Wie soll es mit den Bezirksbibliotheken weitergehen? – Teil 8
Alle Parteien wollen ein Bibliotheksgesetz – aber Büchervernichtung als bibliothekarisches Prinzip geht trotzdem weiterEben noch, in der Sitzung der BVV vom 16.1.2014, wurde gegen die Stimmen der CDU endlich beschlossen (Drucksache 0803/4):
„Das Bezirksamt wird aufgefordert, keine Zentralisierung der Bibliothekslandschaft im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf vorzunehmen“,
wodurch 2 ½ Bibliotheken des Bezirks vorerst gerettet wurden (siehe „Haken 4“). (Allerdings hatte es Monate gedauert, bis sich SPD und Grüne Partei intern zu diesem Beschluß durchrangen; die interessierte Öffentlichkeit konnte fast nur danebensitzen und warten.)
Und schon einen Monat später legt dieselbe CDU der BVV am 20.2.2014 einen Antrag vor, in dem ein Bibliotheksgesetz gefordert wird (Drucksache 0832/4), mit dem sie nun plötzlich den Bibliotheken „Bestandsschutz“ verschaffen will. Ob die schon seit zwei Jahren erhobenen Forderungen aus den Reihen der Benutzer (siehe hier und hier) bei allen Rathausparteien nunmehr auf offene Ohren gestoßen sind?
Denn nur eine Woche später plädieren jetzt gleich alle fünf BVV-Parteien im „Thema des Monats März 2014“ für solch ein Bibliotheksgesetz (1), das freilich das Abgeordnetenhaus zu beschließen hätte. Vorher wäre noch die jetzige Büchereistadträtin als Hindernis zu überwinden, denn ihre längliche Antwort auf eine entsprechende Einwohnerfrage (Januar 2014, 9. Einwohnerfrage, zu 2.), die nach Politikerart eine offene Antwort vermissen läßt, läuft darauf hinaus, daß weder sie noch ihr Vorgänger dafür Ideen und Umsetzungspläne entwickelt haben. Funktionieren ist alles.
Und das Abgeordnetenhaus also?
Am 11.12.2007
legte die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ dem Bundestag ihren
Schlußbericht vor. Dort heißt es auf Seite 132:
„Die Enquete-Kommission empfiehlt den Ländern, Aufgaben und Finanzierung der öffentlichen Bibliotheken in Bibliotheksgesetzen zu regeln. Öffentliche Bibliotheken sollen keine freiwillige Aufgabe sein, sondern eine Pflichtaufgabe werden.“
Auch der Deutsche Bibliotheksverband unterstützt diese Forderung.
Die Umsetzung
im Lande Berlin scheiterte 2009 jedoch bereits im Kulturausschuß an SPD, Linkspartei und
CDU. Der damalige Antrag stammte von der Grünen Partei.
Man sieht schon: Die Bibliotheksnutzer, also wir,
werden von den Parteien möglichst draußen vor gelassen, innerhalb der
Parteien streiten sich die verschiedenen Ebenen untereinander, und die
oberste Ebene (der Senat), nach dessen Pfeife unsere Volksvertreter zu
tanzen pflegen, ist eh nur bereit, Geld auszugeben, wenn es etwas
Großartiges ist (Flughafen, Staatsoper, Stadtautobahn, U-Bahn, Schloß
oder z.B): eine pompöse Zentral- und Landesbibliothek (2). Da wird es
vom „Thema des Monats“ bis zur Umsetzung noch ein langer Weg mit viel
Druck auf ihre regierenden Parteifreunde sein – oder hat man etwa doch
vor, dabei die Benutzer „mitzunehmen“? (Dazu ein Vorschlag weiter
unten.)
