Der Bürger, die Gedenktafel und die Behörde
Über die Mär von den allerorts geheimen Gedenktafelkommissionen (GTK)
Langandauernde ungute Erfahrungen mit Teilen der hiesigen Bezirkspolitiker bei dem Versuch, eine Gedenktafel für einen ermordeten 17jährigen Deserteur in Wilmersdorf zu initiieren, haben mich auf die Idee gebracht, elf Odysseen durch die Verwaltung der übrigen elf Bezirken zu unternehmen auf der Suche nach einer Antwort auf die Frage:
Tagt Ihre Gedenktafelkommission öffentlich?
Denn allzu gern beruft man sich hierzulande darauf, daß es die anderen doch auch nichtöffentlich machen. So hieß es jedenfalls, als die Drucksache 0779/4 „Gedenktafelkommission“ im Februar 2014 zur Abstimmung stand, nachdem sie zuvor im Kulturausschuß von der Mehrheit der BVV stark beschnitten worden war, wie man im Vergleich zwischen dem ursprünglichen Antrag (siehe rechts oben den Link „Antrag“) und dem Ergebnis erkennen kann: Es blieb man gerade mal die öffentliche Ankündigung von Sitzungstermin und Tagesordnung übrig – und das allerdings auch nur in der Theorie.
Denn für die Umsetzung in die Praxis wurde vom Büro der Vorsteherin eine erfrischend bürgerfeindliche Lösung gefunden: beides wird nur wenige Tage vor der Sitzung veröffentlicht, fernab vom üblichen Sitzungskalender (1), und nach der Sitzung sogleich wieder spurlos beseitigt. So kann man behaupten, dem Buchstaben des BVV-Beschlusses Genüge getan zu haben.
Politisch nicht nachvollziehbar, daß bislang nicht eine einzige der fünf auf Bürgernähe bedachten
BVV-Parteien dagegen eingeschritten ist.
„Tagt Ihre Gedenktafelkommission öffentlich?“
Die erste Überraschung bei der Umfrage: nicht alle Bezirke haben eine GTK; das betrifft Neukölln, Spandau, Steglitz-Zehlendorf, Tempelhof-Schöneberg (2), Treptow-Köpenick (3) und Reinickendorf (4). Bürger, die hier eine Gedenktafel errichten möchten, wenden sich zunächst an einen Verordneten oder eine Partei, damit diese ihr Anliegen aufnehmen. Der weitere Weg geht dann wie üblich über den Kulturausschuß und die BVV. Da diese beiden Gremien grundsätzlich öffentlich tagen, heißt in diesen sechs Bezirken die Antwort: Ja, es besteht Öffentlichkeit; außerdem gibt es im Kulturausschuß ein gewisses Rederecht für anwesende Bürger/Antragsteller.
Die zweite Überraschung: in vier der restlichen fünf Bezirken, die GTKen haben, ergab die Nachfrage, daß deren Sitzungen „selbstverständlich öffentlich“ sind, und zwar in Lichtenberg, Marzahn-Hellersdorf und Mitte; in Friedrichshain-Kreuzberg werden sie es ab sofort ebenfalls sein, jedoch wurden bisher die Antragsteller „immer eingeladen“.
Letzteres gilt auch für den Bezirk Pankow. Allerdings tagt die dortige GTK nichtöffentlich, obwohl ihre Geschäftsordnung keine Bestimmung enthält, durch die die Öffentlichkeit ausgeschlossen wird.
Fazit: In zehn der elf anderen Bezirke ist die Beschäftigung mit Gedenktafeln öffentlich, sei es im Rahmen von GTKen, sei es im Kulturausschuß und in der BVV. Es bleibt Pankow als Ausnahme, wo aber zumindest die Antragsteller immer einbezogen werden.
Charlottenburg-Wilmersdorf ist ganz anders
In unserem Bezirk ist das ganz anders: nicht nur tagt die GTK nichtöffentlich, sondern sie hat seit ihrer Neukonstituierung im Oktober 2011 in geschlagenen 2 ¾ Jahren nicht einen einzigen Antragsteller eingeladen, selbst dann nicht, wenn diese das wünschen. Ganz offenbar hat die Mehrheit dieser GTK als landesweit einzige es noch nie „für erforderlich [!] (gehalten)“, „eine Erörterung mit (Antragstellern) stattfinden“ zu lassen (Zitat: siehe Anm. 1)!
Warum lassen die fünf BVV-Parteien in unserem Bezirk – CDU, SPD, Grüne, Piraten- und Linkspartei –
solche selbstherrlichen Zustände zu, die in den elf anderen Bezirken mit verbalem Kopfschütteln
kommentiert werden? Wann sorgen sie endlich für ein bürgernahes Verhalten ihrer Vertreter in der GTK?
