Straßen und Plätze: Die fünf Charlottenburger Plätze des Kurfürstendamms (2)
Der erste Teil ist hier nachzulesen.
Joachimstaler Platz
Der vierte Platz ist der Joachimstaler Platz. Er wurde 1936 (5) nach dem Joachimsthalschen Gymnasium benannt, das von 1880 bis 1912 nahebei in der Bundesallee 1-12 untergebracht war. Seit den 1990er Jahren sollte der Platz umgestaltet werden, aber es fehlte am Geld. Das kam dann 2002 in Höhe von 512.000 € von der Grothe Immobilien Projektierungs KG, die just dabei war, das gegenüberliegende Neue Ku‘damm-Eck zu bauen. Der Wettbewerb zur Neugestaltung des Platzes führte allerdings, da kein Vorschlag die Jury wirklich überzeugte, nur zu einem Entwurf mit einem 2. Preis der dann doch zur Ausführung gelangte.
Die Berliner Morgenpost vom 31.5.2002 (6) stellte bei Baubeginn fest:
„Täglich überqueren tausende Passanten den Joachimstaler Platz. Doch …
lädt das Areal am Kurfürstendamm nicht dazu ein, sich länger dort
aufzuhalten.“ Hat sich das durch den Umbau geändert? Immerhin gibt es
jetzt dort 2 Bänke zwischen 4 Platanen, doch auch sie können nicht viel
dagegen ausrichten, daß dies weiterhin ein Ort des
Fußgängerdurchgangsverkehrs ist mit einem U-Bahnzugang, dem der Platz
als oberste Treppenstufe dient.
Weiter schrieb die Zeitung über den Boden des Platzes, daß ihn „bald grün-leuchtende Gehwegplatten zieren sollen. ‚Dadurch entsteht der Eindruck eines gartenähnlichen Bereiches‘“, meinte damals der Gewinner des 2. Preises, ein Gartenarchitekt. Herausgekommen sind ca. 6 cm breite grüne Streifen an den Kanten mancher Wegplatten in unregelmäßigem Muster, mit Mühe auszumachen, von Gartenähnlichkeit keine Spur. Im übrigen auch keine Spur von einem Straßenschild, das den Vorbeieilenden mitteilt, daß sie gerade den Joachimstaler Platz überqueren (also noch Gelegenheit für einen Spender, auch hier ein Schmuckschild aufzustellen). Was freilich nicht fehlt, ist eine Wall-Toilette. Es bleiben noch die Verkehrskanzel, 1955 als Ensemble mit Kiosk, Toilettenab- und U-Bahnzugang errichtet und bis 1959 in Benutzung, und ein 27 m hoher „Pendelobelisk“, ebenfalls vom Bauunternehmer von gegenüber (pendelt nicht – mehr? –, wenn man anleitungsgemäß die 3 Meter große Kugel unter dem Obelisken anstößt).
Der Platz hat wenig Aufenthaltswert, es sei, man wartet auf einen Bus. Und wie schon vor dem Umbau herrscht dort weiterhin „der Lärm der vorbeirauschenden Autos“ (Berliner Morgenpost).
Am Ende (7) des Boulevards liegt der Breitscheidplatz. Nach mehreren Namensänderungen heißt er seit 1947 nach dem 1944 im KZ Buchenwald ermordeten SPD-Politiker Rudolf Breitscheid.
Der Platz hat neben den
verschiedenen Änderungen seines Namens auch verschiedene Veränderungen
seines Aussehens erfahren: um 1960 wurden er und seine Umgebung völlig
umgestaltet: dabei entstanden auf der Westseite das Schimmelpfenghaus
(mit der Überbauung der Kantstraße; 2009 wieder abgerissen) bei
gleichzeitiger Beseitigung des Kreisverkehrs an dieser Stelle; außerdem
die Neubauten beiderseits der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirchenruine und
auf der Ostseite das Europa-Center. Die davor liegende Hälfte des
Kreisverkehrs wurde 1978 geschlossen, so daß es jetzt einen
durchgehenden Fußgängerbereich gab. Die nächste völlige Umgestaltung des
Platzes folgte 1982-84 (dabei Schaffung des „Weltkugelbrunnens“), die
bislang letzte völlige Umgestaltung 2005-6 (für 3,2 Mio. €, auch hier
von den umliegenden Bauherren aufgebracht – und auch hier verschweigen
die Annalen die dabei erzielte Steuerersparnis). Das städtebauliche
Ergebnis beschreibt das
„offizielle Hauptstadtportal“ mithilfe des Kunsthistorikers Arnt
Cobbers so: „Die Architektur des Breitscheidplatzes [bleibt] beliebig,
fast provisorisch.“ Und jetzt steht schon wieder eine völlige
Umgestaltung an, wie der rbb am 1. November berichtete, selbstverständlich unter der
Fragestellung „Was ist gut für den Umsatz?“ Der gern hilfreiche
Baustadtrat (SPD) versteht das nur zu gut und kündigt schon mal an
(Berliner Zeitung, 9.11.2013, S. 18), daß man die erneuten Veränderungen
„jetzt in aller Ruhe mit den Anrainern besprechen“ müsse – kein Kenner
seines Politikverständnisses wird bezweifeln, daß als Gesprächspartner
nur die umliegenden Unternehmer infrage kommen (8).
