Leseempfehlung (12) – Die Geschichte der CIA
Dieses Buch hat 864 Seiten, davon u.a. 30 Seiten Register und 166 Seiten Anmerkungen, so daß 636 Seiten reiner Text übrigbleiben als Ergebnis von mehr als 20 Jahren Recherche und der Durchsicht von über 50.000 Dokumenten, von denen viele erstmals kurz vor Erscheinen des Buches im Jahr 2007 öffentlich zugänglich waren. Hinzu kamen 2000 Zeitzeugenberichte von und mehr als 300 Interviews mit CIA-Mitarbeitern. Tim Weiner, Journalist bei der New York Times, erhielt für dieses Buch im Erscheinungsjahr den National Book Award – den renommiertesten US-amerikanischen Literaturpreis neben dem Pulitzer-Preis, den er ebenfalls zweimal für hervorragende journalistische Leistungen zugesprochen bekam.
Im Vorwort kündigt Weiner an, daß er erklären will, wie es dazu kam, daß die USA heutzutage nicht über die nachrichtlichen Erkenntnisse verfügen, die nötig seien, und fährt fort: „Die amerikanische Nation wird sich nur dann als Großmacht am Leben halten, wenn sie die Augen öffnet und die Dinge in der Welt so sieht, wie sie sind. Genau dies war einst der Auftrag der Central Intelligence Service.“ (S. 24) Gerade wegen dieser Zielsetzung ist dieses Buch in keiner Weise eine Verherrlichung der CIA. Vielmehr schildert Weiner ihre Aktivitäten in den 60 Jahren seit ihrer Entstehung im Jahr 1947 sehr kritisch und äußerst detailliert, aber immer so, daß man als Leser den Überblick behält und sich nicht in der Masse der Einzelheiten verliert. Gleichzeitig ist dieses Buch ein ausgezeichnetes Nachschlagewerk.
Weiner geht chronologisch vor und gliedert seine Darstellung längs den Regierungszeiten der jeweiligen Präsidenten bis zum Jahr 2007. So läßt sich Schritt für Schritt verfolgen, wie die CIA aufgrund der immer wieder beklagten völligen Unkenntnis der Welt Fehleinschätzungen getroffen hat – von Korea 1950 über Kuba und Vietnam bis zum Irak 2003 – und sich in der CIA ein brisantes Gemisch aus Stümperhaftigkeit und Großmannssucht breitmachte mit dem Ergebnis, daß sie ihre einzige gesetzliche Aufgabe, nämlich nachrichtendienstliche Erkenntnisse zu sammeln, zu analysieren und in Berichtform an die Regierung weiterzugeben, auf Dauer völlig unzureichend erfüllte zugunsten weltweiter „verdeckter Aktionen“. Damit ist gemeint: „Regierungen stürzen, Staatschefs ermorden und sich in die politischen Angelegenheiten anderer Staaten einmischen“ (S. 252), also: Militärdiktaturen fördern und unerwünschte Politiker verhindern oder beseitigen, Korruption unterstützen, Wahlen manipulieren, Waffen verschieben und selbst Krieg führen, die eigenen Bürger ausspionieren, sich in- und ausländische Politiker, Sender, Parteien, Zeitungen und Gewerkschaften kaufen und fallenlassen, Informationen unterdrücken und Falschmeldungen in die Welt setzen – dies alles teils auf Anordnung des jeweiligen Präsidenten, teils auf eigene Faust, erst im Namen des Antikommunismus und später der Menschenrechte, immer wieder auf Kosten des Lebens, der Gesundheit und Freiheit und des Wohlergehens Aberzigtausender von Menschen, unter Mißachtung jeglicher in- und ausländischer Gesetze, daher keinem Verbrechen abgeneigt und gern auch in Zusammenarbeit mit Verbrechern – um dabei aber „zugleich die moralische Integrität zu wahren“ (S. 610).
Gleichzeitig wird bei der Lektüre deutlich, wie die CIA – so wie jeder beliebige andere Geheimdienst, hierzulande zur Zeit zu beobachten bei der Rolle des Verfassungsschutzes und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) in der Sache „NSU“ – zu einer verschworenen Gemeinschaft wurde, die eigenmächtig handelt und sich jeder Kontrolle zu entziehen sucht, ein Staat im Staat, der auch seine eigene Regierung und das Parlament belügt und betrügt, vom Volk ganz zu schweigen. Allerdings sind all dies für Weiner keine Argumente gegen Geheimdienste überhaupt. Aber der Leser muß ja seiner Zielsetzung nicht folgen, sich auch nicht dem Bedauern Weiners anschließen, daß „wir Amerikaner noch immer nicht die Menschen und Mächte verstehen, die wir in Schach zu halten und zu kontrollieren bemüht sind“ (S. 664), sondern kann dieses Buch als die Fundgrube ansehen, die es ist.
MichaelR
Tim Weiner, CIA. Die ganze Geschichte, Frankfurt/Main (Fischer Taschenbuch) 2012 – 8 € (Stadtbibliothek: So 950 Wein) (Originalausgabe 2007 unter dem Titel “Legacy of Ashes. The History of the CIA”)
Michael R. - Gastautoren, Politik - 12. September 2012 - 00:14
Tags: cia/geheimdienst/verfassungsschutz
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Mir fällt dazu die Aussage des früheren Richters am Bundesverfassungsgericht, Dr. Jürgen Kühling, zum Grundrechte-Report ein:
“Bedroht ist unsere Verfassung eben nicht allein durch Anarchisten, Kommunisten, Neonazis, Islamisten und Fundamentalisten verschiedener Couleur, sondern auch durch die Mächtigen im Lande, durch Behörden, Regierungen und sogar durch die Gesetzgeber in Bund und Ländern.”
http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi..
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