Wirre Büchervernichtung
Zusätzlich deutet der CDU-Beitrag zum „Thema des Monats“ dankenswerterweise ein anderes Problem der Bibliotheken an, das jedenfalls sofort hier vor Ort angegangen werden kann und muß: den Niedergang der „Qualität“ der Bibliotheken, der in dem Beitrag allerdings als eine „zwingende“ Folge der Kosten-Leistungs-Rechnung (KLR) gesehen wird. Das scheint mir, was das „zwingend“ betrifft, jedoch zu kurz gegriffen: Um als Bibliotheksverwaltung bei der Ideologie der „modernen Gebrauchs- und Verbrauchsbibliothek“ (Stadträtin König, 9. Einwohnerfrage, zu 3.) zu landen und diese auch durchzusetzen, muß man schon sehr unterwerfungsbereit sein. Ein Beispiel zeigt deutlich die daraus resultierende Kopflosigkeit zum Schaden unserer Bibliotheken:
Von dem wichtigen Buch zur Wilmersdorfer Geschichte, Bleib übrig. Ende und Anfang. Berlin-Wilmersdorf im Jahr 1945, gab es bis Juni 2013 zwei Exemplare in der Wilmersdorfer Hauptbibliothek in der Brandenburgischen Straße. Dann wurde eins weggeworfen wegen sog. „Nichtnutzung“; das zweite folgte im September, weil es angeblich „nicht mehr repariert werden konnte“ (Januar 2014, 1. Einwohnerfrage, zu 1.). Damit hat die Bibliotheksverwaltung mit der Anwendung ihrer „modernen Gebrauchs- und Verbrauchsbibliothek“ aktiv und wissentlich dazu beigetragen, daß ein eh schon rares Buch so rar wurde, daß es „in keiner öffentlichen Bibliothek Berlins außer im Magazin der ZLB“ mehr zu finden ist (Februar 2014, 9. Einwohnerfrage, zu 3.). Jetzt wird wenigstens nach einem „Ersatzexemplar“ gesucht; wäre allerdings nicht nötig gewesen, wenn die beiden Exemplare nicht vernichtet worden wären. Wie wahnhaft muß man sein, um so etwas zustandezubringen?
Jetzt
ist in derselben Bibliothek der Verlust eines
weiteren Standardwerk zu beklagen, in dem über anderthalb Jahrhunderte
Berliner Verkehrsgeschichte dargestellt werden: Winfried
Wolf, Weltstadt ohne Auto? Verkehrsgeschichte 1848 bis 2015 (394
Seiten). Im gesamten Bezirk existiert kein einziges Exemplar mehr (nur
noch in Pankow, Lichtenberg und ZLB). Wird dieses geschichtlich
wertvolle Buch nun hoffentlich auch ersetzt? Und wann wird endlich das
ebenfalls weggeworfene Buch Berlin-Wilmersdorf: die Jahre
1920 bis 1945 aus dem dunklen Magazin im Rathaus Charlottenburg
herausgeholt und dort hingestellt, wohin es hingehört: ins lichte Regal
der Bücherei am U-Bahnhof Blissestraße – ganz nach dem einleuchtenden
Grundsatz der Bibliotheksstadträtin:
„... bin ich der Auffassung, dass in jeder Bibliothek Literatur vorhanden sein muss, die sich mit dem jeweiligen Kiez beschäftigt"
(Januar 2014, 9. Einwohnerfrage, zu 3.)
Dabei würde man gleich auch noch ein Argument des dortigen
Bibliotheksleiters, das er jetzt aber plötzlich nicht mehr gelten
lassen will, umsetzen: daß es für die Benutzer wichtig sei, wenn die
Büchern sichtbar aufgestellt sind (oder gilt das nur für bezirkliche
Zentralbibliotheken ?).
Schlußfolgerung
Kurz
gesagt: So gut es ist, daß die Bezirkszentralbibliothek verhindert
wurde; so wichtig es ist, ein Bibliotheksgesetz zu erreichen; so
dringend ist es, der augenblicklichen Wegwerfkultur der
Bibliotheksverwaltung und ihrer Stadträtin umgehend ein Ende zu setzen.
Es muß sofort wieder ein sachgerechter Umgangs mit den den Bibliotheken
anvertrauten Büchern üblich werden und Schluß sein mit der schon seit
Jahren eingerissenen Praxis, die sehr an „gemeinschädliche
Sachbeschädigung“ gemahnt, die gem. § 304 StGB die/der begeht, die/der
„Gegenstände, welchen zum öffentlichen Nutzen dienen“, beschädigt (und
erst recht wegwirft); normalerweise drohen dafür bis zu fünf Jahre
Gefängnis.