Bei Gelegenheit der letzten völligen Umgestaltung von 2006 eröffnete die Wall AG das 0,75 Mio. € teure modernste WC des Landes, finanziert durch Werberechte (siehe Anmerkung 3) und von dankbaren Usern schwärmerisch „Klo-Palast“ genannt (9). Zu erwähnen wären an Platzmöblierung noch ein 118 m hohes Gebäude mit Luxushotel („Zoofenster“, anstelle des Schimmelpfenghauses), dem bald ein weiteres von gleicher Höhe folgen soll, eine Anzahl Platanen im östlichen Teil des Platzes, zum Teil mit Rundbänken versehen, verschiedene billige Holzbuden mit Touristenbedarf auf den kircheneigenen Stufen der Gotteshäuser, zwecks Füllung des Kirchensäckels, und viel leere Fläche – mit einzelnen putzigen Plastiken aufgemöbelt – für vorübereilende Passanten und Schausteller mit Zuschauern.
Aufenthaltsqualität
Wenn
man sich an den neun Nutzungstypen von Plätzen gemäß Wikipedia orientiert, bleibt für die
hier vorgestellten fünf Plätze als Typ nur übrig „Gartenplatz, der
hauptsächlich von Fußgängern frequentiert wird“, so schwer das einem
auch fallen mag, insbesondere wenn man beispielsweise den Rüdesheimer
Platz, ja selbst den Klausenerplatz zum Vergleich heranzieht. Gärten
sind auf diesen fünf Plätzen nicht einmal andeutungsweise zu finden, nur
Steinflächen in verschiedener Ausführung und dazu eine Anzahl Bäume. Da
der Straßenverkehr jeweils direkt neben diesen
Plätzen stattfindet, sind sie zwar keine Verkehrsplätze im klassischen
Sinn, aber von diesem Verkehr allesamt stark betroffen. Denkbar wäre da
natürlich, den Kurfürstendamm zur Fußgängerzone umzugestalten, aber das
wäre vielleicht nicht so gut für den Umsatz und würde wohl auch nicht
helfen, hier auf Weltniveau zu kommen. So bleibt es also dabei, daß
diese Plätze im besten Fall Anlaufstellen für Touristen sind, die sich
vom beschwerlichen Geschäft des Kudammbummels erholen
(Café) bzw. sich erleichtern (City Toilette) möchten. Dafür geben
anliegende Immobilienbesitzer gern Geld, besonders wenn es in nicht
unerheblichem Umfang wohltuend die Steuerlast mindern wird und sie so
die Kosten letztlich auf die Allgemeinheit abwälzen können. Dasselbe
macht der Senat, dem das Anlocken von Touristen mithilfe von
Steuergeldern eine deutlich wichtigeres Anliegen ist als daß in den
Wohnvierteln die öffentlichen Grünanlagen nicht herunterkommen, deren
Pflege man folglich dem Ehrenamt der Anwohner überläßt
(10). Aber da der Senat den Bezirk derart kurz hält, daß für diesen
sogar an dieser prominenten Stelle die öffentliche Grünpflege nicht
„bezahlbar“ ist, läßt das Bezirksamt halt Steinwüsten entwerfen, die
„nachhaltig“ pflegeleicht sind – und damit wären wir wieder am Anfang
der fünf Charlottenburger Plätze des Kurfürstendamms und der Leitidee
bei ihrer Gestaltung.
MichaelR
(5) „Der Platz war bis dahin unbenannt“, heißt es bei Kauperts, was vielleicht daran lag, daß er eigentlich keiner ist, sondern ein Ausläufer der gegenüberliegenden Augsburger Straße, wie es die durchgehende Häuserflucht nahelegt.
(6) über Suchmaschine zu finden unter: Morgenpost Joachimstaler Platz: Facelifting hat begonnen
(7) Bis 1925, als der Teil ab Breitscheidplatz in Budapester Straße umbenannt wurde, endete der Kurfürstendamm am Landwehrkanal.
(8) Und die haben laut Berliner Woche (Ausgabe Wilmersdorf-Ost) vom 6.11.13 schon klare Vorstellungen, was für sie gut ist: Die erst vor 7 Jahren angepflanzten Bäume müssen weg, damit „das Bikinihaus besser vom Tauentzien aus sichtbar (ist). Das Europa-Center möchte sich größer zum Platz öffnen … . Veranstaltungen auf dem Platz sollen … eine höhere Qualität bekommen. Die Buden rund um die Gedächtniskirche sollen verschwinden.“
(9) Der Tagesspiegel (8.5.2006) war bei der Eröffnung schwer begeistert: „mit Meereswellen-Projektionsfläche und Technik-Showroom – eine Touristenattraktion“; damals leuchtete in den Pissoirbecken „ein Golfloch mit Flagge“.
(10) Hier nachzulesen am Beispiel von Köln, wie ehrenamtliche, also kostenlose Grünpflege (und vieles mehr) eine wichtige Rolle im Kalkül von Städten und Staat spielt, um viel Geld für Großprojekte zu haben und doch gleichzeitig die Stadt irgendwie am Leben zu erhalten.
MichaelR - Gastautoren, Politik - 13. November 2013 - 00:24
Tags: charlottenburg/plätze/stadtgeschichte/straßen/wilmersdorf
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auf Anregung der Stadt Joachimsthal soll der Schreibfehler in der Bezeichnung der Joachimstaler Straße behoben werden – das würde dann auch für den Platz gelten. Eine Fraktion hat da noch Beratungsbedarf angemeldet…