, "Die Zukunft der Bibliotheken in Deutschland" (November 2015): 76 Prozent der Befragten möchten vor allem ein umfangreiches Angebot an Büchern, E-Books, Zeitschriften, Musik und Filmen.
Nutzung und Einstellungen zu den Angeboten und Dienstleistungen der Berliner Bibliotheken (August 2014): „Die Befragungsergebnisse zeigen, dass eine überwältigende Mehrheit - neun von zehn befragten Berliner/innen - die Öffentlichen Bibliotheken für unabdingbar hält, um die Grundversorgung mit Fach- und Unterhaltungsmedien in Form von Büchern, Zeitschriften, Zeitungen, CDs, DVDs, Noten und elektronischen Medien für breite Bevölkerungsschichten zu sichern." Und: „Das Kerngeschäft der Öffentlichen Bibliotheken Berlins ist nach wie vor Medien für ein breites Publikum bereit zu stellen.“; dazu die Grafik zur Frage „Was tun Sie konkret vor Ort?“
Zusammenfassung der Kinder-Medien-Studie 2018 im Börsenbatt (7. August 2018): "Kinder mögen am liebsten gedruckte Bücher".
"Was Menschen an Bibliotheken wichtig finden" (Umfrage des Schweizerischen Instituts für Informationswissenschaft, 11.8.2017). Dort heißt es unter 4.:
„Nicht die Bibliothek ist unmodern und hält an überkommenden Aufgaben (......) fest und „verliehrt“ deshalb Nutzerinnen und Nutzer, sondern die ‚neuen Aufgaben‘, die sich die Bibliothek zuschreibt, sind gar nicht die, die Menschen besonders an Bibliotheken schätzen.“
MichaelR - Gastautoren, Politik - 21. August 2018 - 23:34
Tags: bezirksamt/bezirksbibliothek/bezirkshaushalt/bibliothek/stadtbibliothek
neun Kommentare
Nr. 3, M.R., 06.09.2018 - 22:45 Sehr geehrter Herr Altenkamp, es freut mich, daß Sie als Referatsleiter ("IT-Dienste") der ZLB sich auf eine öffentliche Diskussion mit einem Nutzer einlassen. Ich möchte Ihnen in drei Punkten antworten: 1. Sie erwähnen Bibliotheken in Ghana oder in "schwierigen Gebieten" der USA und schließen damit, daß es dort um "Dienst an der Community (geht), den wir hier in Deutschland zumindest meist nicht als Aufgabe von Bibliotheken ansehen". Aber warum schwärmen Sie dann von Dokk1 in Aarhus? Dort wird doch vor allem eine Behörde betrieben mit 130 Mitarbeitern der Stadtverwaltung (demgegenüber nur 80 Bibliothekare), und der Bibliotheksdirektor ist gleichzeitig der Verwaltungschef. Wollen Sie das also auch hier in Berlin? Ihr Vorgesetzter, Herr Heller, jedenfalls arbeitet entschlossen darauf hin, mit dem Personal der öffentlichen Bibliotheken Aufgaben der Verwaltung zu erfüllen, wie er selbst einräumt (Kulturpolitische Mitteilungen Nr.161, S.56). Andererseits besteht aufgrund der zunehmenden Vereinzelung (Einpersonenhaushalte!) hierzulande ein großen Bedarf an Treffpunkten ohne Konsumzwang, wie ich oben ausführe, und damit ein großer Bedarf z.B. an soziokulturellen Zentren. Statt aber diese zu ermöglichen, wird dieser Bedarf von Politikern und "Bibliotheksmachern" gegen die Kernaufgabe der Bibliotheken ausgespielt und letztere dezimiert. Dafür ist Anmerkung 2 ein gutes Beispiel (aus der Heimat von Dokk1!): „Ganz vereinzelt finden sich auch ein paar Regale mit Büchern, Zeitschriften, CDs oder DVDs zum Ausleihen. Der Bibliothekschef: ‚Ja es ist eine moderne Bücherei – es ist die Zukunft der Bücherei!‘“ (Damit Sie mich nicht falsch verstehen: natürlich habe ich nichts dagegen, daß sich Menschen in der Bibliothek treffen; es geht um die damit geplante Beseitigung von deren Kernaufgabe.) 2. Sie machen Ausführungen zur Demokratie und wiederholen den Satz vom "Einüben der Demokratie in der Bibliothek". Sicher, auch in der Bibliothek bräuchte es Demokratie, die dort von den Nutzern durch Mitsprache ausgeübt wird (daran fehlt es übrigens sehr). Und außerhalb der Bibliothek: Dort scheitern Bürger doch oft genug mit Ihren Versuchen, demokratisch zu handeln und auf die Gestaltung ihrer Umwelt Einfluß zu nehmen, an Verwaltung und gewählten "Volksvertretern"; Beispiele dafür finden sich zu Hauf in den Medien. Und da sollen die Bürger in die Bibliothek zurück und dort erst einmal üben? Mithilfe "engagierter Berater"? Es sieht sehr aus, als ob Sie meinen, daß Bürger nicht fähig sind, eigene Vorstellungen von dem zu haben, was sie wollen, und vorher eine Beratung von Bibliothekaren brauchen. Welch Selbstüberschätzung und gleichzeitig welch Geringschätzung von uns Bürgern. 3. Was ich bedaure, ist, daß Sie den grundsätzlichen Rahmen der Umgestaltung unserer Bibliotheken, auf den Ihr Vorgesetzter, Herr Heller, doch ausdrücklich hinweist und an dem er mitwirkt, gänzlich außen vor lassen. Ihre Meinung dazu wäre sehr interessant gewesen: ob Sie das auch gern so wollen? P.S. Das Motto: „Belehre uns, aber faß dich kurz!“ ist gar nicht von mir, sondern findet sich (in englischer Fassung "Enlighten us, but make it quick!”) auf der Seite http://www.nextlibrary.net/page/ignite-t.. ganz unten! |
