Bezirksamt (SPD & CDU) lehnt historische Verantwortung für Zwangsarbeiter seiner Vorgänger ab
Der Bezirksbürgermeister (SPD) in der Gedenktafelkommission
Bei der Sitzung der Gedenktafelkommission am 16. Februar war zum ersten Mal der Bezirksbürgermeister anwesend. Warum? Suchte er wenigstens hier das Gespräch mit den Befürwortern eines Gedenkens am Ort des Zwangsarbeiterlagers seiner Vorgänger in Wilhelmsaue 40? Denn im November 2015 hatte er ein zugesagtes Treffen abgelehnt und dafür seine Teilnahme an dieser Sitzung angekündigt. Aber auch hier sprach er kein Wort mit den Befürwortern, stellte ihnen keine einzige klärende Frage, obwohl er doch betont hatte, „die Fakten müssen klar sein“.
Warum also verbrachte der Bezirksbürgermeister, der keine Zeit für das zugesagte Gespräch gehabt hatte, jetzt 45 Minuten seiner knappen Zeit in dieser Sitzung?
Die Antwort findet sich in seinen beiden Redebeiträgen.
Im ersten Beitrag gab er die Linie der Sitzung vor, indem er die Notwendigkeit, sorgfältig zu forschen, betonte, denn „nichts ist abträglicher als ein Schnellschuß, der später korrigiert werden müßte“. – Richtig, aber sorgfältige Recherche ist doch eine Selbstverständlichkeit, wird aber gern von denjenigen besonders eindringlich gefordert, denen es eigentlich um Verzögerung oder Verhinderung geht. Daß dies auch hier zutrifft, ergibt sich schon daraus, daß die Beschäftigung mit den Zwangsarbeitern bereits seit einem Jahr in den Gremien dieses Bezirkes (BVV, Kulturausschuß, Gedenktafelkommission, Bezirksbürgermeister und Bezirksamtskollegium) auf der Stelle tritt. Daher erweist sich seine Feststellung, daß er die Erinnerung an sie für „notwendig“ und „überfällig“ halte (Email vom 16.11.2015 an den Verf.), als eine bloße Floskel. (Im Laufe der Sitzung sprang das CDU-Mitglied der Kommission ihm bei, „ damit nicht jemand kommt und sagt, die Gedenktafelkommission hat nicht sorgfältig gearbeitet, die Tafel ist am falschen Ort. Daher arbeiten wir in aller Ruhe.“ Das war im übrigen ihr einziger Redebeitrag in über einer Stunde Sitzung.)
In seinem zweiten Beitrag – gefragt, ob das Bezirksamt zu seiner Geschichte stehe und historische Verantwortung für die Taten seiner Vorgänger übernehme – verwies der Bezirksbürgermeister auf „demokratische Arbeitsteilung“, woraus folge, daß „alle Bezirksgremien gemeinsam eine Entscheidung treffen. Die Federführung liegt bei der Gedenktafelkommission, ihr zugeordnet ist das Kunstamt, nicht der Bezirksbürgermeister.“ Auch verwies er darauf, daß seine Amtsvorgänger damals nur „der verlängerte Arm der Gauleitung“ gewesen seien – wollte er damit sagen, daß sie nur Marionetten waren und es folglich keine historische Verantwortung für das Bezirksamtskollegium (SPD & CDU) zu übernehmen gäbe? (1)
Der Bezirksbürgermeister und die übrigen Mitglieder des Bezirksamtskollegium wollen also nicht selbst zur Geschichte des Bezirksamtes Wilmersdorf stehen und daraus praktische Konsequenzen ziehen, sondern dies lieber anderen überlassen, und zwar irgendwann in der Zukunft, möglichst aber nicht vor der nächsten Wahl Ende September.
Wie funktioniert die Verschleppungstaktik in der Praxis?
Das übliche simple Schema ist dies: Eine Sache wird von Politikern 1. für wichtig! erklärt, und gleichzeitig wird 2. von ihnen vehement auf gesicherte! Fakten gepocht. Zu diesem Zweck schieben sie gern Forschungsbedarf! vor, wo eigentlich keiner mehr besteht. Praktisch sieht das hier so aus:
Die Ingredienzien zu 1. sind bereits genannt: die Anwesenheit des Bezirksbürgermeisters höchstpersönlich und seine Stichworte „notwendig“ und „überfällig“. Folgt also 2. mit dem Forschungsbedarf: Zwar ist jetzt endlich unbestritten, daß es in der Wilhelmsaue ein Zwangsarbeiterlager gab. Aber: Wo war es? Und: Wer betrieb es?
a) Wo war das Zwangsarbeiterlager? Es wird ernsthaft behauptet, daß die Lageradresse „Wilhelmsaue 40“ (in einem Dokument von November 1942) sich unmöglich auf ein Grundstück beziehen könne, das offiziell die Nummer „39-41“ trug, denn „40“ habe es dann doch gar nicht gegeben. – Im Landesarchiv befinden sich weitere behördliche Dokumente (siehe 2.), die diesem Grundstück mal die Hausnummer 40, mal 39/40, mal 39-41 geben. Heutzutage trägt das Gebäude (ITDZ Berlin) übrigens wieder die Nummer 40. Trotzdem: für jemanden, der nach Verzögerungsgründen sucht, ist dies nicht nur nicht zu spitzfindig, sondern sogar die Basis für einen Rechercheauftrag (siehe unten).
