Das Schicksal herrscht jederzeit
Frank Castorf inszeniert an der Deutschen OperOptimistisch, gar vergnügt oder beschwingt wird der Besucher der Aufführung „La Forza del Destino“ (Die Macht des Schicksals) das Opernhaus an der Bismarckstraße 35 nicht verlassen. Vielleicht ist er verärgert, wenn er ein Anhänger werkgetreuer Inszenierungen ist. Wer sich jedoch auf die von Frank Castorf inszenierte Geschichte einläßt, wird die Oper nachdenklich, und mit Blick auf die heutigen Lebensumstände, sorgenvoll verlassen.
Erzählt wird eine Geschichte von Liebe und Rache, die vom Schicksal oder auch dem Zufall beherrscht wird, wogegen die handelnden Figuren wenig auszurichten vermögen. Das sind vor allem das Liebespaar Donna Leonora und Don Alvaro sowie Leonoras Bruder Don Carlo di Vargas. Durch einen verirrten Schuß, der ausgelöst wird, als Don Alvaro die Waffe zu Boden wirft, wird der Vater des Geschwisterpaares getötet. Leonoras Bruder sinnt nun auf Rache. Die gelingt und die Oper endet mit dem Tod der Protagonisten.
Foto: Wecker
republikanischen Armee. Maria Jose Siri als Donna Leonora.
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Die Mitte des 17. Jahrhunderts in Italien und Spanien angelegte Handlung verlegt Frank Castorf in kriegerische Auseinandersetzungen, die sich zu verschiedenen Zeiten ereignen. Der versehentliche Schuß, der die Handlung in Bewegung setzt, findet in einem Bunker der spanischen Republikanischen Armee während des Bürgerkriegs 1936 – 1939 statt. Der italienische Handlungsstrang wird in die Zeit der Befreiung Italiens 1945 durch die US-amerikanischen Truppen verlegt. Ein Nebenhandlungsstrang greift die Niederwerfung der indigenen Völker bei der Eroberung des amerikanischen Kontinents durch die europäischen Großmächte auf. Das dominierende blutige Kriegsgeschehen erscheint nie heldenhaft, sondern stets vor dunkler Kulisse grauenvoll und abstoßend. Besonders beklemmend sind die Szenen in einem US-amerikanischen Feldlazarett. Patienten, Ärzte und auch die jungen und schönen Krankenschwestern sind blutverschmiert. Beim Tanz spenden sie den Soldaten Trost, doch auch dies gleicht einem düsteren Trauerakt und zeigt sich nur deformiert als jugendliche Lebenslust. Frank Castorf läßt die Zuschauer an diesem Geschehen nur indirekt teilhaben. Die Szenen spielen sich hinter beziehungsweise seitlich der Bühne ab und werden per Videokamera auf einen Bildschirm übertragen. Dieses stilistische Mittel setzt Castorf mehrfach ein. Nur vom Bildschirm erfährt der Zuschauer von Vorgängen in der Bunkerstellung der spanischen Armee und auch von der Begegnung zwischen Bruder und Schwager im Feldlager.
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Damit erreicht Frank Castorf zwar nicht Werktreue, aber eine eindringliche Umsetzung der Grundidee Verdis. Dazu heißt es im Begleittext seitens der Deutschen Oper: „In den Volksszenen, die Verdi teilweise Schillers ‚Wallensteins Lager‘ entnahm, entfaltet Verdi ein Panorama von Krieg, Elend und Verrohung, in dem der Einzelne als Handlungsträger bedeutungslos wird. Damit ist ‚La Forza del Destino‘ die erste Oper, die den Krieg und seine Folgen nicht bloß als Handlungshintergrund, sondern als eigenes Thema setzt.“
„Die Macht des Schicksals“ ist auch die erste Opernarbeit von Frank Castorf in Berlin. Seitdem die Berliner Kulturpolitik Castorfs Arbeit an der Volksbühne als ein unauslöschbares Kapitel in die Theatergeschichte verbannt hat, widmet der sich verstärkt dem Musiktheater. Nach Bayreuth, Stuttgart und München ist der Starregisseur nun auch mit dem Musiktheater in seiner Heimatstadt angekommen. Dabei ist er auch seiner Marotte von über die Bühne fliegenden Speisen treu geblieben. Das Publikum der Deutschen Oper ist jedoch durch den Orchestergraben geschützt.
In den Hauprollen sind Maria Jose Siri, Markus Brück und Russell Thomas zu erleben. Maria Jose Siri kennt nahezu alle großen Opernhäuser der Welt, auch an der Deutschen Oper war sie bereits in mehreren Inszenierungen zu sehen. Markus Brück ist einer der großen Stars des Berliner Opernhauses, wo er seit 2001 engagiert ist und viele große Partien gesungen hat. Immer wieder wird der Kammersänger aus dem Ausland angefragt. Russell Thomas ist seit der vorigen Saison als Otello an der Deutschen Oper zu erleben. Die neue Saison beginnt er mit einer weiteren großen Aufgabe, der Partie des Don Alvaro in die „Macht des Schicksals“. Nach Gastrollen unter anderem an der Canadian Opera Compagny, der Bayerischen Staatsoper und am Königlichen Opernhaus Covent Garden sowie Auftritten bei den Salzburger Festspielen und den BBC Proms, wird der junge Künstler sicherlich noch viele weitere Anfragen zu gewärtigen haben.
In dieser Spielzeit wird die Oper bis zum 26. Juni 2020 aufgeführt. Die nächsten Vorstellungen sind am 14., 18., 21., 24., und am 28. September. Karten können unter Telefon 343 84 343 und im Internet unter www.deutscheoperberlin.de bestellt werden.
Frank Wecker
FW - Gastautoren, Kunst und Kultur - 10. September 2019 - 00:20
Tags: gesang/oper/schauspieler/theater
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