Nr. 6, Marcel, 07.09.2018 - 21:11 Bitte zurück zum Thema kommen. Die Thematik war keine Unterrichtsstunde in Fremdsprachen. Danke! |
Nr. 7, Stefan Altenkamp, 13.09.2018 - 17:19 Hier der Beitrag von David Mannes auf der NLC: https://davidlankes.org/a-manifesto-for-global-librarianship/ |
Nr. 8, M.R., 22.09.2018 - 10:11 Post festum: Ein Kommentar der FAZ vom 17.9., dessen Verfasserin mit offenen Augen sich die "Conference" angeschaut hat – und ihre Hilflosigkeit feststellt, die Propheten der schönen neuen Bücherei eingeschlossen: http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/bu... Sie ruft, wie schon oben Komm. 6, auf: Bitte zurück zum Thema kommen! |
Nr. 9, Peter Delin, 28.09.2018 - 16:03 zu Kommentar 2: "Macht es den Bürger mündig, ihm mehrere Tonnen Papiermedien hinzustellen mit dem Hinweis, sieh zu, was Du darin findest und was Du daraus machst?" Das ist eine klare Absage an die Bibliothek als solche, eigentlich genau das, was der Chef in Aarhus in der ZEIT http://www.zeit.de/2015/46/bibliothek-da.. propagiert hat:"Wir wollen die Nutzer dazu bringen, Bücher nicht mehr als Erkennungsmerkmal einer Bibliothek zu sehen." – also ganz so, wie es Ray Bradbury in seinem 1953 erschienenen Roman "Fahrenheit 451" in erschreckender Weise beschreibt: Eine buchfeindliche Gesellschaft ist immer eine totalitäre Gesellschaft! Ja, Lesen macht den Bürger mündig, denn Bücherlesen ist immer auch Nachdenken. Andere Standpunkte kennen zu lernen, sich damit auseinanderzusetzen, fremde Welten zu verstehen, all das schafft Empathie, erweitert unseren Horizont und stärkt unsere Urteilskraft. Das ist sogar wissenschaftlich nachweisbar, wie eine Studie der Kingston University gezeigt hat http://www.kingston.ac.uk/news/article/1.. : "The results revealed that readers had greater awareness and empathy for other people’s feelings, while those who preferred watching television came across as less friendly and less understanding of others’ views." Ray Bradbury lag also vollkommen richtig mit seiner Warnung. Das sollten die Bibliotheksverächter von heute nicht vergessen! Und im übrigen stimmt das Publikum in den Bibliotheken ja mit den Füßen ab: Die astronomisch hohen Nutzerzahlen in den öffentlichen Bibliotheken Berlins kommen wegen des reichhaltigen Medienangebots zustande. |
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Der Niedergang der Bibliotheken ist damit klar umrissen.
Der hat dazu noch zwei weitere Aspekte. Die jetzt schon vorhandenen Bestrebungen, die qualifizierten Bibliothekare durch ehrenamtliche Laien zu ersetzen wird sich weiterhin bis zu den wissenschaftlichen Fachbibliotheken durchsetzen. Dort ist aber auch schon Fachpersonal eingespart worden, so daß die Leser schon heute wie in der UB die Bücher in die Magazine selber einstellen. Das hat den Effek, daß einige Bücher auf Jahre nicht mehr auffindbar sind. Dazu braucht ein Student zu nur zu faul sein, das Buch entsprechend der Signatur einzusortieren.
Nächster Trend ist, daß das gedruckte Buch auch im Ausleihverfahren viel zu teuer ist. Also wird es ausschließlich digital verliehen werden. Das eröffnet ganz neue Möglichkeiten der inhaltlichen Veränderung. Die harmloseste ist, daß dann auf Mausklick in der gesamten Literatur aus dem Sonnabend der Samstag werden kann, aus Schillers „Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan …“ wird politisch korrekt „Der Schwarzafrikaner hat seine Schuldigkeit getan …“ und aus Marxens Arbeiterklasse wird ideologisiert die Arbeitnehmerklasse. Die Überprüfung der Originalliteratur bleibt wenigen Spezialisten vorbehalten.
Frank Wecker