Ein Kiez in den Zeiten
Ein schönes Foto von der Ecke Neufertstraße/Nehringstraße hatten wir schon gezeigt. Hier nun ein weiteres, auf dem unser Kiez in seiner ganzen Eigenart zu jener Zeit zu erkennen ist. Viele kleine Läden gab es, lebendig war er. Das ist nach viel Leerstand zwischendurch, jetzt aber glücklicherweise wieder entstanden. Natürlich gab es damals andere Geschäfte, einen Fischladen zum Beispiel, Sarotti, Schneider, Schuster und Strumpfladen, eine Kohlenhandlung, Kartoffelladen, der Gebrüder-Manns-Laden war noch auf, und so etliches mehr. Dazu der Verweis auf die wunderbare Geschichte aus und von der Nehringstraße im Nachbarblog: "Kohl und Knacker und Kowalski".
Auf dem Foto existiert auch noch eine der urigen Kiezer Kneipen: der Spitzbart. Dazu hatte uns ein ehemaliger Anwohner seine Geschichte erzählt, die wir im Anhang wiedergeben. Um 1970, so wird der Stand unter dem Foto angegeben. Es kommt mir allerdings vor, als wenn dort wo jetzt Aldi ist, noch das alte Kino zu erkennen ist. Das Mali (eröffnet 1932) machte 1968 dicht und so schätze ich das Foto entsprechend älter ein. Dazu auch weitere Angaben und ein Foto im Anhang.
Der "Spitzbart" - Ein Nachruf auf eine Kneipe, von Jörg Cichon
Der "Spitzbart" ist weg! Es gibt den "Spitzbart" nicht mehr! Er ist nicht einfach geschlossen, wegen Krankheit, Urlaub oder Renovierung, nein, es gibt ihn nicht mehr. Nicht nur die Rolläden sind heruntergelassen, auch die Reklametafeln sind weg, abmontiert, nichts mehr weist auf eine Kneipe hin, nichts mehr auf diese... Wer es nicht weiß, steht vor nichts als einem x-beliebigen geschlossenen Ladengeschäft.
Als ich um die Ecke der Neuen Christ in die Nehringstraße kam, warf es mich um. Darauf war ich nicht vorbereitet. Viel änderte sich schon in meinem Kiez. Immer, wenn ich mal wieder in Berlin bin, gehe ich durch die Straßen meiner Kindheit, meiner Jugend, erinnere mich, sehe Veränderungen, Anpassungen, erfreue mich aber auch, wenn es das eine oder andere noch gibt, unverändert, so wie es war. Nun aber dies: meine Stammkneipe, nichts mehr zeugt von einer so banalen wie auch urcharlottenburger Kneipe, nichts.
Die ersten Bierräusche, natürlich, die Debatten an dem großen runden Tisch gleich links vom Eingang. Wie viele Parteien haben wir hier gegründet, wie viele Grundsatzpapiere verworfen. "Für die Herren Studenten" wurde uns so manche Runde von vorne, von der Theke, von den Stehtischen davor, spendiert, dann wurde uns zugeprostet, wir prosteten zurück, und wieder warf einer von uns ein paar Groschen in die Musikbox. Und wenn es die richtige, noch nicht die neuere Musik war, dann tanzte manchmal der Kohlenträger vom Kohlenhändler gegenüber, der nach der Arbeit noch seine Lederschürze um hatte und auf ein oder zwei Feierabendbiere herein gekommen war, mit einer der Alten, die manchmal an dem kleineren runden Tisch neben der Theke saßen. Dann konnte es sein, daß der Wirt, der "Spitzbart" sich für einige Minuten zu uns setzte, uns von seinen Kriegserlebnissen erzählte. Er fuhr zur See und wurde angeblich mit der "Nabukir" versenkt und war einer der wenigen Überlebenden. Und wenn wir gespannt genug zuhörten, vielleicht sogar Fragen stellten, dann konnte es sein, daß er seiner Frau, klein, rundlich, dick und in weißer Schürze hinter der Theke, zurief, sie möge eine Runde des selbst gemachten Danziger Goldwassers bringen. Selbstgemachtes Danziger Goldwasser. Nie wieder seit dem, gibt es das eigentlich wirklich? Tatsächlich schwammen kleine goldene Teilchen in diesem Schnaps. Wir empfanden diese Abende, diese Stunden immer auch als eine Ehre.
Solche Abende gehörten zu den Höhepunkten. Aber auch andere. Wie der mit Johanna, meiner blonden Göttin für kurze Zeit. War sie nicht die hübscheste von allen? Hier saß ich allein mit ihr, an eben diesem Tisch, und sie fragte mich, ob sie in ihr Glas beißen solle, sie könne das. Und sie biß zu meinem Schrecken in ihr Bierglas, und es splitterte und knirschte und ich erschrak. Aber sie ging dann doch auf die Toilette, um ihren Mund auszuspülen. Und sie kam und kam nicht wieder. Ich machte mir Sorgen und ging ihr schließlich hinterher. Sie stand gerade im Vorraum vor einem großen Spiegel, und ich schloß die Tür zum Gastraum hinter mir, und ich küßte sie, das erste Mal, und ich suchte nach letzten Splittern in ihrem Mund, und es war der Himmel auf Erden.
