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Gaslaternen

 
Im folgenden handelt es sich um das Manuskript für eine Radiosendung, ergänzt durch Links. Der Beitrag wird am 19. November um 20 Uhr im offenen Kanal Alex Berlin zu hören sein.



    Es schlug mein Herz. Geschwind, zu Pferde!
    Und fort, wild wie ein Held zur Schlacht.
    Der Abend wiegte schon die Erde,
    Und an den Bergen hing die Nacht.
    Schon stund im Nebelkleid die Eiche
    Wie ein getürmter Riese da,
    Wo Finsternis aus dem Gesträuche
    Mit hundert schwarzen Augen sah.
    Der Mond von einem Wolkenhügel
    Sah schläfrig aus dem Duft hervor,
    Die Winde schwangen leise Flügel,
    Umsausten schauerlich mein Ohr.
    Die Nacht schuf tausend Ungeheuer,
    Doch tausendfacher war mein Mut,
    Mein Geist war ein verzehrend Feuer,
    Mein ganzes Herz zerfloß in Glut.

So erlebte Goethe in der Urfassung seines Gedichts „Willkommen und Abschied“ im Jahr 1771 die Nacht. Wenn man jedoch fast ein Vierteljahrtausend später heute des Nachts auf die Erde schaut, wie das mithilfe von Satellitenfotos möglich ist, glüht sie aus ganz anderen Gründen und ist vielerorts hell wie der lichte Tag: Überall sind Straßen und Plätze, Sportstätten und Schaufenster beleuchtet, werden Gebäude angestrahlt, “Festivals of Light” veranstaltet, werfen Reklame, Autoscheinwerfer und Wohnungen ihr Licht in die Nacht, machen japanische Fischer mit gewaltiger Leuchtkraft Jagd auf Kalmare, brennen Tropenwälder oder fackelt man Gas bei der Ölförderung ab.

Halt, da ist auch schon das Stichwort für unsere heutige Sendung: Gas. Bei der Ölförderung wird es nur als lästiges Nebenprodukt beseitigt, aber welche Rolle spielt es heutzutage bei der absichtsvollen Erhellung der Nacht eigentlich noch? Auf den ersten Blick keine, denn hinter allen eben genannten Lichtquellen steht die Elektrizität. Elektrizität ist modern, Fortschritt; Lenin brachte es für das Rußland nach dem Ersten Weltkrieg 1920 auf den Punkt: „Kommunismus – das ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung des ganzen Landes“.

   
Dabei war die Benutzung von Gas, genauer gesagt Stadtgas, zur Beleuchtung von Straßen, Geschäften und Wohnungen einmal ein großer Fortschritt: Die ersten gasbetriebenen Straßenlaternen gab es 1814 in London, Berlin folgte 1826. Noch heute findet man in manchen Altbauwohnungen Gasanschlüsse für die Beleuchtung, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts aufkam. Allerdings wurde das Gas als Leuchtmittel damals nicht von allen begrüßt: Manche befürchteten, daß die beleuchteten Straßen die Menschen aus ihren Häusern locken könnten mit der Folge von mehr Erkältungskrankheiten, einem Verfall der Sittlichkeit „bei Trunkenen und Verliebten“, der Zunahme von Diebstählen – und überhaupt stelle das ganze einen „Eingriff in die göttliche Weltordnung“ dar, da diese des Nachts nur den Mond und die Sterne als Beleuchtung vorsehe.

Rex und Gitte: „Vorm Stadtpark die Laternen


  
Mit dem Beginn der elektrischen Straßenbeleuchtung 1878 in Paris wurde das Gas allmählich verdrängt, seit 1882 auch in Berlin. Heutzutage gibt es weltweit noch etwa 90.000 Straßengaslaternen, davon etwa 44.000 in Berlin; das ist in dieser Stadt immerhin 20 % der Straßenbeleuchtung. Andere Städte mit noch recht vielen Gaslaternen sind Düsseldorf, Frankfurt, Dresden und Baden-Baden. An ausländischen Städten wären besonders London, Prag und Warschau zu nennen. Wer sich einmal einen Überblick über die Vielzahl der Formen von Gaslaternen aus ganz Europa verschaffen will, sollte das Gaslicht-Freilichtmuseum am S-Bahnhof Tiergarten besuchen, wo 90 Gasstraßenlaternen von den Anfängen bis 1956 zu sehen sind (nachts natürlich auch leuchtend!).

Manchem stellt sich da die Frage: „Was soll dieser nostalgische Quatsch? Wir leben im Zeitalter der Elektronik!“ Und einzelnen fällt auch noch zusätzlich ein politisches Argument ein: „Wer für Gas ist, unterstützt Putin!“ Dazu gleich die Antwort: Nur knapp 1/3  des in Deutschland verbrauchten Gases stammt aus Rußland, die restlichen 2/3 werden zu etwa gleichen Teilen  in Norwegen, den Niederlanden und Norddeutschland gefördert.