Vorschlag
Zum Schluß der oben angekündigte Vorschlag:
Bibliotheken
sind bekanntlich für die Benutzer da, nicht für die
Bibliotheksverwaltung und ihre Vorstellung von Benutzern. Dennoch hat
die augenblickliche Bibliotheksstadträtin König (CDU) Gespräche mit den
Benutzern abgelehnt unter dem Vorwand, daß die „Auswahl der Befragten
zufällig und nicht repräsentativ wäre“
(Februar 2014, 9. Einwohnerfrage, zu 2.). Allerdings habe ich 1. von offenen Gesprächen und nicht von gesteuerten Befragungen gesprochen, und 2. gibt es im sog.
„Ökokiez 2020“ am Klausenerplatz schon länger eine Bürgerveranstaltung
zur dortigen Verkehrslage, genannt „Verkehrswerkstatt
Klausenerplatz-Kiez“, wo interessierte Bürger mit der Verwaltung (=
Baustadtrat Schulte (SPD)) diskutieren und ihre Forderungen öffentlich
stellen: Wann wird in unserem Bezirk endlich auch eine
„Bibliothekswerkstatt“ eingerichtet?
MichaelR
(1) Durch das Gesetz würde anerkannt, daß Bibliotheken Bildungseinrichtungen sind und somit zu den staatliche Pflichtaufgaben gehören, weswegen ihnen ausreichend Finanzmittel und genügend Personal zur Verfügung gestellt werden müßte. Die Ausführungen der Parteien machen jedoch schon deutlich, daß danach unter ihnen der Kampf wieder weitergehen wird: wieviel Bibliotheken und ob nicht doch eine glänzende bezirkliche Zentralbibliothek oder weiterhin mehrere Bibliotheken, die auch soziale Begegnungsorte im Stadtteil sind. Die Bürger sollen da natürlich wieder einmal ausgeschlossen bleiben, wenn es nach Bibliotheksstadträtin König (CDU) geht, die in ihrer Antwort zu 2. bei der 9. Einwohnerfrage im Februar 2014 zu Gesprächen mit den Benutzern verkündet: „Das Bezirksamt hat dies bisher noch nicht getan und beabsichtigt dies auch nicht.“
(2) Dabei scheuen sich die Regierungspolitiker überhaupt nicht, das Volk bei der Kostenfrage wieder einmal in abgebrühter Weise reinlegen zu wollen, wie der Tagesspiegel am 20.2.2014 aufgedeckte: statt behaupteter nur 270 Mio. können es durchaus auch 380 Mio. (und am Ende sicher noch ein Stück mehr, dafür aber eine „K.-Wowereit-Gedenkbibliothek“?) werden..
MichaelR - Gastautoren, Politik - 16. März 2014 - 00:02
Tags: bezirksbibliothek/bibliothek/bildung
sechs Kommentare
Nr. 2, joachim neu, 16.03.2014 - 21:27 Die Stadträtin Elfi Jantzen vergißt zahlreiche schulbibliotheken: In der anlage zur einwohnerfrage nr. 16, fehlen folgende schulbibliotheken: Heinz-Galinski grd.schule, evang.grd.sch. Wilmersdorf, Gottfried-Keller gymnasium, Finow grd.schule, Friedensburgoberschule, OSZ Recht, OSZ Kfz Technik, OSZ Ruth-Cohn und besonders peinlich: es fehlt der schulbibliotheksgewinner Berlins 2013, die Halensee Grd.schule http://schulbibliotheken-berlin-brandenb.. Diese alle sind mitglieder im berliner schulbibliotheksverband: http://schulbibliotheken-berlin-brandenb.. Hier die erweiterte position der PIRATEN zum bibliotheksgesetz: http://piratenpartei-charlottenburg-wilm.. Kiezbibliothek versus Zentralbibliothek: auf die kommentare kommt es an: gegen den größenwahn http://www.tagesspiegel.de/berlin/gastbe.. |
Nr. 3, MR, 18.03.2014 - 18:44 Der hier erschienene Kommentar gehört zu einem anderen Beitrag und wurde entsprechend verschoben nach: http://blog.klausenerplatz-kiez.de/archi.. |
Nr. 4, Siegfried Schlosser, 19.03.2014 - 08:49 jetzt weiß ich auch, warum die Tagesordnung erste jetzt veröffentlich ist: sie stand bisher nicht fest… ich selbst habe die gestern per Post bekommen. |
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s. der neue anhang zur frage 16
http://www.berlin.de/ba-charlottenburg-w..
Wozu noch Bibliotheken ?
http://www.swr.de/swr2/programm/sendunge..