Schokolade aus dem Bezirk
Wenn auf einer Schokoladentafel zum Beispiel steht: 70 % Kakaoanteil – was genau ist da mit Kakaoanteil gemeint? Dreierlei kommt nämlich infrage: die aus den Kakaobohnen durch Vermahlen entstandene Kakaomasse oder das dieser Masse abgepreßte Fett, genannt Kakaobutter, oder der übriggebliebene trockene Rest, nämlich das Kakaopulver. „Die konkrete Art der Zusammensetzung kann man an der Prozentzahl nicht erkennen. Allerdings fast immer, wenn zur Kakaomasse noch etwas Kakaohaltiges hinzugefügt wird, ist es Kakaobutter. Der Grund dafür ist die bessere Verarbeitbarkeit, denn durch das zusätzliche Fett wird die gesamte Masse geschmeidiger. Aber dadurch leidet die Intensität des Schokoladengeschmacks, denn die Kakaobutter* ist geschmacklich neutral. Wenn man mehr Geschmack haben will, muß man also Kakaopulver hinzufügen, denn das ist der Geschmacksträger. Und das machen wir“, erklärt Andreas Hamann, Chef in dritter Generation von Erich Hamann Bittere Schokoladen**.
Erich Hamann war der Großvater von Andreas Hamann. 1912 begann er die Produktion und spezialisierte sich auf bittere Schokolade. Seine Rezepte werden immer noch angewendet, aber die Produktpalette ist 106 Jahre später wesentlich breiter. Jetzt gehören zum Sortiment auch Vollmilchschokolade, hauchdünne Plättchen, Borkenschokolade, Schokoladen mit Beimischung von Chili, Ingwer oder Pfeffer und die verschiedensten Arten von Pralinen. Ebenfalls anders als in den 20er und 30er Jahren ist auch, daß nur noch eins von den einst sieben Geschäften besteht, nämlich das in der Brandenburgischen Straße 17. Erich Hamann hatte sich dieses Haus 1927 bauen lassen, in dem bis auf den heutigen Tag Wohnen, Produktion und Verkauf eine Einheit bilden – sozusagen das Gegenstück zu dem, wofür die Brandenburgische Straße in ihrer heutigen Form steht: dem Konzept der 60er Jahre, als Politiker die Trennung von Arbeit und Wohnen forcierten und als Verkehrsvoraussetzung dafür Westberlin zur autogerechten Stadt zu machen begannen. Vollständig erhalten ist aus der Zeit der Entstehung die wohl von Johannes Itten entworfene Ladeneinrichtung. „Die Kunstschule von Johannes Itten lag zwar genau hinter unserem Haus in der Konstanzer Straße 14, aber kennengelernt hatten sich mein Großvater und Itten fernab am Wannsee, denn beide waren begeisterte Wassersportler.“
Andreas Hamann hatte nie einen anderen Berufswunsch, als das Unternehmen seines Großvaters und Vaters weiterzuführen: „Da bin ich reingewachsen.“ Studiert hat er Maschinenbau und Betriebswirtschaft. „Und was das Fachliche betrifft: damit bin ich schließlich aufgewachsen.“ Nach Abschluß seines Studiums im Jahr 1992 arbeitete er zunächst als Angestellter in Produktion und Verwaltung, denn „im Prinzip machen bei uns alle alles.“ Ab 1994 leitete er zusammen mit seinem Vater Gerhard Hamann den Betrieb, seit dessen Tod im vorigen Jahr er allein. „Auch als Chef bin ich in der Produktion tätig, z.B. an der 110 Jahre alten Walze für die Borkenschokolde, ich arbeite in der Verwaltung mit, besuche die Kunden und repariere, wo das heutzutage überhaupt noch möglich ist.“ Dabei kommt ihm zugute, daß er als langjähriger Motorradfahrer ans Hantieren mit Werkzeug gewöhnt ist.