Aber zurück zu der Frage, warum es immer noch so viel Gaslaternen gerade in Berlin gibt. Dazu ist notwendig  

Ein Blick auf die Nachkriegsgeschichte


Zum Kriegsende war der größte Teil der Straßenlaternen samt dem Rohrnetz in Groß-Berlin zerstört  oder schwer beschädigt, und man mußte sich zunächst auf die notdürftige Behebung der Schäden beschränken. Bald jedoch ging die Entwicklung in Ost und West in verschiedene Richtungen: Seit Anfang der 60er Jahre begann man in Ostberlin – im Zuge der Umgestaltung des Zentrums – mit dem schrittweisen Abbau der Gaslaternen. Grund dafür waren die fehlenden Zuliefererbetriebe und die Tatsache, daß Gaslaternen – siehe Lenin 1920! – als veraltet galten. Ab Ende der 70er Jahre wurden sie dann flächendeckend beseitigt, mit dem Ergebnis, daß nur noch Reste in den Bezirken Treptow-Köpenick und Marzahn-Hellersdorf übrigblieben.
Ganz anders die Entwicklung in Westberlin: Nach Ende der Blockade 1949 wurde hier – im Rahmen der Autarkiebestrebungen – die Gasbeleuchtung  wieder zügig aufgebaut, eine eigene Stadtgasversorgung hergestellt und sogar eine spezielle Gasleuchte für Hauptverkehrsstraßen – die sog. Reihenleuchte – völlig neu entwickelt. Zwar wurden auch Gaslaternen abgebaut, jedoch nicht in solchem Umfang, und ein Großteil von ihnen wurde zur Verdichtung des Bestandes an anderer Stelle wieder aufgestellt. Mit der Umstellung auf Erdgas seit Anfang der 90er Jahre wurde die Gaslaternentechnik den neuen technischen Bedingungen angepaßt. So kommt es, daß heutzutage vor allem im ehemaligen Westberlin noch flächendeckend Gaslaternen zu finden sind, vor allem in Frohnau und Hermsdorf mit dem weltweit größten Gaslichtareal, in großem Umfang in Zehlendorf, Wilmersdorf und Charlottenburg, aber auch in Spandau, im Wedding, in Kreuzberg, Tiergarten, Tempelhof, Neukölln, Lichterfelde und Lichtenrade.

„Laterne, Laterne“

 
Eben wurde von der Reihenleuchte gesprochen. Sie ist der jüngste der vier Typen der Berliner Gasstraßenbeleuchtung. Ihren Namen hat sie daher, daß sich hier die Glühstrümpfe in einer Reihe befinden, und zwar vier bis neun Stück. Normalerweise ist sie an einem Peitschenmast angebracht und dient der Beleuchtung von Hauptverkehrs- oder breiteren Nebenstraßen. Von den fast 14.000 Reihenleuchten Ende der 60er Jahre gibt es jetzt noch etwa 8.400 – abzüglich der 900, die bis Anfang Oktober 2012 bereits beseitigt worden sind.
Am häufigsten findet man die Aufsatzleuchten, und zwar etwa 31.000mal. Sie kamen in den 20er Jahren auf, sind an ihrer silbrigen Haube zu erkennen und wurden vom Bauhaus inspiriert. Fast immer sind sie vierflammig und stehen in der Regel auf schmucken Bündelpfeilermasten – das sind Masten, die so aussehen, also ob vier schmale Rohre zusammengebunden wären. Bei der Gelegenheit sei angemerkt, daß es sich auf den Straßen und im erwähnten Freilichtmuseum lohnt, gerade auch die Masten anzugucken und sich an ihrer phantasiereichen Vielfalt vielleicht zu erfreuen.
Weiter mit dem dritten Typ der Gasstraßenbeleuchtung, den Hängeleuchten, die wegen ihrer höheren Aufhängung  ursprünglich vor allem auf verkehrsreichen Straßen eingesetzt waren und oft an reichverzierten Masten montiert sind.
Am meisten fotografiert wird die Modelleuchte, die gern auch Schinkelleuchte genannt wird, obwohl das heutige Modell erst 50 Jahre nach des Meisters Tod zum Einsatz kam. Die hiesige Version der Modelleuchte ist sechseckig und hat vier Glühstrümpfe und steht ebenfalls auf einem Bündelpfeilermast. Manchmal findet man auch mehrere Modelleuchten zu einem drei- oder fünfarmigen Kandelaber zusammengefügt.

Aber jetzt Schluß mit der ästhetisierenden Beschreibung dieser Leuchten und zurück zu der Frage, warum diese historischen Relikte immer noch herumstehen. Denn dazu reicht es nicht aus, daß sie mal hingestellt wurden, sondern es mußte auch der politische Wille dazu da sein, sie dort stehen zu lassen. Bis 1990 war das für Westberlin im großen und ganzen klar. Zur Entwicklung seitdem folgt nun
    

