Straßen und Plätze: Blissestraße 18 – Eva-Lichtspiele
Zum 100. Geburtstag des Kinos in der Blissestraße am 15. Juni 2013
Der Name der Straße, die vom Ortskern des alten Wilmersdorf Richtung Süden nach Steglitz führt, ist in den letzten 150 Jahren mehr als ein halbes Dutzend geändert worden: Im 19. Jahrhundert hieß sie Steglitzer Weg. Seit etwa 1880 nannte man sie im nördlichsten Abschnitt Steglitzer Straße und im weiteren Verlauf Grüner Weg (gelegentlich wegen ihrer Lage an der Grenze zwischen Wilmersdorf und Friedenau auch Grenzstraße). 1888 erhielt der Wilmersdorfer Abschnitt zwischen Berliner Straße und Ringbahn den Namen Augustastraße nach Prinzessin Augusta von Sachsen-Weimar-Eisenach (1811-1890), der Frau
Die Anfänge des Eva-Kinos
An dieser Straße (damals Augustastraße 7) wurde 1913 eines dieser Wohnhäuser gebaut , dessen Erdgeschoß von Anfang an für die Zwecke eines Kinos eingerichtet war. Zunächst hieß das Kino „Roland-Lichtspiele“; in den frühen 1920er Jahren wurde es vom damaligen Betreiber nach seiner Frau in „Eva-Lichtspiele“ umbenannt und heißt rund 90 Jahren später immer noch so.
Zur Zeit des Baus dieses Kinos war die weltweit erste Filmvorführung – 1895 in Paris oder Berlin (man diskutiert die Frage noch) – gar nicht einmal so lange her. Außerdem hatten erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts die Filmvorführungen begonnen, von einer Jahrmarktsattraktion zu einem Bestandteil der Alltagsunterhaltung zu werden, was seit 1905 zu einem regelrechten Lichtspielgründungsfieber führte, so daß man im Jahr 1913, als dieses Kino entstand, im Einzugsbereich des späteren Groß-Berlin bereits 206 zählte, die ebenfalls meist im Erdgeschoß von Wohnhäusern lagen und daher eher klein mit ihren 100 bis 200 Plätzen waren. Das Eva gehörte damals zu den ersten Kinos in Wilmersdorf, heutzutage ist es eines der ältesten noch bespielten in ganz Berlin. (1)
Nicht
nur die schiere Zahl von Kinos deutet schon darauf hin, wie groß die
Konkurrenz unter ihnen war (so warben im Jahr 1927 in Wilmersdorf 17 von
ihnen um Zuschauer), sondern es kamen auch immer wieder Neuerungen
hinzu, die den kleinen Kinos das Überleben schwermachten: Dazu gehörte
der Bau von „Kinopalästen“ - Gebäude, die nur der Filmvorführung
dienten. Nahe dem Eva war es das „Atrium“ mit seinen ca. 2.000 Plätzen
(2), das 1927 im südöstlichen Winkel der Kreuzung von Berliner Straße
und Bundesallee (damals Kaiserallee) entstand (1943 zerstört). Im Jahr
darauf kam der Tonfilm auf, aber das Eva wurde schon sehr früh, Anfang
der 1930er Jahre, dafür umgerüstet. (Bis dahin hatte seit 1921 ein
Violinist für die musikalische Untermalung gesorgt, seit 1925 sogar ein
ganzes Orchester.)
Die bisher neun Kinobetreiber waren immer wieder um Anpassung an den jeweils neusten Stand von Geschmack und Technik bemüht, ohne daß dabei glücklicherweise alle Spuren der Vergangenheit getilgt wurden. Daher ist die Ausstattung aus den 1950er Jahren noch erhalten, von der der Neonschriftzug an der Hauswand und der Wolkenvorhang vor der Leinwand besonders ins Auge fallen und einen Reiz
dieses Kinos ausmachen. 1992 wurde das alte Holzgestühl durch bequemere Sitze ersetzt, was gleichzeitig zu einer Reduzierung der Plätze von 330 auf jetzt 250 führte. Seit 2011 werden die Filme digital vorgeführt, wodurch sich die Rolle des Vorführers völlig verändert hat: Statt während der Aufführung den Projektor zu bedienen und die Rollen auszuwechseln, wird jetzt das gesamte Filmmaterial (Werbung, Vorschauen, Hauptfilm – alles aus ästhetischen Gründen jeweils durch einige Sekunden Schwarzfilm voneinander getrennt) in aufwendiger Arbeit elektronisch zusammengestellt und auf einer Festplatte gespeichert, von der aus dann die Vorführung stattfindet.
