"Mythos und Wirklichkeit von Bürgerbeteiligung"
Am 11. Dezember lud das "Stadtforum von Unten" zum Thema "Mythos und Wirklichkeit von Bürgerbeteiligung" in den BVV-Saal im Rathaus Kreuzberg ein.
Die Sitze der Abgeordneten waren fast restlos mit Interessierten gefüllt und auf dem Podium saßen:
Werner Orlowsky, Moderator und Baustadtrat von Kreuzberg a.D., E.O. Müller, Fachforum Bürgerbeteiligung / Partizipation, Johannes Middendorf vom BA Lichtenberg, Bürgerhaushaltsexperte und Ulrich Lautenschläger, Quartiersmanager, QM Körnerpark.
Alles begann mit einem Ausflug in alte Kreuzberger Zeiten der 70-ziger und 80-ziger Jahre.
Werner Orlowsky lässt die Geschichte eines verlorenen Kampfes wiederaufleben, spricht ruhig und faktenreich, seine Stimme sanft wie ein seidener Faden, der durch das vergangene, spannungsgeladene, revolutionäre Kreuzberg führt. Warum und wie sich die Menschen aufgrund von Wohnungsnot fanden, die haarsträubende Politik des Senats und der Tag, an dem man einfach feststellte: wir wollen unsere Macht (Einfluss und Geld) nicht mit den Betroffenen teilen.
Auszüge, die Werner Orlowsky sinngemäß ansprach, fand ich unter:
[squat!net]
- Buch: Hausbesetzer, Die »Legalos« von Kreuzberg (Sabine Rosenbladt)
... Sanierung bedeutete jedoch nicht behutsame Stadterneuerung und Reparatur, sondern Kahlschlag. Mit öffentlichen Geldern subventioniert, kauften gemeinnützige Wohnungsbaugesellschaften ganze Häuserblocks im Sanierungsgebiet auf, um sie, ebenfalls staatlich gefördert, abzureißen und an ihre Stelle Neubauten zu setzen. Auch private Sanierungsträger entdeckten lukrative Verdienstmöglichkeiten in Kreuzberg: Mit Subventionen für Kauf und Abriß und Steuervorteilen für Kapitalanleger durch Abschreibung und Berlin-Förderung ließen sich hier saftige Gewinne erwirtschaften.
... Folge dieser Sanierungspolitik: Billiger Wohnraum wurde hemmungslos vernichtet. Zum Beispiel waren von den 16000 Wohneinheiten, die 1963 als sanierungsbedürftig ausgewiesen worden waren, zehn Jahre später 2400 abgerissen, aber nur 1400 neu errichtet und ganze vierzehn renoviert.
... « So wurden die Mieter zu Störfaktoren einer Stadtplanung vom Reißbrett, zu lästigen Hindernissen für eine Städtebaupolitik, die sich nicht nach den Bedürfnissen der Bewohner, sondern eher nach den Interessen von Spekulanten und Bürokraten ausrichtete. Dabei geriet denn auch der Versuch einer "Bürgerbeteiligung" rasch zur Farce. Das "Berliner Modell der Betroffenen-Beteiligung" an der Sanierung war unter solchen Umständen zum Scheitern verurteilt.«
... »Weil die Mehrheitsverhältnisse in diesem zwölfköpfigen Ausschuß von Anfang an immer klar waren«, so Orlowsky, »nämlich 7: 5 zugunsten der Betroffenen, entsprachen die Ergebnisse der Beratungen nicht den Erwartungen der Verwaltung. Und man hat dann versucht, das Ganze leerlaufen zu lassen.«