Eine kleine Geschichte des Umgangs der Politiker mit den Gasleuchten seit 1990

 
1992 beschloß das Abgeordnetenhaus, die Gasbeleuchtung weiterhin zu erhalten. 2001 bestätigte die grüne Baustadträtin des Bezirksamtes Mitte – damals hatte der Senat die Zuständigkeit für die Straßenbeleuchtung den einzelnen Bezirken genommen und dort zentralisiert –, daß „grundsätzlich die Erhaltung der Gasbeleuchtung“ geplant sei. Im selben Jahr gab die öffentlichen Verwaltung die Wartung und Instandhaltung der Straßenbeleuchtung aus der Hand und übertrug sie privaten Firmen, Firmen wie Nuon und Vattenfall, also Stromkonzernen. Den seitdem zwischen ihnen herrschenden Rechtssteit um diesen offenbar doch sehr lukrativen Auftrag können wir hier nur erwähnen, müssen ihn aber ansonsten aus Zeitgründen beiseite lassen (siehe 3. Kommentar/Teil 2). Jedenfalls fingen sie sogleich an, massiv die komplette Ersetzung der Gaslaternen durch elektrische zu fordern – kein Wunder, wollen sie doch Strom verkaufen. Die eben erwähnte grüne Stadträtin aus Mitte machte alsbald eine Kehrtwende und schloß sich dieser Forderung vehement an. Erste Pläne des damaligen SPD-Links-Senats, diesen Forderungen der Stromkonzerne nachzugeben, wurden 2005 bekannt. Es folgte dann 2007 der Beschluß zur „Umrüstung“ (auf diesen Begriff müssen wir gleich unbedingt noch zurückkommen!), nachdem die Gasbeleuchtung in den vier Jahren davor erst umfassend saniert und z.B. mit neuester Zündtechnik versehen worden war. Diesen Beschluß bestätigte im November letzten Jahres „aus klimatischen Gründen wie auch wegen der Kostenentwicklung“, wie es im Koalitionsvertrag von SPD und CDU heißt, der neue Senat und begann im Juli diesen Jahres mit der Umsetzung: Bis 2020 sollen 95 % der Gasleuchten beseitigt werden, und zwar zunächst fast vollständig die 8400 Reihenleuchten (230 sollen nach den augenblicklichen Plänen gasbetrieben weiterbestehen) und ab 2016 die restlichen Lampentypen. Daß es dem neuen Senat bei der Umsetzung dieser Absicht gar nicht schnell genug gehen kann, werden wir später anhand einer Kleinen Anfrage noch sehen.

So weit also diese kleine Geschichte des Umgangs der Politik – also der SPD, CDU, Linken und Grünen Partei – mit den Gasleuchten. Die in ihr erkennbare Widersprüchlichkeit mutet natürlich etwas merkwürdig an – aber vielleicht lag es ja nicht am Drängen der Stromkonzerne, sondern sind den Verantwortlichen neue Erkenntnisse gekommen. Daher werden wir nach dem folgenden Lied aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert auf ihre Argumente schauen.                              

Peter Schreier mit  Gewandhausorchester und Thomanerchor Leipzig: „Der Mond ist aufgegangen“, Strophe 1 und 3
 
 
Die Gaslaternen und das Geld

 
Wie man in der Koalitionsvereinbarung von SPD und CDU vom November 2011 nachlesen kann, sind es also zwei Gründe, die gegen die Gasbeleuchtung sprechen: Kosten und Klima.
Sehen wir also zuerst auf die Kosten; dabei geht es um laufende Unterhalts- und Betriebskosten sowie die Kosten der „Umrüstung“. Halt, hier kommt schon wieder der Begriff „Umrüstung“ vor! Er klingt so, als würden die Laternen vom Gasnetz getrennt und stattdessen eine elektrische Leitung eingezogen plus Wechsel von Glühstrümpfen auf … - worauf, das müssen wir später noch klären, jedenfalls irgendetwas Elektrisches. Bloß: es klingt nur so, aber es ist nicht so, denn solch eine Umrüstung ist aus technischen Gründen eigentlich gar nicht möglich. Würde man das nämlich so machen, müßte man auch irgendwo in den Mast eine Wartungsklappe einbauen,  und schon würde Luft in den Mast gelangen und er alsbald von innen zu rosten anfangen. Bei Gaslaternen kann das nicht passieren, weil der Hohlraum vollständig gasgefüllt ist und kein Platz für Sauerstoff bleibt. Das ist übrigens auch der Grund, warum die gußeisernen Masten von Gaslaternen 80 bis 100 Jahre und länger halten, die Masten von elektrischen Lampen jedoch nur eine Lebensdauer von 30 bis 40 Jahre haben (ihre Leuchtköpfe – also oben die Laterne –, die auch ausgewechselt werden müßte, gar nur 20 Jahre). Es wäre also ehrlicher, von „austauschen“ statt von „umrüsten“ zu sprechen. Und da wir ehrlich sein wollen, …

Machen wir also weiter mit den Kosten für den Austausch der Gaslaternen durch elektrische:
Der Senat gibt an, daß der Austausch der 8400 Reihenleuchten durch das elektrische Modell „Jessica“ etwa 30 Mio. € kosten wird. Wir können diese Angaben nicht überprüfen – aber gibt es überhaupt öffentliche Baumaßnahmen, die später den anfänglich von den Politikern genannten Kostenumfang nicht überschreiten? Die Reihenleuchten machen allerdings nur 20 % aller 44.000 städtischen Gasleuchten aus. Seit 2005 gibt es keine neuen offiziellen Zahlen, was deren Gesamtbeseitigung kosten soll. Folglich müssen wir uns mit einer Hochrechnung behelfen, und dabei kommen wir auf die Summe von fast 150 Mio. €. Kritiker gehen sogar von Gesamtkosten von 250 Mio. € und mehr aus.
                                                         
Die tatsächliche Höhe der Investitionen zu kennen ist natürlich die eine Voraussetzung, um die Dauer der Amortisation zu bestimmen. Aber es liegen keine verläßlichen Zahlen des Senats vor. Die andere Voraussetzung zur Bestimmung der Amortisationsdauer ist, genau festzustellen, welche Ersparnisse mit dem Austausch erzielt werden können.

Unstrittig ist, daß Wartung und Energiekosten bei Gasbetrieb teurer sind. Laut Senat sollen bei den 8400 Reihenleuchten Kosten von 2 ½ Mio. € für Energie eingespart werden. Hinzu käme eine Verringerung der Wartungskosten in nicht näher genannter Höhe. Wenn sich die Investitionskosten, wie der Senat behauptet, tatsächlich in 9 Jahren amortisieren würden, hieße das, daß bei den Reihenleuchten eine jährlich Gesamtersparnis von gut 3 Mio. € erzielt würde. Bei dieser Senatsrechnung ist nicht nachvollziehbar, daß die Rückerstattung von Mineralölsteuer, immerhin jährlich über 1 Mio. €,  nicht auftaucht, denn der Einsatz von Erdgas für Straßenbeleuchtung ist steuerbefreit. Allerdings hat die Landesregierung es mehrere Jahre einfach versäumt, diese Steuer zurückzufordern, so daß der damalige Anspruch verjährt und das Geld verloren ist.

