Die Wilmersdorfer Bürgerwehr 1919
Im Zusammenhang mit der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg vor 100 Jahren kam die Frage auf: Wer war eigentlich diese Wilmersdorfer Bürgerwehr, die die beiden am Abend des 15. Januar 1919 in der Mannheimer Straße 43 (jetzt 27) festnahm und ihren Mördern auslieferte?
In Publikationen und Internetveröffentlichungen sind nur wenige bruchstückhafte Informationen zu finden; die örtlichen Archive verzeichnen zum Stichwort „Wilmersdorfer Bürgerwehr‟ keine Suchergebnisse; für die Januarausgaben der Lokalzeitung „Berlin-Wilmersdorfer Zeitung‟ weisen die Archive eine Bestandslücke aus.* So muß sich die folgende Darstellung darauf beschränken, diese Informationsbruchstücke zusammenzufügen und in die Entwicklung von Anfang November 1918 bis Mitte Januar 1919 einzuordnen.
Der Aufstand der Matrosen in Kiel am 3.11.1918 und die nachfolgende Revolution hatten zwei entschiedene Gegner, die schon eine Woche später zueinander fanden. Es war dies zum einen die SPD-Führung, die gleich am folgenden Tag Gustav Noske nach Kiel schickte, um die revolutionäre Bewegung unter Kontrolle zu bringen. An jenem Tag gelang es ihm jedoch noch nicht, sie wirkungsvoll einzudämmen; sie griff stattdessen erst einmal auf das weitere Reichsgebiet über.
Der andere entschiedene Gegner war die Obersten Heeresleitung (OHL) unter Generalleutnant Wilhelm Groener. Schon einen Tag vor der endgültigen Kriegsniederlage durch Anerkennung der Waffenstillstandsbedingungen am 11.11.1918 rief er den gerade ins Amt gekommenen Vorsitzenden des Rats der Volksbeauftragten, Friedrich Ebert (SPD), an. Er sicherte Ebert die Loyalität der OHL zu; als Gegenleistung beließ Ebert die Befehlsgewalt über die Resttruppen bei den kaiserlichen Offizieren; und man war sich einig, gemeinsam den „Bolschewismus‟ – also die Kräfte links von der SPD – zu bekämpfen. Mit dem „Ebert-Groener-Pakt‟ hatte sich die OHL vom verlorenen Kampf gegen den äußeren Feind hingewandt zum inneren, der Revolution: „Wir hofften durch unsere Tätigkeit einen Teil der Macht im neuen Staat an Heer und Offizierskorps zu bringen. Gelang das, so war der Revolution zum Trotz das beste und stärkste Element des alten Preußentums in das neue Deutschland hinübergerettet. ... Von da ab besprachen wir uns täglich abends auf einer geheimen Leitung über die notwendigen Maßnahmen. Das Bündnis hat sich bewährt." (W. Groener, Lebenserinnerungen, S. 467ff.).
Eine solche Bewährungsprobe ergab sich Weihnachten 1918, als unter den Resttruppen in Berlin die „Volksmarinedivision‟ aufgrund eines Streites mit der Reichsregierung wegen der Löhnung meuterte. Ebert telefonierte daraufhin mit Groener. So wurden am 24.12. noch nicht demobilisierte Regimenter aus der Umgebung Berlins zu ihrem ersten Einsatz auf deutschem Boden nach Kriegsende befehligt, es kam zur Straßenschlacht mit den Matrosen, aber die Frontsoldaten waren ohne Eifer, ihr Angriff scheiterte.
Die aus diesen Weihnachtskämpfen gezogenen Konsequenzen waren entscheidend für das Ende der Revolution: Auf der einen Seite vergrößerte diese Zusammenarbeit der Reichsregierung mit den kaiserlichen Generälen das Mißtrauen der oppositionellen Berliner Arbeiterschaft gegenüber der SPD. Daher traten angesichts der gewaltigen Sympathiekundgebungen bei der Beerdigung der getöteten Matrosen am 29.12. die drei USPD-Mitglieder aus dem Rat der Volksbeauftragten aus – und überließen die alleinige Regierungsgewalt der SPD-Führung, die die drei vakanten Sitze sogleich mit Mitgliedern ihrer Partei, darunter Noske, besetzte. Am 3.1.1919 traten auch die USPD-Regierungsmitglieder in Preußen und anderen Bundesländern zurück, außerdem fast alle der Partei angehörigen höheren Beamten. Nur der Berliner Polizeipräsident Emil Eichhorn blieb, wurde jedoch am folgenden Tag vom preußischen Innenminister (SPD) entlassen. Noch am Abend dieses 4.1. riefen KPD, USPD und Revolutionäre Obleute für den folgenden Tag in Berlin zu Massendemonstrationen gegen die Regierung auf.