b) Wer betrieb das Zwangsarbeiterlager? Um das Bezirksamt zu entlasten, hatte der Kulturwissenschaftler der Gedenktafelkommission viel Zeit darauf verwendet, um nachzuweisen, daß die Bezirksämter Groß-Berlins in der NS-Zeit alle einer Stabsstelle beim Oberbürgermeister untergeordnet waren, weswegen man nicht von einem (stadt)bezirklichen Lager sprechen dürfe, sondern von einem städtischen. – Wir haben hier denselben Fall wie bei der Frage des Ortes: daß eben „nicht sein kann, was nicht sein darf“ (2) – und befinden uns erneut auf dem Niveau eines Spottgedichts über diese Denkweise, aber das ist im Politikbereich wohl unproblematisch. Tatsächlich nennt das eine der beiden Dokumente (November 1942 – Bild 2), die über Lager des Bezirksamtes Wilmersdorf bekannt sind, die „Bez.Verw. Wilmsdf.“ als Träger dieses Lagers. Und das zweite Dokument (April 1944), ein Schreiben des Bezirksbürgermeisters an die Dienststellenleiter (3), rügt den ungeregelten Einsatz der „Insassen des Ausländerlagers“ und bestimmt: „Ich behalte mir daher den Arbeitseinsatz der Ausländer selbst vor.“ Damit ist ausreichend klargestellt, daß dieses Lager tatsächlich vom Bezirk betrieben wurde und der Einsatz der Zwangsarbeiter in der Hand des Bezirks (genauer: des Bezirksbürgermeisters ) lag.
Die beiden spitzfindigen Argumentationen wurden nicht von den Kommissionsmitgliedern diskutiert und infrage gestellt; offenbar paßten sie ihnen. Und um genau zu sein: die sieben anwesenden Kommissionsmitglieder haben überhaupt nicht diskutiert. Ihre einzigen beiden Redebeiträge waren der bereits erwähnte vonseiten des CDU-Mitglieds und eine Äußerung des SPD-Mitglieds, die jedoch nichts anderes beinhaltete als schon im September 2015 (wenn auch ausführlicher): noch unklar, kann ich nicht beurteilen. Soviel zum „Arbeiten“ dieser Gedenktafelkommission.
Was ist also bei der Kommissionssitzung herausgekommen?
Herausgekommen ist der Auftrag, es solle in der Wehrmachtsauskunftsstelle (WASt) das Original der polizeilichen Meldeliste für Wilhelmsaue 40 (4) kopiert und der Kommission vorgelegt werden. Beauftragt wurde die Leiterin des Kulturamtes, ohne ihr einen festen Termin zu setzen, was beides zusammen eine lange Bearbeitungszeit erwarten läßt. Auf diese Weise wolle man überprüfen, ob der Historiker, der im Rahmen seiner Arbeit die bereits vorgelegte Computerliste erstellt hatte, die Hausnummer 40 auch richtig abgeschrieben habe.
Man kann auch sagen: Man will ganz sicher gehen, daß in dieser Legislaturperiode und in diesem Bezirk nichts mehr in Sachen öffentliches Erinnern an die Zwangsarbeiter des Bezirksamtes passiert, denn als nächstes müßte ja ein Text entworfen, dieser von der Gedenktafelkommission „bearbeitet“ werden usw., was bis zur Wahl am Ende des Sommers unmöglich zu erledigen ist. Die seit September 2015 betriebene abgestimmte Kampagne von SPD & CDU (unter Einbeziehung von BVV, Gedenktafelkommission, Bezirksbürgermeister und Bezirksamtskollegium) zur Verzögerung des Gedenkens hat funktioniert – mag das außerhalb des lokalen Politikbetriebes auch nur Erstauen hervorrufen.
MichaelR
(1) (Offenbar mag er das nicht öffentlich bekunden, denn die Beantwortung meiner entsprechenden Einwohnerfrage vom Januar (Frage 4) steht regelwidrig immer noch aus. Und das, obwohl das Bezirksamt im Februar dieses Jahres von der Bezirksaufsicht beim Senator für Inneres
„telefonisch erneut darauf hingewiesen [wurde], dass der Beantwortung von Einwohnerfragen eine besondere Bedeutung in Bezug auf die Beteiligung der Bürger zukommt und diese möglichst zeitnah erfolgen soll“ (Email vom 8.2.2016 an den Verf.)
(2) Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache
(3) Schreiben vom 30.4.1944 – Archiv Museum Charlottenburg-Wilmersdorf 3962-1
(4) Liste des Polizeireviers 151 vom 11.1.1946 („Ausländer, die in Berlin polizeilich gemeldet waren“)
MichaelR - Gastautoren, Geschichte - 21. Februar 2016 - 00:24
Tags: gedenken/nationalsozialismus/stadtgeschichte/zwangsarbeit
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Die Bürgermeister und Bezirksbürgermeister in Charlottenburg und Wilmersdorf seit 1705 im Spiegel der Zeiten.
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