Und selbst wenn die Kritiker die Senatsangaben bezüglich Investitionskosten und jährlicher Ersparnis als richtig unterstellen würden, könnten sie der Folgerung, nämlich Amortisation in neun Jahren, nicht zustimmen. Denn in der Senatsrechnung bleibt die Verzinsung außer Betracht und erst recht die Tatsache, daß der Vertragspartner des Senats, die Fa. Vattenfall, Ende August Strompreissteigerungen von bis zu 30 % bis 2020 angekündigt hat. Außerdem fehlt der wichtige Gesichtspunkt der Haltbarkeit: Wie erwähnt, halten Strommasten nur etwa 1/3 so lang wie Gasmasten; und die Lebensdauer der elektrischen Leuchtköpfe wäre nach 9 Jahren sogar fast zur Hälfte abgelaufen, und sie müßten in absehbarer Zeit ausgetauscht werden. Außerdem sind Ersatzteile  für Gastechnik billiger herzustellen und zu entsorgen als für Elektrotechnik. Auch das müßte in die Kostenrechnung einfließen. Und dann fehlt noch ein weiterer wichtiger Punkt: Die Leuchte „Jessica“, die die 8400 Gasreihenleuchten ersetzen soll, ist mit Leuchtstoffröhren bestückt, und die werden bald veraltet sein, mit der Folge, daß neue Investitionen z.B. für LED fällig wären – ein gutes Geschäft für den Produzenten Selux und zusätzliche Kosten für den Steuerzahler, die sich an anderer Stelle im Alltag bemerkbar machen werden.
Und zum Schluß soll wenigstens noch ein Hinweis  auf den augenblicklichen Investitionsbedarf bei existierenden, aber maroden Elektroleuchten gegeben werden: nur als erster Schritt könnten hier bereits 20 Mio. € nötig sein; für die bereits bestellten „Jessica“-Leuchten wäre hier ein Einsatzort. Überdies könnten die 30 Mio. € für den Austausch der Reihenleuchten schon deshalb nicht ausreichen, weil EU-Normen vorschreiben, daß Elektroleuchten näher zusammenstehen müssen als Gasleuchten, was rechnerisch 1,3 von ihnen je ausgetauschter Gasleuchte bedeutet. Aber auch dies ist, wie alles zuvor, umstritten und würde, falls es zutrifft, die Kosten des augenblicklich laufenden  Austauschs allein schon um 9 Mio. € erhöhen. –  
Hierzu paßt die herzzerreißende Musik aus Charlie Chaplins Film „Limelight“ von 1952, der Entstehungszeit der Gasreihenleuchten:

„Limelight“


 Wenn man nun abschließend noch einmal auf die vom Senat aufgemachte und so widersprüchliche Rechnung schaut, fragt man sich unwillkürlich: Hat dieses Bundesland, von dem der oberste politische Repräsentant (SPD) öffentlich und unwidersprochen feststellt, daß es arm ist – hat dieses Bundesland mit Haushaltsnotlage wirklich Geld dafür übrig, ein funktionierendes Beleuchtungssystem zu beseitigen und durch ein anderes zu ersetzen, das vielleicht 150 Mio. € Steuergelder – so der Senat – oder 250 Mio. € und mehr – so die Befürchtung der Kritiker – kostet? Und gibt es hierzulande nicht schon genug finanzielle Baustellen?  Es sei nur erinnert an die U 5, die teuerste U-Bahn Deutschlands, deren verkehrspolitischer Nutzen bis heute umstritten ist – 150 Mio. € für das Land; oder man denke an die Verlängerung der A 100, die teuerste Autobahn Deutschlands, um wenige Minuten Fahrzeit zu sparen, die der genannte oberste Landesvertreter nur mit unverhohlenen Drohungen gegen seine eigene Partei durchsetzen konnte – 50 Mio. € Kosten für das Land; und natürlich den neuen Flughafen, der unter der persönlichen Aufsicht des schon erwähnten höchsten politischen Repräsentanten des Landes jetzt für die Steuerzahler um mindestens 444 Mio. € teurer geworden ist.

Aber vielleicht müssen die Gaslaternen ja deshalb unbedingt beseitigt werden, weil der zweite im Koalitionsvertrag angegebene Grund – der Klimaschutz – die alles überragenden Gründe dafür liefert? Wir kommen gleich dazu, nachdem wir hier erst noch