Eva heute
Karlheinz Opitz leitet seit Ende 2006 das Eva. Es war ein langer Weg dorthin, der ihn im Laufe von 23 Jahren, angefangen beim Kartenabreißer, alle Anforderungen, die ein Kino stellt, kennenlernen ließ. Aber auch wenn er jetzt zum Kinobetreiber aufgestiegen ist, geht es bei einem solch kleinen Kino gar nicht anders, als daß er trotzdem sämtliche anfallenden Aufgaben selbst übernehmen muß: Kartenabreißer, Kasse und Verkauf, Vorführer, Geschäftsführer, künstlerischer Leiter, Pressestelle, Putzkraft. Möglich ist ihm das nur, weil er auch aus seiner Familie Unterstützung erhält.
Neben dem umfassenden persönlichen Einsatz braucht es auch ein Konzept. Karlheinz Opitz hat sich dafür entschieden, seinen Besuchern, die vor allem aus dem Viertel kommen, von allem etwas zu bieten, ohne dabei ein gewisses Niveau zu unterschreiten, was bedeutet, daß beispielsweise Action- und Fantasyfilme selten im Eva zu sehen sind. Stattdessen bietet er jeden Mittwoch einen Film aus der Zeit vor 1945 im Rahmen der Serie „Der alte deutsche Film“ und jeden Sonntag eine Matinee, in der vorwiegend aktuelle Dokumentarfilme zu sehen sind. Neu hinzugekommen ist seit kurzem ein „Kino-Brunch“ jeweils am dritten Sonntag im Monat. Außerdem werden nach Voranmeldung vormittags für Kindergärten und Schulen Filme gezeigt; Spätvorstellungen gibt es nicht. Ein besonderer Höhepunkt im Kinoleben des Eva war, daß es 2010 und 2011 jeweils einen Tag lang Berlinalekino war („Berlinale Goes Kiez“ lautete der Slogan). Aber das ist nicht der Alltag.
Zum Alltag gehört
vielmehr, daß in den Zeiten der Vorherrschaft von Kinoketten und
Kinocentern die Beschaffung der neusten Filmen für kleine Kinos sehr
problematisch ist. Karlheinz Opitz muß so früh wie möglich auf der
Grundlage von Vorschauen und Besprechungen ordern, wobei die erwähnte
Konkurrenz praktisch immer bevorzugt beliefert wird, weil viele Verleihe
einen neuen Film nicht zu breit streuen wollen, um in wenigen Kinos
höhere Besucherzahlen zu erzielen. So kommt das Eva oft erst mit
Verspätung an Filme. Karlheinz Opitz bleibt unter diesen Umständen nur
der Wunsch an die Kinogänger: nicht nur loben, daß sich solch ein
kleines Kino gehalten hat, sondern auch tatsächlich reingehen, um es
mitzuerhalten!
MichaelR
Wir danken den Eva-Lichtspielen (Bild 2 bis 6) und dem Museum Charlottenburg-Wilmersdorf (Bild 1) herzlich für die Überlassung der Fotos!
(1) Ebenso alt oder älter sind in der näheren Umgebung u.a. das Kino am Bundesplatz (1913), das Kant-Kino (1912), das Xenon in Schöneberg (1909) und als das älteste das Moviemento in Kreuzberg (1907).
(2) Zum Vergleich: das Delphi verfügt über knapp 800 Sitze.
Zum Eva-Kino:
allekinos: Eva-Lichtspiele
Berlin audiovisuell: „100 Jahre Eva-Lichtspiele“
rbb AKTUELL (15.6., 21.45): „100 Jahre Eva-Lichtspiele“
Zum Weiterlesen:
Berliner Film-Blog des BAF: „Aldi tilgt Schmargendorfer Kinogeschichte“
Filmportal: „Das Kino als Erfahrungsraum. Diesseits der Leinwand - Filmgeschichte als Kinogeschichte“
Kinokompendium: Geschlossene Kinos
Hans Helmut Prinzler, Vorwort „Kinogeschichten“ zu: Volker Noth, Kinos. Berlin um die Ecke und Entdeckungen unterwegs, Berlin 2006
Arne Sildatke, „Vom Rummelplatz in die Innenstadt – Zur Formation einer Kunstform am Beispiel der Filmpaläste der 1920er Jahre“
Zum Ende eines traditionsreichen Charlottenburger Kinos: „Die Kurbel: "Vom Winde verweht"....“
Zur Geschichte eines früheren Kinos (Filmbühne Mali) am Charlottenburger Klausenerplatz: „Ein Kiez in den Zeiten“
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 30. Juni 2013 - 17:32
Tags: charlottenburg/kino/plätze/stadtgeschichte/straßen/wilmersdorf
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Habe ein Video vom Kino gefunden – noch mit dem schönen ratternden Projektor.
http://www.youtube.com/watch?v=Agy31bBjE..