Andererseits zeigten die Weihnachtskämpfe der SPD-Führung und der OHL, daß sie keine verläßlichen Truppen zum Einsatz gegen oppositionelle Kräfte besaßen, nachdem sich die Truppen größtenteils aufgelöst hatten. Daher wurde die im November begonnene Umwandlung von regulären Einheiten zu aus Freiwilligen bestehenden Freikorps unter Führung kaiserlicher Offiziere von Groener intensiviert. Dies geschah mit Eberts Zustimmung,
Die Januarkämpfe 1919
Jeweils mehrere 100.000 Menschen nahmen am 5. und 6.1.1919 in Berlin an den Kundgebungen teil. Diese Massenbewegung blieb jedoch führerlos und ging wieder nach Hause; nur wenige tausend bewaffnete Arbeiter besetzten mehrere Zeitungsredaktionen, das Polizeipräsidium und andere Gebäude.
Ebenfalls am 6. Januar hatte sich Noske gegenüber Ebert bereiterklärt, der „Bluthund‟ zu sein. Ebert ernannte ihn daraufhin zum Oberbefehlshaber der Freikorps in Berlin und Umgebung. Noske nahm Hauptquartier im Königin-Luise-Stiftung in Dahlem und sammelte in großer Zahl schlagkräftige konterrevolutionäre Truppen; demokratisch gesinnte Freikorps, die sich auch gebildet hatten, spielten für ihn keine Rolle. Seine Hauptstütze im Kampf gegen die Aufständischen wurde die Garde-Kavallerie-Schützen-Division unter ihrem Befehlshaber Hauptmann Waldemar Pabst.
Der nicht geplante Aufstand wurde mangels Unterstützung von außen bis zum 12. Januar von den Freikorps niedergeschlagen. Was die OHL am 10.11.1918 mit dem „Ebert-Groener-Pakt‟ eingeleitet hatte und was ihr Weihnachten 1918 noch nicht gelungen war, gelang ihr jetzt im Januar 1919: die blutige Abrechnung mit den Novemberrevolutionären. Dazu ließ Noske den Freikorps auch in den Wochen nach dem 12. Januar in der von Pabst unter Militärrecht gestellten Stadt freie Hand. Unter den vielen Opfern befanden sich Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Sie wurden der Garde-Kavallerie-Schützen-Division von der Wilmersdorfer Bürgerwehr ausgeliefert.
Die Wilmersdorfer Bürgerwehr
Nach der Niederlage der Regierungstruppen an Weihnachten 1918 hatte Noske auch zur Bildung von Bürgerwehren zur Unterstützung der Armee aufgerufen. Sie bestanden meist aus konservativen Mitgliedern, Vertretern des Mittelstandes, und halfen, neben der Wahrnehmung von polizeilichen Aufgaben, vor allem in Berlin auch, Bewegungen links von der SPD zu bekämpfen. Die Bürgerwehren standen unter Noskes Oberkommando und waren bestimmten Freikorps angegliedert. Für die Wilmersdorfer Bürgerwehr, die sich am 10. Januar in der Cecilienschule am Nikolsburger Platz einquartiert hatte, war die vorgesetzte Behörde die Garde-Kavallerie-Schützen-Division. Ihr diente sie als Fahndungs- und Polizeigruppe, zu ihren Aufgaben gehörte es, nach Luxemburg und Liebknecht zu suchen.
Zur Wilmersdorfer Bürgerwehr gehörten der Kaufmann Bruno Lindner und der Destillateur Wilhelm Moering als Leiter, ein Kaufmann namens Jurcz[e]ck sowie die Bürger Schwar[t]z und Jantz, die alle an der Verhaftung von Luxemburg und Liebknecht beteiligt waren. Sie trugen dabei Feldgrau, Gewehre und weiße Armbinden mit der Aufschrift „Bürgerwehr Wilmersdorf‟. Weitere Mitglieder waren Oberleutnant a.D. Kurt Vogel und Pollmann. Jeder von ihnen erhielt als Belohnung 1700 Mark, ein nicht unerheblicher Betrag. Die Summe wurde vom Wilmersdorfer Bürgerrat**, einer Unterabteilung des „Großbürgerrats von Berlin‟, gespendet; das Geld kam vom Industriellen und Bankier Salomon Marx, der zusammen mit dem Großindustriellen Hugo Stinnes Pabst und seine Offiziere unterstütze.
Kurt Tucholsky charakterisierte die Wilmersdorfer Bürgerwehr so: „Brave Einwohner einer westlichen berliner Gemeinde, die am übelsten und reaktionärsten von allen regiert wird, gründeten in den bewegten Revolutionstagen des Januar einen kleinen Feuerwehrverein zur Aufrechterhaltung gottgewollter Abhängigkeiten.‟ (Die lebendigen Toten (1919), GW 2, 96)
Bald nach dem Mord an Luxemburg und Liebknecht war die Niederlage der Novemberrevolution besiegelt, und die SPD-Führung merkte nicht, daß nicht sie deren Nutznießer war, sondern zunächst die OHL und letztlich das Bürgertum. Einer der vielen Helfer dabei war die Wilmersdorfer Bürgerwehr gewesen.