Einst hatte der Betriebsgründer Erich Hamann 60 Mitarbeiter, die im hinteren Teil des Hauses tätig waren. „Damals gab es mehr Personal, weil weniger Maschinen im Einsatz waren als heute, von denen eine computergesteuert ist. Jetzt besteht unsere Kernbelegschaft aus neun, zu Weihnachten und Ostern sind wir fünfzehn. Denn Schokoladenherstellung ist ein Saisongeschäft, vor allem eben an Weihnachten, aber auch Ostern.“ Der hauptsächliche Absatzmarkt ist Berlin. „Hier gibt es unsere Schokolade im Fachhandel und in einzelnen Kaufhäusern. Supermarktketten beliefern wird nicht. Ebenso haben wir keinen Webshop, denn dafür wäre der Betreuungsaufwand viel zu groß, aber zwei oder drei Händler verkaufen unsere Produkte online. Und man kann aus der Ferne bestellen, dann liefern wir per Post.“ Was den stets 18 °C kühlen Laden betrifft, so findet man an der flanierfeindlichen Durchgangsstraße dort Laufkundschaft natürlich eher selten. Hierher kommen Kunden, die gezielt Hamann-Schokolade kaufen wollen. Da die diversen Spezialitäten überwiegend handwerklich und folglich in kleinen Mengen hergestellt werden, ist ein breites Angebot möglich – aber das heißt auch, dass manchmal die eine oder andere Sorte nicht mehr produziert wird. Vor einem Jahr hatten das die Liebhaber der nougatgefüllten Weinbeißer schmerzlich erfahren müssen.
Andreas Hamann sieht bei seinen Kunden einen Geschmackswandel seit den 90er Jahren: „Damals hatten wir überwiegend ältere Kundschaft. Seitdem wird sie immer jünger. Und während früher jüngere Kunden eher auf süß standen und es die älteren waren, die mehr auf Schokoladengeschmack achteten, sind es jetzt schon die ab 30.“ Die Folge davon ist, daß zu den gängigsten Produkte neben bitteren Tafeln jetzt auch Borkenschokolade und hauchdünne Platten gehören. „Erich Hamann hatte von Anfang an auf Geschmack statt Süße gesetzt, deshalb einerseits die Zugabe von Kakaopulver und andererseits weniger Zucker bei den Tafeln. Und die Plättchen, die sind so dünn, daß sie gleich im Mund schmelzen, weswegen das Aroma stärker zur Geltung kommt als bei einer Tafel. Und die Borke ist aufgrund ihrer Verarbeitung ebenfalls intensiver im Geschmack als eine Tafel, weil die Schokoladenmasse zweimal gewalzt wird.“ Rückläufig hingegen ist der Umsatz von großen Pralinenschachteln; „man kauft lieber einzelne Sorten lose“.
Die Weihnachtsproduktion hat längst angefangen. Daher ein Blick in die Werkstatt. Schon beim Betreten wird man vom Schokoladengeruch umfangen. Ein Mitarbeiter ist gerade dabei, mit der Hand Vollmilchschokolade für Spritzmandelpralinen zu temperieren. Wenn die Masse wieder hinreichend abgekühlt ist, wird er sie mit einem Spritzbeutel als Deckschicht auf Mandeln auftragen, die bereits in Zartbitter eingebettet sind. Sein Kollege stellt für Rum- oder Kirschwassertrüffel die Hohlkörper her, die er anschließend mit der jeweiligen Flüssigkeit füllt und mit einem Schokoladendeckel verschließt. Neben diesen Hohlkörperpralinen, bei denen zuerst der Rand hergestellt wird, gibt es Überzugspralinen. Hier ist der Ausgangspunkt die Füllung, zum Beispiel ein Stück Marzipan. Diese Füllung läuft auf einem Fließband durch einen Vorhang von flüssiger Schokolade und erhält so ihre Ummantelung. Eine weitere Mitarbeiterin packt Borkenschokolade ab. Hergestellt wird diese Schokolade auf der Borkenwalze, die Andreas Hamanns Großvater bei Betriebsgründung damals im Jahr 1912 bereits gebraucht gekauft hatte. Über elektrisch angetriebene Treibriemen wird eine Granitwalze in langsame Rotation versetzt, um einen dünnen Schokoladenfilm herzustellen, der beim Verlassen der Walze aufgestaut wird und dadurch die typische Borkenform erhält.
Wird es Hamann-Schokolade auch noch in der vierten Generation geben? „Ob mein Neffe oder eher mein Sohn das Unternehmen einmal weiterführen wird, das ist offen, aber noch stellt sich die Frage lange nicht.“
MichaelR
* Sogenannte weiße Schokolade beinhaltet von den erwähnten Kakaoanteilen nur Kakaobutter (mindestens 20 %); damit fehlt ihr der Geschmacksträger und folglich der Schokoladengeschmack . Das läßt manchen bezweifeln, ob es sich überhaupt um Schokolade handelt. Die große Süße des Produkts kommt durch den hohen Zuckeranteil zustande.
** Erich Hamann KG, Brandenburgische Straße 17, Tel. 873 20 85, Öffnungszeiten: Mo.-Fr. 9-18 Uhr, Sa. 9-13 Uhr
MichaelR - Gastautoren, Gewerbe im Kiez - 26. Oktober 2018 - 00:24
Tags: kakao/schokolade
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