Unabhängigkeit der Seniorenvertretung vorerst gewahrt?
Es sieht in letzter Zeit so aus, als ob die Unabhängigkeit der Seniorenvertretung im Parteiengestrüpp hängenbleiben und gewissen Partialinteressen geopfert werden soll. Das Bezirksamt hat erst einmal dabei nicht mitgespielt, aber die Angelegenheit ist noch lange nicht ausgestanden. Dieser urdemokratische Vorgang lief bisher so ab:
Am 16. Mai hatte die Seniorenvertretung eine Pressemitteilung unter dem Titel „Oeynhausen, eine Kleingarten-Oase der Senioren mit ihren Familien!“ herausgegeben, in der sie dazu aufrief, den Bürgerentscheid zur vollständigen Rettung der Kleingartenkolonie Oeynhausen zu unterstützen, da von den 436 Parzellen 67% von Senioren bewirtschaftet werden:
„Eine Bebauung ist nicht nur umweltfeindlich, sondern sie nimmt auch den Senioren ihr Hobby, die Gartenarbeit in Luft und Sonne, die ihre Gesundheit fördert.“
Natürlich ließ diese Aufforderung manche nicht ruhen. Einer von ihnen stellte auf der BVV-Sitzung vom 22. Mai – drei Tage vor dem Bürgerentscheid – eine mündliche Anfrage, in der er einleitend darauf hinwies, daß die Seniorenvertretung „unabhängig und parteipolitisch neutral“ zu sein habe. Wahrscheinlich war dem fragenden Volksvertreter gar nicht bewußt, daß für die Bürger einschließlich der Senioren – im Gegensatz zu ihm als Parteipolitiker – der Erhalt der Kleingartenkolonie eine essentielle und keine „parteipolitische“ Frage ist. Und genausowenig schien dem Frager bewußt zu sein, daß er dabei war, die ihm eben noch als Argument dienende Unabhängigkeit der Seniorenvertretung selbst auszuhebeln, als er nämlich wissen wollte:
„Was gedenkt das Bezirksamt gegen die Veröffentlichung [der Presseerklärung] auf der Internetseite der Charlottenburg-Wilmersdorfer Seniorenvertretung zu unternehmen?“
Der zuständige Stadtrat rief in seiner Antwort in Erinnerung, daß eine der Aufgaben der Seniorenvertretung nun einmal ist, „die Interessen der Senioren wahrzunehmen und sich für die Teilhabe, Einbindung und Mitwirkung in allen Lebensbereichen einzusetzen“ (1). Und er schloß mit der Aussage:
„Weder ich noch das Bezirksamt haben gegenüber der Seniorenvertretung oder deren Mitgliedern eine Weisungsbefugnis.“
Damit war diese Attacke auf die Unabhängigkeit der Seniorenvertretung erst einmal abgewiesen. Es folgte drei Tage später der Bürgerentscheid, der mit fast 85.000 Stimmen für den vollständigen Erhalt von Oeynhausen dem Frager in der BVV bestimmt keine parteipolitische Freude gemacht hat, sondern bekanntlich den Anstoß zu neuen Aktivitäten der Nichterhaltung gab. Ein Nebenkriegsschauplatz ist dabei wieder die Öffentlichkeitsarbeit der Seniorenvertretung:
Diesmal begehrte – im Rahmen einer Kleinen Anfrage vom 14. August – eine unserer Volksvertreterinnen zu wissen,
– ob die Internetseite der Seniorenvertretung dem Bezirksamt gehöre
– ob sichergestellt sei, daß das Bezirksamt inhaltlich Einfluß auf diese Seite nehme, und
– ob man willens sei, der Seniorenvertretung die Rechte an der Internetseite und darüber hinaus auch
noch die Rechte an ihrem eigenen Namen „Seniorenvertretung Charlottenburg-Wilmersdorf“
wegzunehmen.
Dieser Angriff war schon ein ganzes Stück dreister. (2) Er läuft darauf hinaus, die Seniorenvertretung stumm zu machen. Der zuständige Stadtrat wies in seiner Antwort im Namen des Bezirksamtes die Umsetzung der vorgeschlagenen Maßnahmen zurück, da dies
„dem Ziel des Seniorenmitwirkungsgesetzes, die aktive Beteiligung der Berliner Seniorinnen und Senioren am sozialen, kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben zu fördern … und die aktive Eigenbeteiligung der Berliner Seniorinnen und Senioren zu gewährleisten, widerspräche“.
