Erinnerung an das Kriegsende
New Yorker Künstlerin in der GedächtniskircheFoto: Wecker
Wessen in Deutschland gedacht wird, ist meist ein umstrittenes Ding. Manche Ereignisse werden von einem exorbitanten öffentlichen Klamauk begleitet, andere verdämmern im Gedächtnisschwund. Solch ein aus dem Gedächtnis verschwundenes Datum ist der 11. November. Vor 100 Jahren wurde an jenem Montag in Compiegne der Waffenstillstand unterzeichnet, mit dem der I. Weltkrieg beendet wurde, der allein Deutschland fast zwei Millionen Soldaten gekostet hatte.
Glücklicherweise gibt es Künstler wie die in New York lebende Bettina WitteVeen, die hierzulande ein solch wichtiges Datum in Erinnerung rufen. Sie tut es mit einer Installation in der Kapelle der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, die am Sonntag, 28. Oktober um 10 Uhr mit einem Gottesdienst eröffnet und bis zum 25. November gezeigt wird.
Foto: Wecker
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„11.11.18 Dämmerung“ ist der Titel der Installation, wobei die Künstlerin offenläßt, ob das Kriegsende eine verheißungsvolle Morgendämmerung ist, oder ob es sich um eine Sonnenuntergangsdämmerung handelt, da die Menschen nicht nur dieses Datum vergessen, sondern auch kaum Lehren daraus gezogen haben. Auf dem Weg zur Ausstellung passieren die Besucher zunächst jene Blutspur, die der Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt gezogen hat und dann den Turm der historischen Gedächtniskirche, eine Ruine, die in einer der fürchterlichsten Berliner Bombennächte während des II. Weltkrieges entstanden ist. Mit ihrer Installation schlägt die Künstlerin den Bogen von der Vergangenheit bis in die Gegenwart. An der Stirnseite beginnt die Galerie mit einer Foto-Kreuz-Skulptur, gefolgt von der Bleistiftzeichnung des leidenden Christi von Ernst Barlach und dem Nagelkreuz eingebettet einen Trauerblumenschmuck aus Chrysanthemen und Dahlien. Gegenüber befinden sich zwei Videobildschirme. Linker Hand werden Triumph und Elend der Soldaten gezeigt, wozu die Künstlerin auch Privatfotos und Röntgenbilder zu Collagen verarbeitet. Inkonenhaft ragt daraus das Porträt „Schock“ heraus, das in den vor Entsetzen geweiteten Augen eines Soldaten, die gesamte Grausamkeit des Krieges zeigt. Rechter Hand geht es von lieblichen Landschaften, die vor über 100 Jahren grausame Schlachtfelder waren, bis zu einem Margeritenfeld im Dämmerlicht, in das eine Kampfdrohne fliegt. Ergänzt wird die visuelle Installation um eine Klanggemisch aus dem Sprachgewirr der Alliierten, die nach dem II. Weltkrieg Berlin besetzt hatten. Hier sind es Gedichtfragmente, die während des Krieges entstanden waren.
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Die Installation hatte Bettina WitteVeen zunächst 2015 in einem früheren Krankenhaus in New York gezeigt. Viele Amerikaner hatten die Installation sofort mit Berlin in Verbindung gebracht, da für die Foto-Kreuz-Skulptur die markante blaue Glassteinfassade der neuen Gedächniskirche verwandt wurde. Darauf kam sofort die Anregung, diese Ausstellung in Berlin und dort in der Gedächtniskirche zu zeigen. Bei Pfarrer Martin Germer stieß dieser Vorschlag gleich auf Sympathie, denn diese Ausstellung paßt in die langjährige Tradition, die einst der Verherrlichung der Hohenzollerndynastie gewidmeten Kirche, in eine Kirche des Friedens zu wandeln.
Dem entspricht auch das Begleitprogramm zu dieser Installation. Dazu gehören unter anderem eine Deutsch-französischer Rundfunkgottesdienst unter dem Thema „Nicht mehr lernen, Krieg zu führen“ am 11. November 10 Uhr und am 8. November ein Benefizkonzert zugunsten eines Ausbildungszentrums im Kongo, das ehemaligen Kindersoldaten eine Perspektive geben will. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.gedaechtniskirche-berlin.de.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 27. Oktober 2018 - 19:24
Tags: ausstellung/gedenken/kirche/nationalsozialismus
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