Eine politische Folgerung

gezogen haben:
Es sollte bis hierher verdeutlicht werden, wie problematisch die vom Senat vorgelegten Berechnungen sind und daß es mit einer einfachen Gegenüberstellung von Betriebskosten Gas gegen Betriebskosten Elektrizität bei weitem nicht getan ist. Daher ist es um so wichtiger, daß die bereits angelaufene Beseitigung der Reihenleuchten angehalten wird, damit Senat und Kritiker vor der Öffentlichkeit ihre Argumente austauschen und zu einer gemeinsamen Lösung finden. Dies ist auch das Ziel einer Petition, die bis zu ihrem Abschluß Mitte September von 20.800 Menschen unterschrieben wurde und die persönlich in Empfang zu nehmen der Regierende Bürgermeister Wowereit immer noch nicht bereit war; die Zahl der Unterschriften hätte übrigens für den Antrag auf ein Volksbegehren gereicht.  Die Kernforderungen der Petition sind der sofortige Abrißstop sowie die gemeinsame Erarbeitung eines „Masterplans Gaslicht", welcher verbindlich festlegt, in welchen Straßen bzw. Gebieten Berlins gasbetriebene Laternen dauerhaft erhalten werden. Die Petition wurde neben dem Förderverein Gaslicht-Kultur von zahlreichen Organisationen sowie Prominenten unterstützt, darunter dem europäischen Denkmalschutz-Verbund  Europa Nostra, dem Denkmalausschuß der Baukammer, der Deutschen Stiftung Denkmalschutz, dem Verein „Denk mal an Berlin", dem Heimatverein Charlottenburg und dem Schauspieler Ilja Richter, der sich Ende Oktober zusammen mit vielen Kollegen engagiert für den Erhalt der Gaslaternen eingesetzt
hat.                                                                                                           

Kommen wir also jetzt zum zweiten Punkt, der dem Senat Grund dafür ist, die meisten Gaslaternen beseitigen zu wollen:

Die Gaslaternen und das Klima

  
Die Sache ist völlig klar: Die 8.400 Gasreihenleuchten stoßen nach Berechnung des Senats jährlich 9.200 t CO2  aus, alle Gasleuchten zusammen 43.000 t. Das sind 0,17 % des jährlichen CO2-Gesamtausstoßes von 25 Mio. t im Land Berlin. Dieser Betrag klingt nach relativ wenig. Das soll aber keineswegs als Hinweis verstanden werden, deshalb sei er fast nicht der Rede wert und somit eigentlich vernachlässigbar. Dasselbe gilt auch für die anschauliche Umrechnung, daß der stündliche Ausstoß einer brennenden Gasleuchte 200 g beträgt und damit dem entspricht, was im Durchschnitt jeder Pkw bei jedem gefahrenen Kilometer emittiert – woraus wir eben nicht die wahrscheinlich polemisch anmutende Forderung ableiten, die Landesregierung und die Bezirksverwaltungen sollten ihre Fuhrparks und deren Einsatz drastisch reduzieren. Aber wir wollen doch wenigstens daran erinnern, daß dieser Senat aus SPD und CDU alles daran setzt, den neuen Flughafen und die Verlängerung der A 100 zu bauen – beides Maßnahmen, die nicht nur sehr viele Steuergelder kosten, wie wir eben aufgezeigt haben, sondern auch Quellen eines sehr hohen CO2-Ausstoßes sind. Es sei daher die Frage gestellt: Wieso verfolgt der Senat im Osten derart klimabelastende Ziele? Soll vielleicht mit dem Abbau der Gasbeleuchtung im Westen eine Art Ausgleich geschaffen werden – sozusagen das Gegenstück zu Ersatzpflanzungen für gefällte Bäume?

Zurück zum  CO2 : Aus elektrischen Leuchten entweicht keins, das stimmt. Aber das tut es stattdessen aus den Kraftwerken, in denen die dafür nötige Elektrizität hergestellt wird, z.B. in Jänschwalde, zwischen Cottbus und Forst kurz vor der polnischen Grenze gelegen, von Vattenfall betrieben – also demjenigen Stromkonzern, der nicht nur den Strom für die Berliner Straßenbeleuchtung liefert, sondern vom Senat auch mit der Betreuung der Straßenlaternen, ob strom- oder gasbetrieben, beauftragt ist. Das Kraftwerk Jänschwalde gibt in etwa genausoviel CO2 in die Luft ab wie das ganze Land Berlin, nämlich Jahr für Jahr 23 Mio. t . Es liegt damit in der EU auf Platz 3 der Luftverschmutzer und nimmt weltweit immerhin den 7. Platz ein. Zudem verbreitet es u.a. auch noch Quecksilber, das eingeatmet stark toxisch wirkt.

Außerdem wird bei der Herstellung der neuen Straßenleuchten auch CO2 in die Luft emittiert, und zwar in erheblichem Maße,weil sie aus Aluminium bestehen, zu dessen Herstellung viel Energie gebraucht wird mit entsprechender Umweltbelastung. Dito die Leuchtköpfe. Und die Bauarbeiten: An- und Abtransport der Laternen sowie Baggerarbeiten in den 2750 Straßen mit Gaslaternen – man geht davon aus, daß je Mast drei Baugruben notwendig sind; stillgelegte Gasleitungen müssen laut Gesetz sofort gänzlich entfernt werden.

Es zeigt sich also auch hier rasch, wie ein solch einfacher Vergleich nach Art der Landesregierung zur Milchmädchenrechnung wird und mehr verwirrt als Klarheit schafft. Übrigens sollte noch erwähnt werden, daß die für „Jessica“ vorgesehenen Leuchtstoffröhren ebenfalls Quecksilber enthalten, wie das bei allen EU-weit durchgesetzten Sparlampen bekanntlich der Fall ist.                                                         

