Rußlanddeutsche versus Flüchtlinge
Die mitgebrachten Protestplakate blieben am Boden.
Im Nachbarbezirk Schöneberg verhandelte die BVV mit einer Großen Anfrage und einer Dringlichen Willensbekundung den Entzug der Arbeitsgrundlage für einen gemeinnützigen Verein, der sich seit Jahrzehnten sehr erfolgreich einem der vordringlichsten Probleme widmet: der Integration.
Dieser Vorgang ist politisch nicht gewollt, jedoch steht die Politik abermals machtlos vor den Verhältnissen. Die werden diesmal vom Immobilienmarkt diktiert.
Der Verein „Harmonie“ hat seinen Sitz in der Katzlerstraße, die schon seit nahezu einem Jahr mit Transparenten des Mieterprotestes der Interessengemeinschaft „Großgörschen & Katzler“ geschmückt ist. An der Einmündung zur Großgörschenstraße befinden sich die Häuser im Bundesbesitz. Von der zuständigen Bundesbehörde, der BIMA, werden sie meistbietend angepriesen, was, wie die Bürgermeisterin feststellt, zur Folge hat, „daß der Erwerber bereits beginnt, für das Gebiet wertvolle Einrichtungen zu vertreiben“. Dieser Ausverkauf hat bereits Wellen bis in den Bundestag geschlagen. Nunmehr hat es nicht nur Mieter getroffen, sondern auch jenen Verein „Harmonie“ mit seiner wichtigen Integrationsarbeit. Er hat die Kündigung erhalten und ist aufgefordert, bis Ende des Monats seine Räume zu verlassen. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler (SPD) hat in der Beantwortung der Großen Anfrage das Vorgehen der BIMA „aufs schärfste mißbilligt“ aber gleichzeitig auch eingeräumt, das das Bezirksamt „keine wehrfähige Rechtsposition“ habe, die es ihm ermöglichen würde, die Kündigung zu revidieren. Dieser Mißbilligung schlossen sich alle Parteien an. In der einstimmig – auch ohne jegliche Enthaltung – beschlossenen Willensbekundung heißt es: „“Harmonie leistet seit vielen Jahren beständig eine engagierte Arbeit. Die Bezirksverordnetenversammlung hat keinerlei Verständnis dafür, daß die BIMA vor der gerichtlichen Klärung Fakten schaffen wolle, Fakten die eindeutig gegen die Interessen des Bezirkes gerichtet sind“.
Dem Verein Harmonie ist es bislang nicht gelungen, auf dem angespannten Immobilienmarkt neue bezahlbare Räume zu finden. Die juristische Auseinandersetzung wird sich wahrscheinlich länger hinziehen, als es der Verein mit seinen beschränkten Mitteln durchstehen kann.
Solches Vorgehen ist in ganz Berlin und auch am Klausenerplatz bekannt. Doch dieser Fall hat noch einen weiteren Aspekt, der selbst über die bundespolitische Bedeutung hinausreicht. Der Verein „Harmonie“ hat seine Wurzeln in Spandau. Dort gründete er sich 1998 aus einer Selbsthilfegruppe von rußlanddeutschen Spätaussiedlern. Heute steht dieser Verein allen Nationalitäten offen und hat dank seiner arabischstämmigen Mitglieder auch aktuell beachtliche Erfolge bei der Integration von Flüchtlingen aufzuweisen. Nach wie vor bilden jedoch die Rußlanddeutschen den Kern des Vereins. Gerade mit dieser Volksgruppe wollen russische Politiker derzeit demonstrieren, daß sie in der Lage wären, auch in Berlin eine Art Maidan zu inszenieren. Sie mobilisierten nahezu 1000 „empörte“ Bürger, die vor dem Kanzleramt krakelten. Hintergrund bildete eine vom russischen Fernsehen verbreitete Mär, daß ein rußlanddeutsches Mädchen vergewaltigt worden sei und die deutschen Behörden dieses Verbrechen vertuschen wollten. Die Kündigung von „Harmonie“ ist dagegen keine erlogene Geschichte. Hier werden wirklich Rußlanddeutsche gegen Flüchttlinge ausgespielt, denn in die Räume soll ein Verein einziehen, der sich um syrische Flüchtlinge kümmert. Dieser Verein soll ursprünglich die Räume kostenlos nunmehr aber zu einem deutlich geförderten Mietzins erhalten. Hier arbeitet die Bundesrepublik Putin direkt in die Hände.
Auf den Zuschauerbänken im Rathaus Schöneberg waren nur die rußlanddeutschen Mitglieder von „Harmonie“ vertreten. Angesichts der uneingeschränkten Unterstützung ihres Anliegen durch den Bezirk verzichteten sie auf jeglich Demonstration mit den vorbereiteten Plakaten.
FW
Foto: Wecker
FW - Gastautoren, Gesellschaft - 08. März 2016 - 22:10
Tags: gentrifizierung/integration/verdrängung
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Der Quartiersrat “Schöneberger Norden” hat eine Online-Petition gestartet und bittet um Unterstützung für das von Räumung bedrohte Projekt:
Bitte ziehen Sie die Räumungsklage gegen den Verein Harmonie e.V. zurück!
Link: Petition bei Change.org