Ist die Darstellung der Rolle der Wilmersdorfer Bürgerwehr eine Schutzlegende?
Bisher geht man in der Wissenschaft davon aus, daß die Wilmersdorfer Bürgerwehr die oben dargestellte Rolle bei der Verhaftung von Luxemburg und Liebknecht gespielt hat. Es gibt allerdings eine Aussage aus dem Jahr 1945, nach der es gar nicht sie war, die die Verhaftung selbst durchführte, sondern die Kriminalpolizei. Bislang konnte diese Aussage nicht überprüft werden. Aber seit kurzem ist ein Dokument im Internet einsehbar, das diese Aussage unterstützt, nämlich ein Bericht der Frankfurter Zeitung 17.1.1919, die während der Kämpfe Berichterstatter auf den Berliner Straßen hatte. Der Bericht ist vom 16.1.1919 und erschien am folgenden Tag. Dort heißt es:
Am gestrigen Mittwoch Abend hatten sich Liebknecht und Rosa Luxemburg in einen ihrer Schlupfwinkel im Haus Mannheimerstraße 43 begeben, wo sie schon öfter in der Familie des Wilmersdorfer Genossen Marcusson Unterkunft gefunden hatten. [...] Das ganze Haus wurde von Kriminal- und Sicherheitsbeamten umstellt. Um 8 Uhr drangen die Beamten in die Wohnung des Marcusson ein und nahmen ihn, seine Frau, Liebknecht und Rosa Luxemburg gefangen. Liebknecht wurde ebenso wie seine Genossen in das nächste Standquartier der Bürgerwehr nach dem Nikolsburger Platz gebracht.
MichaelR
* Die Recherche erstreckte sich auf Landesarchiv, Staatsbibliothek und Zentral- und Landesbibliothek Berlin, Archiv und Verwaltungsinformationszentrum (VIZ) des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf und das Mikrofilmarchiv der deutschsprachigen Presse (MFA).
** Bürgerräte waren seit November 1918 in zahlreichen deutschen Städten als Gegengründungen zu den Arbeiter- und Soldatenräten entstanden.
Materialien zur Wilmersdorfer Bürgerwehr
Aufzeichnung aus dem Tagebuch des Fabrikanten Oskar Münsterberg (1865-1920) aus Berlin, 6.-12. Januar 1919 S. 11: 10. Januar 1919
Andreas Conrad, 100 Jahre Novemberrevolution. Tod im Tiergarten, Tagesspiegel 14.1.2019
Klaus Gietinger, Doppelmord nach Plan, Junge Welt 15.1.2004
–-, Der Konterrevolutionär. Waldemar Pabst – eine deutsche Karriere, Hamburg (Ed. Nautilus) 2009, S. 121-123
–-, Eine Leiche im Landwehrkanal. Die Ermordung Rosa Luxemburgs, Hamburg (Ed. Nautilus) 2. Aufl. 2018, S. 22f. [Stadtbücherei: Pol 155 Luxemburg]
Fritz Güde, Noskes Schuld an der Ermordung Rosa Luxemburgs. Rezension zu: Klaus Gietinger, Eine Leiche ..., kritisch-lesen.de, 1.1.2009
Kulturprojekte Berlin GmbH, 100 Jahre Revolution. Berlin 1918/19
Liebknecht und Luxemburg ermordet, Frankfurter Zeitung 17.1.1919
Ernst Piper, Rosa Luxemburg. Ein Leben, München (Blessing) 2018, S. 671 [Stadtbücherei: Pol 155 Luxemburg]
Nico Popp, »Für mich ist Noske eine präfaschistische Figur«. Gespräch mit Klaus Gietinger, aus: Liebknecht-Luxemburg-Ehrung, Beilage der Jungen Welt 12.01.2019
Uwe Soukup, Luxemburg und Liebknecht. Das letzte Versteck, Tagesspiegel 10.1.2010
Gustav Strübel, „Ich habe sie richten lassen‟, Die Zeit 13.1.1989
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 19. März 2019 - 00:04
Tags: aufstand/bürgerwehr/revolution/räte
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Es ist doch nichts interessanter als Geschichte. Immerhin bestätigt auch der Bericht der Frankfurter Zeitung, daß Liebknecht und Luxemburg von der Bürgerwehr ihren späteren Mördern ausgeliefert worden waren. Was allerdings die Kriminalpolizei und welche “Sicherheitsbeamte” auch immer damit zu tun gehabt haben können, ist unklar. Es lag ja wohl kein Haftbefehl vor. Frank Wecker