Lale Andersen (1939): „Lili Marleen“



Es bleibt noch ein Umstand aus dem Bereich der Ökologie nachzutragen, der zu einer erbitterten Auseinandersetzung zwischen Emissions-Ökologen und Fauna-Ökologen geführt hat: Elektrische Leuchten sind ein Insektenvernichter par excellence, wie man gut sehen kann, wenn man sich schlecht gewartete Elektrolampen von unten anschaut, auf deren durchsichtigem Lampenschutz sich die toten Insekten nur so häufen, wobei Nacht für Nacht durchschnittlich 150 hinzukommen. Das liegt an dem UV-Anteil im Spektrum dieser Lampen, das von den Insekten wahrgenommen wird und sie anlockt, und Leuchtstoffröhren haben nun einmal einen starken UV-Anteil. (Das Licht von Gaslaternen enthält hingegen keinen.) Diese Insekten sind teils Nutztiere, weil sie Schädlinge vertilgen oder Blüten bestäuben, teils dienen sie als Nahrung für Vögel, Fledermäuse und auch Spinnen, und ihr Rückgang wird seit Jahren im Bereich des Singvogelbestandes zunehmend spürbar.                                                                           

Was wir bisher am Konzept der Landesregierung zum Argument Klimaschutz anzumerken hatten, unterstreicht unserer Ansicht nach erneut die dringende Forderung, sofort den Abriß der Reihenleuchten zu unterbrechen und sich gemeinsam an den Tisch zu setzen in dem Sinn, wie es die Petition vorschlägt: um einen „Masterplan“ auszuarbeiten, der von der Bevölkerung getragen wird, der die Verschleuderung von Steuergeldern vermeidet und der ein sinnvoller Beitrag zum Klimaschutz ist und nicht in den Verdacht von „Greenwashing“ gerät.

Im übrigen hat es trotz der vielen schon genannten Bedenken gegen die Senatspläne damit noch lange nicht sein Bewenden, denn es fehlen noch

Gesichtspunkte, die jenseits von Geld und Klima liegen

  
Da wäre die Farbwiedergabe unter Lampenlicht. Gaslaternen haben einen Farbwiedergabeindex von 100 %, was heißt, die Farben erscheinen so wie im Tageslicht. Das kann herkömmliches elektrisches Licht bei weitem nicht leisten. Freunde des Gaslichts neigen daher dazu, von seinem warmen Schein zu schwärmen.
LED-Leuchten könnten dies wohl auch, aber noch sind sie deutlich teurer als herkömmliche Elektroleuchten und kommen daher aus finanziellen Erwägungen nicht infrage (deshalb auch die vom Hersteller geförderte Senatsidee, „Jessica“ erst einmal mit Leuchtstoffröhren zu bestücken). Allerdings es gibt noch keine Langzeitstudien, die bestätigen, daß LED-Leuchten wirklich fünf bis zehn und mehr Jahre im Dauerbetrieb bestehen. (Es sei hier nachgetragen, daß man andererseits schon weiß, daß bei ihrer Produktion sehr viel CO2 entsteht.)

Daß viele Menschen am Gaslicht festhalten möchten, hat natürlich auch etwas mit ihrer positiven Einstellung zur Vergangenheit zu tun. Immerhin ist Gaslicht das erste helle Licht, das den Menschen rund um die Uhr zur Verfügung stand, und es spielte daher eine bedeutende Rolle bei der Umgestaltung der Welt in der Zeit der Industrialisierung.

Gaslaternen werden aus all diesen Gründen von einer Vielzahl von Menschen gemocht, was sich nicht nur in den über 20.000 Unterschriften unter die Petition ausdrückt, sondern sich auch in Umfragen von Tagesspiegel und Berliner Woche zeigte, wo sich 80 bzw. 90 % der Teilnehmer für deren Erhalt aussprach. Es gibt jedoch etliche, die sagen: „Ja, die Schinkelleuchten, die möchte ich auf alle Fälle behalten, aber die Reihenleuchten mit ihren Peitschenmasten – die sind häßlich, die können ruhig weg.“
Leider ist das zu kurz gegriffen und fördert sogar unabsichtlich den Abriß der anderen Leuchtentypen. Denn die Landesregierung will insgesamt 5 % der Gasleuchten, etwa 2.000, nur dort erhalten, wo ein „Ensemble“ als erhaltenswert angesehen wird. Die Betonung liegt auf „Ensemble“ - das heißt nämlich Anwesenheit aller vier Typen. Wenn nun der eine Typ, die Reihenleuchte, bis auf 230 beseitigt ist, gibt es vielerorts eben keine „Ensemble“ mehr, und die anderen Gaslaternen samt der sog. „Schinkelleuchte“ folgen notwendigerweise den Reihenleuchten in die Verschrottung. Deshalb können Gaslaternen in nennenswerter Zahl nur gerettet werden, wenn man von Anfang an Nein sagt und öffentliche Gespräche fordert.

Dabei stehen übrigens die hiesigen Gaslaternenfreunde nicht allein: in Düsseldorf, Dresden und Frankfurt setzen sich ebenfalls Menschen für „ihr“ Gaslicht ein, das ihnen von der jeweiligen Stadtverwaltung ohne viel Federlesens über ihre Köpfe hinweg weggenommen werden soll.
Und im übrigen, was die Reihenleuchten betrifft: „Jessica“ ist ebenfalls an einem Peitschenmast befestigt und sieht im Prinzip wie ihr Gasvorgänger aus.