... »Auch Experten kritisieren die Vergabepraxis des Senats. Denn anstatt die Mittel gezielt dort einzusetzen, wo Reparaturen dringend erforderlich sind, können die Trägergesellschaften pro Wohnung bis zu 10000 Mark beantragen, das heißt zum Beispiel für ein einziges Haus mit 30 Wohnungen runde 300 000 Mark. Aber, so Wulf Eichstädt von der IBA (Internationale Bauausstellung), die in Kreuzberg neue Sanierungsmodelle zu entwickeln versucht: »Wenn man ein Haus vor dem Verfall schützen will, dann reicht ein Drittel bis ein Viertel von der Summe, die da jetzt verausgabt wird, nämlich eine Jahresmiete.« Und: »Dies sollte mit den Bewohnern besprochen werden, damit die sagen, wo es bei ihnen brennt und nicht mit Hauseigentümern, die sagen, wir wissen schon, wie das Geld auszugeben ist.«
Es folgte O.E. Müller, der das neue Fundament für eine moderne Bürgerbeteilung mit seinen Visionen vorstellte, ein sympathischer Theoretiker, der ohne Groll auf die Erfahrungen aus alten Zeiten, seine Sicht so selbstverständlich vortrug, als müsste man nur die Haustür aufmachen und das Paket in Empfang nehmen und öffnen:
- Partizipation der Bürger ein muss demokratischer Prozesse
- Veränderung parlamentarischer Regeln (siehe Baden-W.): Besetzung der Ausschüsse mit Bürgerbeteiligung mit grundsätzlichem Anhörungs-und Informationsrecht,
- Fraktionsstatus für Bürgerbeteiligung im Parlament mit Rede- und Antragsrecht
- anteilmäßige Besetzung der Parlamente nach demografischer Auswahl für nicht erhaltene Stimmen ( Wahlbeteiligung)
- Innerparlamentarische Demokratie stärken
- direkte Demokratie als vierte Gewalt (Bürgerbeteiligung)
- Wie fließen die konkreten Ergebnisse der Bürgerbeteiligung in die Verwaltung ein?
- Wie können Entscheidungsstrukturen sinnvoll geändert werden, damit die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung in die Entscheidungsgremien mit einfließen?
- Denkmuster müssen sich in den Köpfen der Amtsträger ändern, damit eine dosierte Machtabgabe an die Bürger möglich ist. ( Bewußtsein schulen Modell in Essen)
- Bürgerkompetenz muss Einfließen (Bindungskraft)
- Installieren von Bürgerhaushalten, Gutachten, Umfragen, Bürgerpanels, Volksentscheide
Herr Johannes Middendorf klärt über den Bürgerhaushalt in Lichtenberg auf, das sind rund 5% = 30 Millonen €: vier bis fünftausend LichtenbergerInnen von 250.000 haben sich beteiligt, rund 37 von über vierzig Vorschlägen wurden umgesetzt. Mühsam ist die Motivationsarbeit, die die Politik leisten muss, und nächstes Jahr sind mehr als 13 Treffen angesagt.
Er spricht im trockenen Verwaltungsdeutsch ohne Beispiele zu nennen.
Nach konkreten Ergebnissen gefragt, nennt er einen Fahrstuhl in einem 100 Jahre alten Haus. Meine zweite Frage, ob das Haushaltsrecht nicht etwas schwierig für die junge Bürgerbeteiligung ist, beantwortet er nicht.
Jetzt kommt Ulrich Lautenschläger vom Quartiersmanagement (QM) Körnerpark als letzter Redner.
Die soziale Stadt ( Konzept des Senats) steht im Mittelpunkt seiner Rede. Rund 30 QM,s gibt es in Berlin mit lokalen Unterschieden und Beteiligungsverfahren. QM-Verfahren sollen Bürgerbeteiligung motivieren, er spricht von Abgabe der Macht oder Spielwiese, die Zustimmung der Bewohner, ohne die kein Projekt Sinn macht, und auch von der QM natürlich. Öffentliche Wahlen von QM-Räten und das Betroffene keine wesentliche Beteiligung haben, wenn z.B. eine Schule geschlossen wird - Interessenkollisionen mit eingeschlossen.