Endlich auch Öffentlichkeit unserer GTK!
Am 21. März war bei „openantrag“ der Piratenpartei ein erneuter Antrag auf Öffentlichkeit in der GTK eingegangen, der von Siegfried Schlosser übernommen wurde. Dem Vernehmen nach heiße das allerdings noch nicht, daß der Antrag auch tatsächlich in die BVV eingebracht werde. Nach den oben vorgestellten Rechercheergebnissen kann der Grund für solche Zurückhaltung jedenfalls nicht mehr die Sorge sein, daß er scheitern könnte, weil doch überall anderswo auch geheim getagt werde – im Gegenteil! Die Gelegenheit ist also für alle Rathausparteien günstig, um zu zeigen, wie bürgernah sie sind.
Daher für diejenigen Verordneten und deren Fraktionen, die dem Antrag beitreten oder ihn selbst stellen möchten, um diesen politisch beschämenden und bürgerschaftliches Engagement verhindernden Zustand in unserem Bezirk endlich zu beenden, hier der Wortlaut des Antrags samt Begründung:
„Die BVV möge beschließen: Die Sitzungen der Gedenktafelkommission sind öffentlich. Die Protokolle der Gedenktafelkommission werden veröffentlicht. Die Antragsteller werden außerdem zu jeder Sitzung, in der ihr Anliegen behandelt wird, eingeladen. Der Beschluß der BVV vom 20.2.2014 (DS 0779/4) wird in der Weise umgesetzt, daß die Termine der Gedenktafelkommission im „Sitzungskalender“ veröffentlicht werden
Begründung: Die Tatsache, daß seit November 2013 eine eigene Seite der Gedenktafelkommission besteht, auf der u.a. die Namen der Mitglieder genannt werden, und daß seit Februar 2014 die Sitzungstermine (momentan noch auf einer gesonderten Seite) und die Tagesordnung veröffentlicht werden, zeigt, daß die jahrelange Geheimhaltungspraxis nicht gerechtfertigt war. Das gilt auch für die immer noch offenen Punkte, die in diesem Antrag geregelt werden: Denn Gedenktafeln richten sich an die Öffentlichkeit. Deshalb ist es nicht nur widersinnig, die Öffentlichkeit, speziell die Antragsteller, von ihrer Entstehung auszuschließen; vielmehr ist es dringend notwendig, die Öffentlichkeit von Anfang an einzubeziehen, da sie es ja ist, die letztlich gedenken soll.“
MichaelR
(1) Interessierte können das hier verfolgen, z.B. in den Tagen vor der nächsten Sitzung, die wohl am 21. August stattfindet, was aber nach dem Willen der Vorsitzenden vorerst noch geheim bleiben soll:
Frage: „Steht diese Gedenktafel tatsächlich im August zur Beratung an, und wann genau ist diese Sitzung?“
Antwort: „Soweit es die Gedenktafelkommission für erforderlich hält, wird eine Erörterung mit Ihnen stattfinden. Im Übrigen werde ich in der Zukunft auf inquisitorische Fragen nicht antworten.“ (2. Einwohnerfrage/zu 2.)
(2) Hier ist eine geplant; daneben gibt es seit einem Jahr eine „Kunstkommission“, die sich mit Kunst im öffentlichen Raum befaßt und nichtöffentlich tagt.
(3) Die dortige „AG Denkmalkultur“ beschäftigt sich hingegen mit der Gestaltung von Gedenkanlässen im allgemeinen; sie tagt nichtöffentlich, lädt aber immer ein, wenn dies gewünscht wird. In diesem Bezirk ist die Errichtung einer Gedenktafel auf öffentlichem Gelände auch möglich durch einen Antrag auf Sondernutzung beim Tiefbauamt; gegebenenfalls ist der Kulturausschuß beim Formulieren des Textes behilflich.
(4) Dort besteht ein bezirksamtinterner „Arbeitskreis Kunst und Gedenken“, der sich aus Fachleuten mehrerer Ämter (keine Politiker) zusammensetzt und dessen Sitzungen nichtöffentlich sind.
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 19. Juli 2014 - 19:24
Tags: gedenken/gedenktafel/kriegsende/nationalsozialismus
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Das ist doch wohl alles hochgradig lächerlich! Aber wir haben ja schon lange den Eindruck, dass in Charlottenburg-Wilmersdorf der schlimmste und resistenteste Filz in ganz Berlin vor sich wabert und regiert. Siehe auch den "Ökokiez", der ja ebenfalls ganz im Geheimen zu agieren scheint.