Ich, der ich ja gleich um die Ecke wohnte, erinnere mich aber auch, wie ihm, dem "Spitzbart" gleich nach dem Mauerbau die Scheiben eingeworfen wurden. Ja, er trug einen eben solchen Spitzbart wie der andere, wie der von drüben, der das Böse verkörperte. Die Bäckerei zwei Häuser weiter mit zufällig dem selben Namen blieb verschont, die hießen nur so, da hatte niemand einen solchen Bart. Lang und grau und schmal habe ich ihn in Erinnerung, mit einem Rollkragenpullover unter einer schwarzen Lederweste. Und manchmal trug er eine Mütze wie Lenin auf seinem Kopf, naja... Sein wirklicher Name ist mir unbekannt geblieben, und vermutlich ist er schon seit Jahren tot.
Die Kneipe hieß weiter "Zum Spitzbart". Später wurde sie umgebaut, modernisiert, mit zeitgemäßem Interieur, es gab dann Steaks dort und "knackige" Salate, vermutlich auch Königs-Pils und französischen Rotwein, sicher aber kein Danziger Goldwasser, und niemand erfuhr mehr etwas vom Untergang der "Nabukir". Und Kohlenträger würden hier sicher ihr Bier nicht mehr trinken wollen.
Vor diesen Neuerungen aber vor Jahren schon hab ich noch einmal dort gesessen, dort mein Bier getrunken. Der "Spitzbart" selbst stand schon nicht mehr hinter der Theke. Aber das Lokal war noch das alte, war gut besucht, Männer in meinem Alter standen vorn an den Stehtischen. Ich beachtete sie nicht. Schließlich mußte ich auf die Toilette gehen. An der Pinkelrinne stand schon einer, ich stellte mich neben ihn. So standen wir, jeder für sich, und pinkelten gegen die Fliesen. Plötzlich sprach der andere vor sich hin. Und da erkannte ich die Stimme wieder, es war einer meiner alten Spielkameraden aus Kinderzeiten, Günther K. Er beachtete mich nicht weiter. Ich aber beneidete ihn in diesem Augenblick, war er doch immer noch hier zu Hause, in seinem Kiez, in seiner Stammkneipe. Und ich war nur noch ein fremder Gast. Er wohnte und wohnt immer noch in "meinem" Haus in der Neuen Christstraße, gleich um die Ecke.
Filmbühne Mali
Neufertstraße 19-21 - früher Magazinstraße 7
eröffnet: | 1932 |
geschlossen: | 1968 |
Sitzplätze: | 530 (1940) - 587 (1958) |
Architekt: | F.W. Bastian (Einbau 1932) - Peter Schwiertz (Umbau 1949) - Bruno Meltendorf (Umbau 1956) |
Betreiber: | Walter
Schäfer mind.1935-mind.
1960 Kinoname: Mali-Lichtspiele
neuer Kinoname 1949: Filmbühne Mali neuer Kinoname 1956: Mali Licht-Bild-Bühne A. Gabrunas 1967 neuer Kinoname: Mali |
Quellen und Bildnachweis:
* www.allekinos.com - "Filmbühne Mali"
dort wird weiter auf die Bildquelle verwiesen:
* Mali 1949 (Bildquelle: Filmblätter 35/1949, Wimmer)
Eintrag im Kino-Wiki:
>> Mali Licht-Bild-Bühne (B)-Charlottenburg 5, Am Klausener Platz,
Pl: 587, 7 Tg., 22 V, tön. Dia, App Klangfilm Verst: 20 Watt, Bild- u. Tonsyst: CS 4 KM, Gr.-Verh: 1:2,55, Th. <<
Quelle:
* Kinowiki "1959 Berlin"
- Geschichte, Kiez - 06. Februar 2011 - 19:22
Tags: charlottenburg/kiez/kiezgeschichte/kino/klausenerplatz/kneipe
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Vor, während und nach dem Mali-Kino:
1896-7 Bau einer Reithalle für die Gardekürassiere (Architekten Ernst Gerhardt u. F.W. Bastian) Magazinstr. 7
1923 (März)-Juni 1932 Notkirche der St.-Kamillus-Kirchengemeinde
1932 Umbau zu einem Kino (Architekt F.W. Bastian) „Mali-Lichtspiele“ 530 Plätze
1934-1962 (mind.) Betreiber Walter Schäfer
1949 Umbau (Architekt Peter Schwiertz) „Filmbühne Mali“ 540 Plätze
1950 Straßenumbenennung: Neufertstraße 19/21 (nach H. Neufert (1858-1935), Pädagoge und Charlottenburger Schulrat)
1956 Umbau (Architekt Bruno Mettendorf) „Mali-Licht-Bild-Bühne“ 587 Plätze
1967 „Mali“ Betreiber A. Gabrunas
1968 geschlossen
1970-März 2013 Aldi
2013 Bio Company