Meine Frage: Ob im Dreiklang von QM, die gewerbliche Unternehmen sind und so handeln, die Politik, die sich schön machen will und den Bürgerbeteiligten, die ja auch was davon haben wollen, es reiche, nur an seinen unternehmerischen Gewinn (10 bis 20%) zu denken und diesen möglichst lange ( durch beständiges Klagen bei den Geldgebern) zu erwirtschaften ?
Seine Antwort ist dürftig, wie das Frühstück eines Sahelzonenbewohners:
Es gäbe bessere Jobs, wo man viel mehr verdienen kann, ansonsten ist alles schön.
Nun wird gefragt und berichtet, eine Frau erzählt von manipulierten Wahlen und Kreise die Geldströme und Projekte beherrschen, ein QM-Wart aus Moabit West meldet sich, eine Frau aus Lichtenberg lobt die Möglichkeiten des Bürgerhaushaltes und ihre praktischen Erfahrungen in ihrer Arbeitsgruppe. Unangenehme Fragen werden nicht so gerne beantwortet, insgesamt ist es aber eine offene und faire Diskussion.
Als letzter Frager darf ich Herrn Lautenschläger noch eine brisante Frage stellen:
Was denn nach dem Auslaufen von Qm,s an Netzwerken und Herrschaftswissen an die so staatlich geförderte Bürgerbeteiligung übergeben werde, damit sie nicht sang- und klanglos verschwindet, ob es ein Konzept in diesem Fall gibt? Und natürlich mache ich noch darauf aufmerksam, dass Unternehmen immer anständige Gewinne machen müssen, weil sie ansonsten schlechte Arbeit leisten.
Alle vier auf dem Podium schweigen, meine Frage wird nicht beantwortet. Aber dann wird Herr Hirsch gebeten, meine Worte nicht zu vergessen.
Zum Abschluss spricht Bürgermeister Franz Schulz: Sein Wesen wirkt freundlich, mit seinem schmalen, hellen Gesicht, gleicht er einem Therapeuten, erweckt Vertrauen und Sympathie. An ihm ist die Hologrammisierung der Grünen ( das auf Knopfdruck virtuell erzeugbare Bild ohne vorhandene Substanz und Basis) ratlos vorbei gewandert. Er wirkt authentisch und ist es auch. Lernen will er vom Bürgerhaushalt, will sehen, was möglich ist, und sagt dann: die Bürgerbeteiligung kann auch die Arbeit von dem abzubauenden Personal übernehmen.
Resümee1:
Das ist wahrhaftig visionär. Genau das ist es nämlich. Nicht alles von oben machen lassen, sondern die Ressourcen der hilfsbereiten Menschen nutzen, um Mit- und Selbstverwaltung zu ermöglichen.
Resümee2:
Wesentliche Schritte zur Weiterentwicklung der Demokratie mit dem Ziel der Unterstützung einer sich verändernden Gesellschaft, die älter wird , mehr Zeit hat und mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung in vielen Bereichen durch Beteiligung die Lebensumstände und durch Partizipation am Staatswesen (-macht) aktiv mithilft und verändert, sind Notwendigkeiten in einer Gemeinschaft, die erkannt hat, dass die Macht jederzeit neu teilbar ist.
Allerdings gilt auch: Macht wird dir nicht gegeben, du musst sie dir nehmen!
Christian - Gastautoren, Gesellschaft, Politik - 17. Dezember 2007 - 01:52
Tags: bürgerbeteiligung/charlottenburg/kiez/klausenerplatz
zwei Kommentare
Nr. 2, maho, 09.01.2008 - 23:41 Wir haben die Dokumentation zum letzten Stadtforum von Unten vom 11. Dezember 2007 im Rathaus Kreuzberg (s.Artikel) erhalten. Hier die Dokumentation zum Download (als PDF / ca. 650 kb) zum Download |
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>Der Quartiersrat entscheidet Wir entscheiden<
http://de.indymedia.org/2007/12/201773.s..