Nachdem zwei Anläufe aus den Reihen der BVV, das Bezirksamt gegen die Seniorenvertretung in Stellung zu bringen, um diese botmäßig zu machen, gescheitert sind, schlägt man nun offenbar einen anderen Weg ein, nämlich dieses Geschäft selbst zu erledigen. Man hat dazu auf der entgegengesetzten parteipolitischen Seite eine bürokratisch versierte Speerspitze gefunden. Die Seniorenvertretung berichtete darüber in ihrem Newsletter 7/2014 vom 27. August:
„Die Vorsteherin der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf hat der Seniorenvertretung aus ‚namensschutzrechtlichen‘ Gründen die Durchführung einer Veranstaltung untersagt, in der die Namen Bezirksverordnetenversammlung oder BVV im Zusammenhang genannt werden. Dies betrifft auch die Namensnennung in Klammern gesetzt.“
Dies ist aus mehreren Gründen erstaunlich: Zum einen hat noch im letzten Jahr selbige Vorsteherin nichts dabei gefunden, eigenhändig die Sitzung der bezirklichen „Senioren-BVV“ zu leiten. Zum andern finden bzw. fanden in diesem Jahr in Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg völlig unbeanstandet „Senioren-BVVs“ statt. (3)
Da ergeben sich einige Fragen: Wie kam es zu diesem Sinneswandel? Wie lautet der vollständige Text der Untersagungsverfügung? Hier die Antwort der Vorsteherin (7. Einwohnerfrage):
„Die … Fragestellungen werden völlig zu Recht aufgeworfen. Hinsichtlich der Bezeichnung ‚Senioren-BVV‘ ist es jedoch mitunter zu Missverständnissen gekommen, die die politischen Kräfte der Bezirksverordnetenversammlung durch einen neuen konzeptionellen Ansatz zukünftig vermeiden wollten.
Zu meinem Bedauern hat die bezirkliche Seniorenvertretung entsprechende Angebote nicht angenommen.“
Wenn Sie nicht wirklich etwas verstanden haben und auch den vollständigen Text der Verfügung vermissen – fragen Sie doch in einem Monat noch einmal nach! Und bei der Gelegenheit auch gleich nach den „entsprechenden Angeboten“, die der Seniorenvertretung gemacht wurden.
Aber jetzt gleich stellt sich (mal wieder) die Frage: Warum argumentieren Politiker aller Ebenen und Richtungen immer wieder formal, wenn sie die Selbständigkeit der Bürger unterbinden wollen? Warum sind sie zu feige, ihre wahren Absichten offenzulegen und zur Diskussion zu stellen? Und warum schweigen die anderen dazu?
MichaelR
(1) § 4 Abs. 4 Zi. 3 des Berliner Seniorenmitwirkungsgesetzes
(2) Er wird noch getoppt durch eine weitere Anfrage, mit der die Verordnete der Seniorenvertretung wohl auf ihre finanziellen Schliche kommen wollte.
(3) Unser Bezirk spielt unter Leitung seiner ersten Bürgerin auch an anderen Stellen eine wenig rühmliche Rolle, wenn es um die Eindämmung bürgerschaftlichen Engagements geht; erinnert sei an die Vorgänge um die Gedenktafelkommission.
MichaelR - Gastautoren, Politik - 22. September 2014 - 20:47
sechs Kommentare
Nr. 2, Armin Holst, 23.09.2014 - 10:59 Ich fordere einen Demokratieverständnis-TÜV für jeden Kandidaten!!! Von allein merken leider immer mehr immer weniger… |
Nr. 6, M.R., 16.10.2014 - 23:23 Als es noch dem eigenen Ansehen förderlich war, bei dieser Gelegenheit auf einem Podest mit ins Bild zu kommen: http://www.cdu-fraktion-charlottenburg-w.. – Bild 11 mit dem Begleittext: "Die Senioren-BVV am 27. September 2012." |
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Vordemokratische Zustände. Die SPD macht vor keinem Mittel halt. Wenn die Senioren nicht genehme Ansichten vertreten, müssen sie Mundtod gemacht werden. Auf die Taten von Frau Stückler hat Herr Naumann erheblichen Einfluss, das kommt m. E. nicht aus einer anderen politischen Ecke, sondern aus derselben.