Hazy Osterwald Sextett (1961): „Kriminal-Tango“



Die hiesige Stadtverwaltung versucht offenbar, den Widerstand der Bürger auf deren Kosten zu unterlaufen, wie erst am 8. Oktober eine örtliche Zeitung aufdeckte. Hören Sie dazu die szenische Darstellung einer eigentlich schriftlichen Kleinen Anfrage eines SPD-Abgeordneten im Abgeordnetenhaus vom 4. September 2012; es antwortet der Staatssekretär Gaebler (ebenfalls SPD), die Redeerlaubnis erteilt die Frau Vizepräsidentin, und so ergibt sich

Ein kleiner Blick auf die unsichtbaren Geschäfte der Landesregierung

Vizepräsidentin: Bitte schön, Herr Kollege!
MdA: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:
Erhalten die den Abriss der Gasleuchten und Aufbau der Elektroleuchten ausführenden Firmen Bonuszahlungen für besondere Arbeitsleistungen, z.B. das Arbeitstempo und vorzeitige Fertigstellung oder die Flammenzahl der abgebauten Reihenleuchten betreffend?
Wenn ja, in welcher Form und Höhe? Von welchen Leistungen abhängig?
Staatssekretär Gaebler:
Um möglichst frühzeitig Energieeinsparungen und damit Kostenreduzierungen für das Land Berlin zu erreichen, war in der Ausschreibung für die Umrüstung von 6.500 Gasreihenleuchten ein Anreizsystem Bestandteil, wonach das mit der Umrüstung beauftragte Unternehmen 3 € je Flamme der umgerüsteten Gasreihenleuchte für jeden Monat der Fertigstellung, also maximal 36 € je Flamme und Jahr erhält. Die darüber hinaus gehenden Energiekosten spart das Land Berlin.


Das heißt auf deutsch: Bei Erledigung der Abrißarbeiten um ein Jahr rascher als vereinbart ist der Senat bereit, 3 € x durchschnittlich 6 Flammen je Reihenleuchte x 12 Monate = 216 € je Leuchte als Bonus zusätzlich zu zahlen, was bei 6.500 Leuchten (so viel sind zur Zeit in Abrißarbeit) weitere 1,4 Mio. € Abrißkosten bedeuten kann, gezahlt aus den Steuergeldern der Bürger, die in ihrer Mehrheit für den Erhalt der Gasstraßenbeleuchtung sind! Kein Wunder, daß die Landesregierung diesen Coup nicht an die große Glocke gehängt und folglich in ihren bisherigen Erklärungen verheimlicht hat.

Was bringt Politiker dazu, so mit ihrem Volk zu verfahren? Zwei Punkte sind uns dabei aufgefallen, die uns zu denken geben:
Da ist zum einen der schon lang andauernde Kampf zwischen Strom- und Gaskonzernen um den Energiemarkt. Strom liegt da in der öffentlichen Diskussion weit vorn, man denke nur an die Propagierung der E-Autos, obwohl Erdgasfahrzeuge weiter entwickelt und preiswerter sind. Oder: Die Gewobag z.B. entfernt bei den jetzt laufenden Sanierungen in Charlottenburg Gasherde zugunsten von E-Herden (das ist dann nämlich wegen der neuen Steigleitungen  eine Modernisierung, und kann auf ewig auf die Mieten aufgeschlagen werden). Weiter: Die Landesregierung hat ihrem Stromlieferanten, wie schon erwähnt, die Betreuung der Gaslaternen aufgetragen, was man in einem Sprichwort auch „den Bock zum Gärtner machen“ nennt. Und schließlich:  Die Gasag – als ein Beispiel – ist überwiegend in den Händen von Stromkonzernen: 36 % Eon, 32 % Vattenfall, die restlichen 32 % liegen bei der Gaz de France. Konzerne übernehmen gern mal die Konkurrenz, um ihr das Licht auszudrehen, um im Bilde zu bleiben.

Zum zweiten Punkt, der uns stutzig macht, müssen wir noch einmal ins Abgeordnetenhaus zur Fragestunde zurück:


Ein kleiner Blick auf die unsichtbaren Geschäfte der Landesregierung, Teil 2

Vizepräsidentin: Bitte schön, Herr Kollege!
MdA: Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich frage den Senat:
War Prof. Peter M. jemals in beratender Funktion für den Berliner Senat tätig? Wenn ja: in welcher Zeit und in welchem Bereich? Wie bewertet der Senat die Tatsache, dass Herr Peter M. in seiner Zeit als Senatsberater gleichzeitig stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Firma S. war?
Staatssekretär Gaebler: Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass Herr Prof. M. jemals in beratender Funktion für den Berliner Senat im Bereich der öffentlichen Beleuchtung tätig war.

 
Zum Verständnis für unsere Zuhörer hier eine Erklärung der Abkürzungen: Es geht um Prof. Dr. Peter Marx, von dem es heißt, er sei 2008 sogenannter „externer Berater“ der Landesregierung in Sachen Straßenbeleuchtung gewesen – und gleichzeitig stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der Fa. Selux (früher Semperlux), also des Berliner Leuchtenunternehmens, das jene „Jessica“ herstellt und im Auftrag des Senats mit ihr die Gasreihenleuchten ersetzt (vgl. Kommentar 36).

Das ist starker Tobak, daher sind wir zum Ausgleich die nächsten zweieinhalb Minuten an „Mallorca Party TV“ angeschlossen, um dann zum Schluß zu kommen.

