Straßen und Plätze: Blissestraße 36 – Savoy-Filmtheater
An der Außenwand des Edeka-Geschäfts in der Blissestraße 36 sind mehrere Wechselrahmen für Werbung angeschraubt. In einem davon steckt ein Plakat, das auf einen Film im nahegelegenen Eva-Kino hinweist. Man könnte auch sagen: Hier unterstützt ein ehemaliges Kino ein noch existierendes.
1945 gab es auf der Blissestraße gegenüber der Einmündung der Hildegardstraße eine vier Häuser lange Kriegslücke. 1957 baute Herr Lehmann sen. dort ein Kino, das Savoy, das zunächst isoliert da stand.
Das Savoy gehörte damals mit seinen 651 Plätzen zu den größten Kinos Westberlins. Es gehörte auch zu den modernsten, da es mit Cinemascope ausgestattet war und ein Raumklang-System hatte mit Lautsprechern auf allen vier Seiten. Kassenknüller waren Monumental- und Sandalenfilme wie Quo vadis?, Das Gewand, Die zehn Gebote und Ben Hur, der Leinwandnackedeifilm Liane, das Mädchen aus dem Urwald und natürlich Die Brücke am Kwai (mit diesem unsäglich schneidigen River-Kwai-Marsch, auch als Klingelton erhältlich).
Das Savoy zeigte allerdings nur sieben (1) Jahre lang Filme, von 1957 bis 1964. Dann erwies es sich als unrentabel, und Herr Lehmann sen. konzentrierte sich auf seine weiteren Kinos in Zehlendorf, darunter das Capitol. Seitdem werden im einstigen Kino Lebensmittel verkauft, zunächst unter dem Namen Reichelt, jetzt Edeka.
Heute sieht dieses Stück Straße sehr anders aus: Das Haus rechts vom ehemaligen Kino entstand 1960, das links 1965, allerdings zunächst nur dreigeschossig. Es wurde – zusammen mit dem früheren Kino – 1995 aufgestockt. Dadurch erklären sich auch die vier der Fassade vorgelagerten Stützen am Edeka: die Decke des Kinosaals hätte die zusätzliche Last von drei Stockwerken nicht tragen können (2). Hinter den Fenstern zwischen den mittleren Stützen im ersten Stock war der Vorführraum, links und rechts davon Aufenthaltsräume und Toiletten. An der Rückseite des Edeka-Verkaufsraums (oder vom Hof aus) kann man noch die Abschlußwand des Saals erkennen – leicht konvex gebogen wie die Leinwand damals, um die Breitwandfilme unverzerrt zeigen zu können.
MichaelR
Sehr herzlichen Dank an Herrn Lehmann jun., Herrn Eggert und Hajo E. für ihre Informationen und Fotos (1957), ohne die dieser Artikel nicht hätte entstehen können!
(1) Aus den Mietverträgen ergibt sich, daß das Kino am 1.12.1964 in einen Supermarkt umgewandelt wurde (im Gegensatz zu der Angabe bei Allekinos.com, wonach das Savoy bis 1966 bestanden haben soll).
(2) Diese Konstruktion, bei der auf der Außenseite angelegte Stützen die oberen Geschosse tragen, erinnert an Umgebindehäuser, wie man sie vorzugsweise noch in der Oberlausitz findet.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 11. August 2013 - 19:20
Tags: kino/plätze/stadtgeschichte/straßen
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Das "Eva" ist ja eines der letzten unabhängigen Kinos in Berlin. Also immer empfehlenswert, zumal es in einer netten Fahrradnähe zum Kiez liegt und auch nicht so teuer ist.