"Ich geh mit meiner Laterne"



Schlußbemerkung


Die Beschäftigung mit den Gasstraßenlaternen hat dem Verfasser geholfen, die Schönheit ihres Lichtes noch besser zu sehen ebenso wie den besonderen Reiz von ganzen Straßenzügen mit Gasleuchten – so wie es der Maler René Magritte oder der Fotograf Brassaï in ihren Werken eingefangen haben. Bei dieser Beschäftigung wurde ihm auch immer deutlicher, wie wenig stichhaltig die Geld- und Klimaargumente der Landesregierung sind, wenn man sie genauer ins Licht rückt und sie außerdem in einen Zusammenhang mit den anderen Regierungsaktivitäten stellt, wo Geld und Klimaschutz überhaupt kein Problem zu sein scheinen. Um möglichst viele Gaslaternen zu retten, erscheint es ihm daher wichtig, den Protest schon jetzt laut werden zu lassen und dabei Vereine wie Gaslicht Kultur und Denk mal an Berlin sowie Pro Gaslicht zu unterstützen, die einen sofortigen Stop des Abrisses der Reihenleuchten fordern, damit endlich in aller Öffentlichkeit ein umfassendes Konzept für das Kulturerbe Gaslicht erarbeitet werden kann, das die Wünsche der Bevölkerung widerspiegelt.

 

MichaelR

MichaelR - Gastautoren, Politik - 15. November 2012 - 00:04
Tags: ///



sechs Kommentare

Nr. 1, NEU, 20.11.2012 - 23:17
Gaslichtfreunde,

hier könnt ihr den ausgezeichneten radiobeitrag – incl.den musikstücken –

original nachhören
http://gaslicht-ist-berlin.de/

viel vergnügen
Nr. 2, Betrifft: Berlin - Das Magazin!, 25.11.2012 - 18:20
Das Feature wurde auch in die Schweiz und nach Östereeich übertragen. Sie finden die Sendung dort im Archiv unter
http://bit.ly/GLroed1
In Anschluss an die Sendung konnte ich auch den Autoren, Herrn Michael Roeder, per Telefon dort in der Sendung begrüßen. Ausschnitte aus der Diskussion finden Sie unter
http://bit.ly/GLroed2
Nr. 3, Kiez-Web-Team, 13.12.2012 - 22:59
Die Sendung ist nun auch auf unseren Radio-Seiten verfügbar.

http://radio.klausenerplatz-kiez.de/inde..

Viel Vergnügen.
Nr. 4, Petr, 08.01.2013 - 16:23
Hallo Herr Gaebler,
jetzt verstehe ich Sie! Sie wussten also schon längst von der erneuten Verschiebung des Größtflughafens und da haben Sie gerechnet: Jeder Monat Verzögerung kostet mind. 15 Mio extra, der Abriss aller Gaslaternen bringt eine Ersparnis von mind. 15 Mio im Jahr (hat mir der Prof. Marx von der Jessica ausgerechnet). Da habe ich ja schon mal den Januar 2013 raus! Fehlen nur noch 165 Mio für den Rest des Jahres (und die mind. 150 Mio für den Abriss der Laternen). Sparen wir halt noch anderswo am Steuerzahler (oder : Steuererhöhungen?!) – Ja, Herr Gaebler, Sie und Ihre SPD: Die Bauwirtschaft wird Ihnen danken dafür dass Sie so gut funktionieren.
Nr. 5, MichaelR, 02.02.2013 - 08:08
"PROTEST war erfolgreich!" Unter dieser Überschrift berichtet Gaslicht-Kultur über eine Aktion am 1. Februar in der Holtzendorfstraße:

"Der um 7.25 Uhr angekommene Mitarbeiter der für den Abriss zuständigen Firma RAKW zog eine Stunde später unverrichteter Dinge wieder ab.

Er entfernte unter unserer Beobachtung lediglich etwas Pflaster und führte Messungen durch. Nach mehrmaligem Telefonieren pflasterte er die Stelle wieder zu, sammelte die Parkverbotsschilder ein und erklärte uns, wir könnten gehen, da hier erst einmal keine weiteren Bauarbeiten stattfinden würden. Trotzdem waren wir in wechselnder Besetzung weiter vor Ort, es wurde aber tatsächlich auch später nicht gebaut.

Herzlichen Dank an alle, die sich am heutigen Protest beteiligt haben!"
Nr. 6, Gaslampe, 20.02.2013 - 16:14
Gaslicht-Kultur berichtet am 20. Februar:

"Der Gaslaternen-Abriss am Amtsgericht geht weiter – und damit auch der Protest:

Morgen, Donnerstag, 21.2. 10.00 Uhr
Holtzendorffstraße Ecke Leonhardtstraße, Bürgersteig vor dem Amtsgericht

Leider haben wir die Abrissarbeiten heute nicht aufhalten können. Die Polizei war vor Ort – u.a. um Autos von Anwohnern abzuschleppen, die teilweise nicht einmal im Parkverbot standen!

Wir werden nun für morgen, 10.00 Uhr, offiziell eine Demonstration anmelden.

Bitte kommen Sie zahlreich, bringen Sie Pfeifen und Rasseln mit und lassen Sie uns auf diese Weise eindrucksvoll zeigen, dass wir den Gaslaternenabriss nicht hinnehmen!

PS: Noch einmal zur Information: Der Geschäftsführer der Abrissfirma RAKW befindet sich in UNTERSUCHUNGSHAFT – wegen KORRUPTIONSVERDACHTS am Flughafen BER. Trotzdem reißen sie fleißig weiter Gaslaternen ab…
Mehr Informationen: http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1..

ein Trackback

Feature zum Berliner Gaslicht
Es war am Montag, 19. November 2012, von 20 bis 21 Uhr. Michael Roeder spannt in seinem sehr interessanten Feature zur Rettung der Berliner Gas-Straßenbeleuchtung einen Bogen von Johann Wolfgang Goethe bis in die Gegenwart. Zahlen – Fakten …
Am 25.11.2012 - 18:27 , via Gaslicht ist Berlin!

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